Heilung fängt beim Essen an
Wer im Spital liegen muss, möchte wenigstens gut essen. Unsere Mitarbeitenden setzen alles daran, dass es den Patientinnen und Patienten schmeckt. Lesen Sie in dieser Reportage, welchen Weg Ihr Essen von der Bestellung bis zum Service geht.
7.50 Uhr – Menübesprechung
In der Hotellerie des Stadtspitals Waid beginnt der Tag mit der morgendlichen Sitzung. Der Küchenchef erläutert die Menüs des Tages. Die Ernährungsberaterin fragt, ob etwas Besonderes vorliegt. Ja, eine Patientin sei allergisch auf Zitrusfrüchte. «Also Vorsicht bei der Limettensauce zum Kalbsteak», warnt die Ernährungsberaterin.
8.00 Uhr – Bestellungsaufnahme
Nach der Sitzung greifen sich die fünf Mitarbeiterinnen des Teams «Wahlkost und Services» ihren Laptop und schwärmen aus in die Stationen.Unter ihnen auch Monika Schneider. Sie beginnt ihre Runde immer auf der chirurgischen Station, heute im FG3, damit sie auch die neu eingetretenen Patientinnen und Patienten vor ihrer Operation noch erwischt und ihre Menüwünsche aufnehmen kann.
Die Patientin im Zimmer 338 zweifelt allerdings, ob sie nach der Operation überhaupt wird essen können. «Vielleicht einfach ein wenig Kartoffelstock mit Sauce?», ermuntert Monika Schneider sie. Die Zimmernachbarin hingegen hat die Menükarte bereits gut studiert und sich für das Kalbssteak entschieden. Aber bitte mit Kroketten statt mit Kräuter-Ebly. Monika Schneider hat alle Wahlmöglichkeiten auf dem Bildschirm und muss die gewünschten nur anklicken. Die Bestellung geht dann direkt hinunter in die Küche. Der Computer gibt auch warnende Hinweise. Ist bei jemandem zum Beispiel «kein Schweinefleisch» angekreuzt, leuchtet die «Kalbsbratwurst» unübersehbar rot auf, weil sie einen Anteil Schweinefleisch enthält.
Monika Schneider beantwortet alle Fragen geduldig und kompetent. Doch die Zeit läuft. Um Punkt 10.40 Uhr muss sie alle Bestellungen im Computer haben, dann schliesst das System. Sind viele Patientinnen und Patienten während der Bestellungsaufnahme nicht in ihren Zimmern, kann es eng werden. «Bis jetzt habe ich es aber immer geschafft», sagt sie lächelnd.
Früher standen die Befragerinnen weniger unter Zeitdruck, weil die Menüs einen Tag zum Voraus bestellt wurden. Was für die Mitarbeiterinnen von Vorteil war, wirkte sich für die Patientinnen und Patienten allerdings nachteilig aus: «Viele hatten am nächsten Tag vergessen, was sie bestellt hatten. Oder sie verspürten nun auf etwas anderes Lust als am Tag zuvor.» Inzwischen wird am Morgen zeitnah für den Mittag und den Abend des gleichen Tages bestellt. Seither erlebt Monika Schneider die Patientinnen und Patienten als viel zufriedener: «Generell rühmen sie heute das Essen sehr.» Doch immer wieder gibt es auch herausfordernde Situationen. Etwa wenn jemand aufgrund einer Schluckproblematik nur pürierte Speisen zu sich nehmen kann, aber trotzdem ein Stück Brot wünscht. In einem solchen Fall nehmen die Mitarbeitenden des Teams «Wahlkost und Services» mit der Ernährungsberatung und Logopädie Kontakt auf und klären ab, wie der Patient oder die Patientin ernährt werden kann.
10.40 Uhr – Das System schliesst
Das Bestellsystem wird gesperrt. Auf dem grossen Bildschirm in der Küche stehen die Zahlen nun fest: 107 Kalbssteaks, 23 Seitanschnitzel, 51 Rippli werden an diesem Mittag gebraucht. Die Köchinnen und Köche sind natürlich schon den ganzen Vormittag am Kochen und Braten, sonst wären sie jetzt hoffnungslos zu spät. Die ersten Trends bei den Bestellungen waren schon ab 9 Uhr sichtbar. Jetzt geht es nur noch um den «Feinschliff».
