Kunstankäufe in einem Ausnahmejahr
Für 2020 konnte erstmals seit Längerem der Ankaufskredit für Kunstankäufe zum Zweck der Kunstförderung erhöht werden. Hinzu kamen kurzfristig weitere ausserordentliche Mittel als Corona-Hilfsmassnahme. Mehr Kunstschaffende konnten so gefördert werden – und die städtische Kunstsammlung erhielt erfreulichen Zuwachs.
Während des Corona-Lockdown hat sich die Künstlerin Maya Bringolf ausgemusterte Orientteppiche online bestellt und mit ihnen eine ganz besondere Werkserie geschaffen: «Corona Rugs». In unregelmässigen Abständen hat sie Löcher in die Teppiche gestanzt und diese mit silbriger Farbe umrandet. Die Teppiche hängen mit dem Rücken zu den Betrachtenden – und verschränken gleich zwei aktuelle Themen miteinander. Orientteppiche gelten als Relikt eines aus der Mode gekommenen bürgerlichen Lebensstils, aber auch Weltbilds. Der Monster-Mottenfrass in den Teppichen macht das anschaulich. Im Corona-Jahr lässt er aber auch sofort an aggressive Kleinstorganismen denken, die unser schön eingerichtetes Leben durchlöchern.
Die Kommission für Bildende Kunst empfahl einen solchen «Corona Rug» im Frühjahr zum Ankauf, als das jetzige Ausmass der Pandemie erst in Umrissen sichtbar wurde. Bald war für die Kulturabteilung klar, dass es gerade für die von den Corona-Folgen besonders gebeutelte Kulturszene zusätzliche Unterstützung brauchte. Für die Kunstförderung konnte als eine erste Direktmassnahme der Ankaufskredit ad hoc um weitere 50 000 Franken aufgestockt werden.
Der «Corona Rug» sollte nicht das einzige Kunstwerk bleiben, das unmittelbare Spuren der Pandemie trägt. So fand «Sisyphus» von Adam Cruces, zu sehen in der Stipendienausstellung, sofort Anklang bei der Ankaufsgruppe der Kommission. Konnte man treffender als mit einem ausgeweideten Pferdekadaver die totale Erschöpfung ins Bild setzen, die der Lockdown und dann die Berg- und Talfahrt von Lockerungen und neuen Vorschriften bei uns allen ausgelöst haben? Cruces bezieht sich mit dem Werk auf die mexikanischen «Piñatas», mit Süssigkeiten gefüllte Papptiere für Kindergeburtstage. Cruces hat seine Piñata aus all den Kartons angefertigt, die sich wegen der Online-Bestellorgien überall am Strassenrand ansammelten, und er hat sie mit Blumen gefüllt, die dahinwelken.
Ein drittes Werk mit direktem Corona-Bezug stammt von Sebastian Utzni. Kurz nach dem Ende des Lockdown konnten aufmerksame Passant*innen in der Stadt an den Kultur-Plakatstellen farbenfrohe Poster ausmachen, die mit ihren Säulen- und Kuchendiagrammen an die allgegenwärtigen Corona-Statistiken in den Medien erinnerten. Kein Text erläuterte, was da zu sehen war. Und doch konnte man sofort erschliessen, dass hier jemand ein Spiel mit unserer fast schon zwanghaften Fixierung auf diese Statistiken trieb – und uns zugleich die Frage stellte, welches Spiel all diese Muster und Kurven mit uns trieben. Angekauft wurde eine Edition der Plakate – eine Ausnahme aufgrund des speziellen Sujets, da die Kommission in der Regel keine Editionen berücksichtigt.
Schliesslich konnte noch eine Arbeit des Künstlerduos Christina Hemauer/Roman Keller erworben werden. Die beiden haben während des Lockdown mit dem Fisheye-Objektiv täglich den Himmel über der Lutherwiese in Zürich dokumentiert – als Teil ihrer schon seit Längerem andauernden Forschung zu ökologischen und ökonomischen Dimensionen der Farbe «Blau». «Corona Skies» zeigt, dass der Himmel während des Lockdown nicht nur blauer, weil sauberer, sondern auch weniger von Kondensstreifen gezeichnet war.
Zum Glück war auch 2020 nicht alles nur Corona. Zudem ist sich die Ankaufskommission sehr bewusst, dass viele Werke, die sich mit diesem gravierenden Einschnitt auseinandersetzen, erst mit etwas Distanz entstehen werden. Dennoch wollte sie mit den Ankäufen auch einige der unmittelbarsten künstlerischen Reaktionen dokumentieren.
Schwerpunkte der Förderung
Weitere Schwerpunkte in der Kunstförderung durch Ankäufe haben mit Aspekten zu tun, auf die die Kommission ein besonderes Augenmerk legt. Beispielsweise achtet sie auf die gleichmässige Berücksichtigung von Künstlerinnen und Künstlern – und zwar inzwischen nicht nur bezogen auf die Zahl der angekauften Werke, sondern auch in Bezug auf die dafür aufgewendete Summe. Denn es fiel auf, dass es oft ein Preisgefälle gibt. Künstlerinnen setzen offenbar ihre Preise tendenziell tiefer an.
