Der Kunstmarkt in der Pandemie. Digitaler, diverser, weiblicher
Wie die Pandemie den Kunstmarkt transformiert, dazu liefert eine Studie nun erste Erkenntnisse. Sie ist aufschlussreich nicht nur für Sammler:innen und Galerist:innen, sondern auch für Künstler:innen – und für die Kunstförderung.
Wer dieses Jahr Gelegenheit hatte, an die «Art Basel», die «Liste» und die parallel stattfindenden kleineren Kunstmessen zu gehen, dürfte deutlich gespürt haben, dass der Überschwang mancher Prä-Covid-Jahre fehlte. Selbst nach der Finanzkrise von 2008 gab es nicht dieses Gefühl eines Bruches. Das Kunstangebot war durchaus attraktiv, dem Vernehmen nach liefen die Geschäfte auch ausgesprochen gut. Aber das Publikum wirkte verhaltener als in den letzten Jahren, was sicher nicht nur an der pandemiebedingten Verschiebung vom Juni in einen schon recht herbstlichen Spätsommer lag. Aus den bekannten Gründen fehlten die manchmal recht extravagant auftretenden amerikanischen Sammler:innen, auch Besucher:innen aus Asien musste man suchen und der Galerienmix schien ebenfalls «europäischer» als in manch früheren Jahren. Zugleich signalisierte die Messe: Der Betrieb läuft wieder, man rappelt sich auf und blickt nach vorne. Das Schlimmste scheint überstanden. Die jeweils in einer angrenzenden Messehalle ausgestellten «Swiss Art/Design Awards», die Ausstellung der Eidgenössischen Stipendien, verzeichnete sogar einen Rekordzulauf.
Daraus nun generelle Schlüsse zum Zustand des Kunstbetriebs und vor allem zur individuellen Situation der Künstler:innen ziehen zu wollen, wäre mehr als tollkühn. Zu unterschiedlich sind die Biografien, die Wirkungskreise, die Laufbahnen. Man sollte nicht vergessen, dass es etliche erfolgreiche Künstler:innen gibt, die man kaum je auf Messen sieht.
Digitaler Schub
Dennoch lohnt es sich gerade dieses Mal, einen Blick in die seit einigen Jahren regelmässig von der Art Basel zusammen mit der UBS (als Hauptsponsorin der Messe) publizierten «Art Market Studies» zu werfen. Die neueste Ausgabe, pünktlich zur Eröffnung der Messe erschienen, liefert eine detaillierte Datenerhebung und -analyse zu den Pandemiefolgen im internationalen Kunstmarkt. Dabei griff man auf das der Art Basel verbundene weltweite Netz von Kunsthändler:innen und Kunstkäufer:innen zurück. Bei der Auswertung kamen auch Big-Data-Analysen mittels «Artificial Intelligence» zum Einsatz – ein erster Hinweis auf den Digitalisierungsschub durch Covid19.
Man mag die Resultate zwar mit einer gewissen Vorsicht geniessen. Denn der Einzugsbereich der Studie beschränkt sich hauptsächlich auf Hongkong SAR, UK, Deutschland, USA und die Schweiz. Ausserdem wird auf eine sehr vermögende Kunstkäufer:innenschicht fokussiert, im Marketingsprech als «high net worth individuals» bezeichnet. Öffentliche Kunstförderer etwa werden nicht berücksichtigt. Allerdings wird zugestanden, dass gerade letztere – wenn auch mit ziemlich ausgeprägten länderspezifischen Unterschieden – sowohl finanziell wie insbesondere strukturell für die Entwicklung von Künstler:innenlaufbahnen eine gewichtige Rolle spielen. Dies durch direkte Förderung, aber auch indirekt durch die Subvention von Kunstinstitutionen. Interessanterweise wissen dies gerade die befragten Sammler:innen mehrheitlich zu würdigen, jedenfalls deutlich stärker als die einbezogenen Galerist:innen und Kunsthändler:innen.