Der Vorteil dieses exakten Vorgehens ist riesig. «Seit wir das elektronische Bestellsystem haben, gibt es viel weniger Essensabfälle», betont der Küchenchef Enrico Dahl. Werden 107 Kalbssteaks bestellt, werden genau 107 plus 2 gebraten (die kleine Reserve braucht es, weil die Befragerinnen doch nicht immer alle Patientinnen und Patienten vor Bestellschluss erwischen). Zudem wird nichts mehr vorgekocht, sondern alles ist frisch zubereitet. Gerüstet wird nach Erfahrungsmengen schon am Vortag. Alles nicht Gebrauchte kommt im rohen Zustand in den Tiefkühler.
Für die Köchinnen und Köche bedeutet das neue Konzept eine Herausforderung. «Jeden Tag rund 750 bis 800 Menüs frisch zubereiten, das geht nicht ohne Stress», hält Enrico Dahl fest. Auf der anderen Seite ist eins zu eins spürbar, wie zufrieden die Patientinnen und Patienten mit dem kulinarischen Qualitätssprung sind – für die Küche eine schöne Motivation.
11.05 Uhr – Das Schöpfband läuft
Das Band, an dem die Patientenmenüs geschöpft werden, läuft an. Fünf Minuten später fahren die ersten Esswagen los. Auf der Station wird das Essen in den Wagen per Induktion nochmals kurz regeneriert, damit es schön heiss auf den Tisch kommt. Dann beginnen die Mitarbeitenden der Pflege mit dem Service.
11.45 Uhr – Ende des Services
Der Service ist vorbei, das System wird vom Mittag- auf das Abendessen umgestellt. Nun können die Köchinnen und Köche aufatmen. Die Zahlen für das Abendessen werden sich kaum mehr verändern und so können sie diese Arbeit mit mehr Ruhe angehen.
Genau berechnete Menüs
Ein ganzes Jahr Arbeit steckt im neuen Menüplan, der seit dem vergangenen Dezember im Stadtspital Waid im Einsatz ist. Dabei wurden die frisch kreierten Rezepturen der Küche durch die Ernährungsberatung genau berechnet und standardisiert. Egal ob Fleisch, Fisch oder Vegetarisch, der Energie- und Nährstoffbedarf der Patientinnen und Patienten soll immer gut abgedeckt sein.
Gerade ältere Menschen, die häufig kleinere Portionen gewöhnt und schnell satt sind, berichten im Spital häufig, dass ihnen die Portionen zu gross sind oder ihnen ein ganzes Menü mit Suppe und Dessert zu viel sei. Deshalb hat die Ernährungsberatung auch energie- und nährstoffdichtere Menüs geschaffen, welche insbesondere bei Personen mit Mangelernährung eingesetzt werden können. Mangelernährung ist im Spital ein häufig anzutreffendes Problem. Durch eine angepasste Ernährung und mit einer Ernährungstherapie kann dem entgegengewirkt werden. Die Ernährungsberatung hat zudem spezielle Kostformen definiert, welche die Ärztinnen und Ärzte, die Ernährungsberaterinnen oder die Mitarbeitenden der Logopädie verordnen können. Zum Beispiel «kaliumarm» bei Nierenproblemen, «glutenfrei» bei einer Zöliakie oder «überweich» beziehungsweise «püriert» für Menschen mit Kau- oder Schluckproblemen, etwa nach einem Schlaganfall.
In komplexeren Fällen gehen die Ernährungsberaterinnen auch direkt zu den Patientinnen und Patienten, um die Ernährung individuell anzupassen. Beispielsweise wenn jemand nach einer Bauchoperation einen speziellen Kostaufbau benötigt und gleichzeitig noch eine grosse Wunde am Bein hat. In diesem Fall ist es das Ziel der Ernährungsberatung, dass der Patient oder die Patientin die Speisen gut verträgt sowie genügend wichtige Nährstoffe zur Unterstützung der Wundheilung aufnehmen kann.