Ebenso wurde auf den Einbezug von Kunstschaffenden geachtet, die mit einem anderen kulturellen Hintergrund nach Zürich kommen und hier leben. Dafür steht der Ankauf von «Mistress in Switzerland», einem mit Szenen aus dem Sexgewerbe bestickten Bettlaken von der aus der Ukraine stammenden Alina Kopytsia. Die Künstlerin setzt sich in ihrem Werk kritisch mit dieser besonders ausbeuterischen Form der Arbeitsmigration auseinander. Es sind oft Frauen aus Osteuropa, die im hiesigen Sexgewerbe ihr Auskommen suchen. Ein anderer Ankauf galt Teilen einer Fotoserie von Eren Karakus. Er zeigt mit dem Handy dokumentierte Szenen der Zerstörung aus der widerständigen kurdischen Stadt Sûr/Diyarbakir während der Ausgangssperre und ihrer Besetzung durch das türkische Militär 2015.
Andere aktuelle Themen, wie etwa Drogen und Rauschmittel, sind der Stoff für die Kunstwerke von Gianluca Trifilò. Für seine «Kartographie» hat er seine persönliche Recherche dazu auf eine Blätterwand aus Beipackzetteln von Opioiden projiziert. Der Ankauf eines Werks vom aus Baden stammenden Künstler, dessen beide Brüder in der offenen Drogenszene am Platzspitz verkehrten und an den Folgen ihrer Drogensucht starben, ist übrigens ein Beispiel dafür, dass in Ausnahmefällen auch Kunstschaffende bei den Ankäufen berücksichtigt werden können, die nicht in Zürich leben, aber in der hiesigen Kunstszene präsent sind und/oder deren Arbeiten einen spezifischen Bezug zur Stadt haben.
Verbindungen von Formen und Themen
Es lassen sich noch weitere Fährten durch die Liste der Ankäufe 2020 legen. So schlagen sich neue Formen der Darstellung des menschlichen Körpers in den Videoarbeiten von Milva Stutz, Marina Kummer oder Valentina Pini nieder. Und auf indirekte Weise auch in der Konzeptarbeit von Jana Vanecek, die sich kritisch mit dem unauflösbaren Spannungsverhältnis zwischen kapitalträchtiger Biotechnologie und individueller Krankheit befasst. Lisa Biedlingmaier referiert auf esoterische Heilpraktiken, denen ein alternatives Körperbild zugrunde liegt und Veronika Spierenburg schliesslich formuliert in ihrer Videoarbeit eine neue Praxis der Aneignung des öffentlichen Raums durch das Individuum.
Um Stadträume und deren unkonventionelle Nutzung geht es nicht nur bei Spierenburg, sondern auf komplett andere Weise auch bei Michael Meiers und Christoph Franz' Installation «Für Treu und Glauben». Sie macht die Netzwerke und Lobbying-Strukturen im Schweizer Immobilienbusiness transparent, die sich massiv auf unseren Alltag als Mieter auswirken. Die Darstellung ist eingeätzt in eine riesige Glasplatte – Transparenz im doppelten Sinn. Pascal Häusermann hingegen imaginiert in seinem Zeichnungszyklus «Itinerar und Ornament» imaginäre Rundgänge und Aneignungen von ikonischen Bauten der Moderne, während Jan Vorisek uns in seinem Video «Exercise in Installation» auf einen verstörenden Trip durch einige Tunnelstrukturen der Gegenwart mitnimmt. Schöner hingegen als mit «Büropolis», einem als Piranesi-Architektur getöpferten Bürohocker von Andres Lutz/Anders Guggisberg, kann man die verwaltete Welt kaum aufs Korn nehmen.
Schliesslich finden sich auch einige künstlerische Positionen, die von der anhaltenden Attraktivität der Auseinandersetzung mit Malerei für heutige Künstler*innen zeugen. So inszeniert Athene Galiciadis in ihrem Stillleben raffiniert das Verhältnis von Raum, Fläche, Volumen und Ornament zueinander, während Maria Pomiansky historische Situationen in Zürich imaginiert, die es so nie gab: Lenin im Cabaret Voltaire und im Café Schober. Sebastian Schaub hingegen hat stadtbekannten Zürcher Einkaufstüten mit «Sprüngli» und «Globus» ein augenzwinkerndes Denkmal gesetzt. Karin Schwarzbeks Installation «171-2019/2020» aus orangen Sicherheitswesten lässt sich hingegen als konzeptuelle Auseinandersetzung mit Monochromie und textilem Malgrund interpretieren.
Insgesamt fanden 35 künstlerische Positionen, einzelne davon mit einer kleinen Werkgruppe, neu Eingang in die Kunstsammlung. Sie werden künftig nicht nur in den Räumen der Verwaltung sichtbar, sondern voraussichtlich 2022 auch im Rahmen einer Ankaufsausstellung gezeigt werden.
Text: Barbara Basting
Foto: Künstler*innen oder genannte Fotograf*innen
Bild 1: Lisa Biedlingmaier, aus der Serie «I am Healer», Untitled 6, 2019, Makramee, Seile (Polyester), Stahl, UV-Licht, glasierte Keramik, 150 x 150 cm.
Bild 2: Karin Schwarzbek, «171–2019/2020», hochsichtbarer Warnbekleidungsstoff EN20471, Garderobenhaken mit konischer Nut PHOS HKN 16, 259 x 187 x 6,7 cm.
Bild 3: Maria Pomiansky, Lenin im «Café Schober», 2017, Öl auf Leinwand, 50 x 50 cm. Foto Vadim Levin