Sieg über den Schmerz
Der Mensch sucht nach schmerzlindernden Mitteln, seit es ihn gibt. Doch erst die moderne Anästhesie machte auch komplizierte chirurgische Eingriffe möglich. Heute stehen diverse schonende und sichere Methoden zur Wahl.
Mohn, Hanf, Alraune, Bilsenkraut, Alkohol oder Kühlung durch Eis – das waren die Schmerzmittel von der Antike bis zur frühen Neuzeit. Mit diesen Hilfsmitteln wurden Operationen nur im äussersten Notfall gewagt. Und wenn, dann wurde so schnell wie möglich geschnitten, damit die Operierten nicht unter dem Messer am Blutverlust oder am Schock des unerträglichen Schmerzes starben. Sir Robert Liston (1798 – 1847), der zu seiner Zeit als Schnellster der chirurgischen Zunft galt, amputierte ein zertrümmertes Bein in 28 Sekunden.
Mit den aufkommenden Äther- und Chloroform-Narkosen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten sich die Chirurgen dann ein etwas sorgfältigeres Vorgehen erlauben. Chloroform führte allerdings zu zahlreichen Todesfällen und wurde bald wieder aufgegeben. Dafür wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert Lachgas immer wichtiger. 1898/99 schliesslich gelang dem Chirurgen Karl August Bier die erste Spinalanästhesie, indem er eine Kokainlösung in den Rückenmarkskanal spritzte.
Seither ging es mit der Entwicklung in grossen Schritten voran. Immer bessere Anästhetika wurden entdeckt. Heute sind viele Operationen auch mit einer schonenden Teilnarkose möglich. Neben den Spinal- und Periduralanästhesien für die untere Körperhälfte gibt es Regionalanästhesien, bei denen die peripheren Nerven im Arm oder im Bein betäubt werden. Die Narkosemittel können dabei mit Ultraschallkontrolle ganz gezielt an die Nerven herangeführt werden. Auch Vollnarkosen sind heute durch die detaillierte Überwachung sehr sicher. Und selbst die anschliessende Übelkeit, an die sich ältere Patientinnen und Patienten von früher vielleicht noch erinnern, ist heute durch verbesserte Medikamente kaum mehr ein Thema.
William T. Green Morton
Mitte des 19. Jahrhunderts gelangen die ersten Narkosen mit Äther. Ein Segen für die Menschheit. Doch damals sahen das nicht alle so.
16. Oktober 1846: In einer Vorführung am Spital von Massachusetts lässt der Zahnarzt William T. Green Morton einen Patienten aus einem Glaskolben Äther inhalieren. Der Mann fällt in Tiefschlaf. Dann wird ihm ein Tumor am Hals herausoperiert – gerade noch rechtzeitig, bevor er wieder erwacht. Nach dieser «Geburtsstunde der modernen Anästhesie» sollte es indes noch Jahre dauern bis zum allgemeinen Siegeszug der Narkose. Viele Ärzte fürchteten sich davor, ohne den Schmerz als «Wegweiser» zu operieren. Andere hielten den Schmerz für heilungsfördernd. Und selbst Anhänger der neuen Methode fanden, es lohne sich nicht, bei kleinen Operationen wie der Amputation eines Fingers zu narkotisieren.