«Der Unfall ist Geschichte, ich blicke nach vorne!»
Annika Zenger ist eine ambitionierte Unihockeyspielerin. Schon mit 16 Jahren spielt sie in der Nationalliga B. Dann der Schock: Ein Sportunfall ändert alles. Aber Annika geht auch die Verletzung mit viel Sportsgeist an.
Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Annika sind seit dem Unfall exakt zwei Monate vergangen. Die Patientin hat das Datum immer präsent, aber einen geknickten Eindruck hinterlässt sie nicht. Dazu denkt sie viel zu positiv. Und weil auch die Heilung planmässig verläuft, behält der Optimismus klar die Oberhand. Es geschah in einem Unihockey-Spiel ihres Clubs «Hot Chilis Rümlang», ohne Foul und Fremdeinwirkung. Annika spielte als Center in der ersten Mannschaft, stürzte und die Kreuzbänder und der Meniskus im Knie rissen. Dazu war das Innenband leicht gezerrt. Das alles wusste sie noch nicht, als sie mit Schmerzen auf dem Hallenboden lag. Doch schnell wurde ihr klar: An ein Aufstehen ohne fremde Hilfe ist nicht zu denken.
Eine Sekunde ändert alles
Annika erinnert sich an den Knall im Knie, den sie noch gehört hatte. Und an die Schmerzen, die ihr signalisierten, dass etwas Gravierendes geschehen ist. Noch während ihre Mitspielerinnen sie aus der Halle trugen, begann das Knie anzuschwellen. Auch das kein gutes Zeichen. Also kam Annika in die Notfallstation des Stadtspitals Waid. Das Waid hat Erfahrung in der Betreuung von jungen Sportlerinnen und Sportlern. So gibt es erfolgreiche Kooperationen des Stadtspitals mit den Jugend- und Nachwuchsabteilungen von FC Zürich, ZSC und GCK Lions sowie EHC Kloten.
Auf der Notfallstation lernte Annika bereits Dr. Patrick Grüninger kennen, der sie später operieren würde. Dass die OP schon nach wenigen Tagen durchgeführt wurde, ist auch der Schwere ihrer Verletzung geschuldet. Ein konservativer Ansatz, bei dem allenfalls auf die Operation verzichtet werden kann, war nicht angezeigt. Der Meniskus war zu stark verletzt, um genäht zu werden. Und weil die Erfolgsaussicht bei gleichzeitiger Mitoperation der Kreuzbänder höher ist, wurde gleich das ganze Knie «repariert». Das geschah unter anderem mit einer Kreuzbandplastik, die während der Operation aus Annikas Eigensehnen gefertigt wurden.
Eine Pause, nicht das Ende
Die Dauer der unfreiwilligen Pause wird auf acht bis zehn Monate prognostiziert. Eine sehr lange Zeit für die wirblige und ehrgeizige Jugendliche. Aber Annika beschliesst, aus der Situation das Beste zu machen. Obwohl ihr ein Leben ohne Sport langweilig und irgendwie unvollständig erscheint, legt sie ihre Priorität jetzt auf andere Interessen. Sie hat wieder mehr Zeit für das klassische Gitarrenspiel, das ihr wegen der nötigen Konzentration, aber auch zur Entspannung gefällt. In der ersten Zeit nach der Operation liefen zudem die Olympischen Winterspiele. Statt Aktivsport genoss Annika da halt ihre Rolle als Zuschauerin.
Wie sie es sonst als völlig normal ansieht, wegen des Sports auf viele andere Dinge zu verzichten, akzeptiert sie, dass ihr Leben nun auf einem anderen Feld spielt. Das tut sie mit imponierender Reife und Gelassenheit. Und mit der Erkenntnis, dass Gesundheit und ein funktionierender Körper keine Selbstverständlichkeiten sind. Das Video ihres Trainers, auf dem ihr Unfall zu sehen ist, hat sie sich nur ein einziges Mal angesehen. Sie wollte es sogleich gelöscht haben, denn das Hadern mit dem Schicksal ist nichts für sie. Lieber will sie nach vorne blicken.
Nur dabei statt mittendrin
Der persönliche Kontakt mit ihren Mitspielerinnen hilft Annika. So absolviert sie inzwischen einen Teil ihres Therapieprogramms in der Trainingshalle ihres Clubs. Während die Teamkolleginnen im Training zur Sache gehen, unternimmt Annika etwas abseits alles, um so bald wie möglich wieder zu diesem Kreis zu gehören. Sie bezeichnet das Unihockeyteam auch als ihre zweite Familie. Kein Wunder, bei dreimal zwei Stunden Training pro Woche plus einem Ligaspiel am Wochenende.
Ihr persönliches Programm für die Rehabilitation erfüllt sie mit der professionellen Einstellung einer Sportlerin, die weiss, dass ihre Verletzung wohl ein Rückschlag ist, sie aber auf ihrem Weg zur Spitze nicht wirklich aufhalten soll.
Ihr sportliches Talent habe sie wohl vom Vater geerbt und es auch schon im Tennis oder im Judo bewiesen.
Ein Name, den man sich merken sollte
Annika Zenger ist eine sehr fokussierte junge Frau, die weiss, was sie will. Ihre sportlichen Vorbilder sind nicht etwa Wendy Holdener oder Roger Federer, sondern die erfahreneren Spielerinnen ihres eigenen Clubs. Zu ihnen schaut sie heute hoch. Bald möchte sie auch zu diesem Kreis gehören und schliesslich ihr grosses Ziel erreichen: in der höchsten Spielklasse, der Nationalliga A, zu spielen. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Und weil auch die Heilung ihrer Verletzung grosse Fortschritte macht, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis sie ihrem Ziel mit grossen, gesunden Schritten entgegeneilt.
Beim Erscheinen dieses Magazins ist Annika fast vollständig genesen und trainiert schon bald wieder mit ihrem Team. Wir wünschen ihr herzlich alles Gute und viel Erfolg!
Komplexes Knie
Das Knie ist ein sehr stark belastetes Gelenk aus Knochen, Knorpeln und Sehnen. Es wird bei jedem Schritt beansprucht. Am höchsten ist die Belastung im Sport. In schnellen Sprints und harten Stopps oder bei abrupten Richtungswechseln wirken enorme Kräfte. Das war auch bei Annika Zenger so.
Individuelle Behandlung
Für den Leitenden Arzt Dr. Patrick Grüninger war das Schadensbild bei Annika nicht überraschend. Der versierte Chirurg operiert seit über 20 Jahren, seit 2009 in der Chirurgischen Klinik des Stadtspitals Waid. Bei weniger trainierten Menschen, erklärt Grüninger, setze man eher auf einen konservativen Ansatz ohne Operation, aber mit viel Physiotherapie zum Aufbau. Nur wenn sich dieser Weg als nicht erfolgreich erweist, wird operiert. Anders bei Sportlerinnen und Sportlern: Grüninger weiss, wie wichtig für diese Patientinnen und Patienten eine schnelle Heilung ist.
Kreuzbänder aus Eigensehnen
Der Eingriff bei Annika Zenger verlief planmässig. In der achtzigminütigen Operation gab es aber viel zu tun. Es zeigte sich schnell, dass der Meniskus wegen der Komplexität des Risses nicht näh- oder rekonstruierbar war. Daher wurde er teilweise entfernt. Um die Kreuzbänder wieder voll funktionsfähig zu machen, wendete der Operateur einen bewährten Kniff an: Aus Eigensehnen der Patientin fertigte er eine Kreuzbandplastik.
Innovatives Therapiekonzept
Für eine erfolgreiche Heilung ist die Physiotherapie mitentscheidend. Hier profitierte Annika von der Erfahrung der Physiotherapeutin Lilian Musterle, einer Fachexpertin in Sachen Sport. Vor ihrer medizinischen Karriere hatte sie an der ETH Sport studiert und war als Sportlehrerin tätig. Sie kennt solche Fälle gut. Für Nachbehandlungen wie bei Annika setzt das Stadtspital Waid auf das neue funktionsbasierte Therapiekonzept (im Gegensatz zum früheren zeitbasierten Schema).
Der neue Ansatz definiert nicht die Zeitspanne, während der ein Therapieschritt verfolgt wird (zum Beispiel sechs Wochen Krücken). Vielmehr wird auf viele exakte Etappenziele hingearbeitet wie etwa die vollständige Streckung des Knies. Solche Zwischenschritte sind testbar und bieten eher Gewähr, auf den individuellen Heilungsverlauf einzugehen. Vielfach hat sich die neue Behandlung auch als motivierender erwiesen, weil die Patientinnen und Patienten spüren, dass sie einen Therapieschritt nur so lange absolvieren müssen, bis sich der Erfolg einstellt.
Laufen (fast) ohne Schwerkraft
Eine Hilfe auf dem Weg zurück zur Normalität ist auch das Anti-Schwerkraft-Laufband «AlterG». Die Physiotherapie im Stadtspital Waid verfügt über ein solches High-Tech-Laufband. Mit den aufblasbaren Luftkammern des«AlterG» lässt sich das Körpergewicht um bis zu 80 Prozent entlasten. Das ermöglicht ein schmerzfreies Training schon unmittelbar nach einer Verletzung oder Operation. Bei Annika wurde das Gerät zur Stockentwöhnung eingesetzt. Aber auch das Anbahnen des Joggings ist damit möglich. Das Gewicht lässt sich in Ein-Prozent-Schritten langsam erhöhen, was stets eine exakt angepasste Belastung je nach Heilungsstand erlaubt.