Trotz all dieser Vorbehalte bietet die Studie interessante Erkenntnisse, von denen sich manche mit persönlichen Eindrücken decken. Ganz klar und wenig überraschend, hat (auch) der Kunstmarkt durch Covid19 einen digitalen Schub erfahren. Selbst Händler:innen, die zuvor kaum auf Online-Präsenz setzten, haben das unter dem Druck der Verhältnisse rasch geändert. Besonders wendige Kunsthändler:innen profitierten am meisten von der Umstellung auf digitale Formate. Und: Sie trafen mit ihren Angeboten vor allem den Nerv einer jüngeren Generation. Wie zu erwarten war, nimmt bei den Generationen, die auf die sogenannten Babyboomer (bis Jahrgang ’64) folgen, die Aufgeschlossenheit für digitale Kunstformen wie auch für Online-Kunstkäufe in bemerkenswertem Masse zu. Unübersehbar ist dieser Trend bei den «digital natives». Die Babyboomer sind demnach die letzte Generation, die noch fixiert scheint auf Malerei und Skulptur. Bei den Jüngeren scheint alles möglich – bis hin zum Interesse für die «NFTs», die zuletzt viel diskutierten «non-fungible tokens», Kontrakte auf Kunstanteile, die auf die Blockchain und Digitalwährungen setzen.
Rasche Erholung
Bezüglich der Marktentwicklung ist die Aussage der Studie ebenfalls recht eindeutig: Es gab 2020 zunächst einen deutlichen Einbruch im Kunstmarkt. Dieser führte auch zu Entlassungen in der Branche. Doch man hat sich insgesamt relativ rasch aufgerappelt. Dies unter anderem, weil die Pandemie weder mit einer massiven Rezession noch einem Kaufkraftverlust für das befragte Segment der Kundinnen und Kunden einherging. Im Gegenteil, viele Betuchte kauften weiterhin Kunst, sofern diese für sie entweder auf neuen Kanälen oder aufgrund ihrer langjährigen Kontakte zu den Kunsthändler:innen ihres Vertrauens erreichbar war. Am härtesten zu kämpfen hatten kleinere und mittelgrosse Galerien mit einem Jahresumsatz von bis zu 1 Million USD. Am meisten profitierten die ganz Grossen. Die Pandemie hat eine ohnehin schon länger zu beobachtende Marktkonzentration offensichtlich verstärkt.
In Asien («Greater China», worunter vor allem Hongkong zu verstehen ist) zogen die Verkäufe nach dem Einbruch 2020 mit 18 % Zuwachs besonders stark an, während in Europa erst einmal ein sattes Minus von 7 % verzeichnet wurde: Vielleicht ein Hinweis auf künftige, noch markantere Verschiebungen des Kunstmarkts nach Asien, die sich schon länger ankündigen. Sehr bemerkenswert ist auch, dass vor allem wohlhabende Frauen Geld für Kunst ausgegeben haben. Und es wird auch einmal mehr bestätigt, dass Frauen im Galeriensegment recht breit vertreten sind; so sind immerhin fast 50 % der Gründer:innen Frauen, wobei ihr Anteil in den unteren Positionen in Galerien noch um einiges höher ist. Der Kunstmarkt scheint diesen Trend noch nicht ganz wahrgenommen zu haben. Wenn man etwa die diesjährige «Art Unlimited» durchschritt, waren Künstler:innen klar in der Minderzahl. Das ist kaum dem Kurator Giovanni Carmine, einem früheren Mitglied der «Kommission für Bildende Kunst der Stadt Zürich» anzulasten, sondern eher den Galerien, die für diese Präsentation Werke einreichten und dabei fast ausschliesslich auf männliche Positionen setzten. Positiv stimmt, dass sich – ausgelöst von den Diskussionen infolge der «Black Lives Matter»-Bewegung und anderer gesellschaftlicher Trends – eine grössere Diversität im Kunsthandel allmählich Bahn zu brechen scheint. Die Studie macht dies an den Aussagen der Kunsthändler:innen zu ihrer Personalpolitik fest: So haben etliche angefangen, ihre Teams diverser aufzustellen.
Neugier und Bewusstsein für Öko-Fussabdruck
Spannend ist auch der Ausblick der Studie. Einerseits zeigt er, dass die Schweizer:innen am optimistischsten sind, was die Entwicklung des Kunstmarkts (und parallel dazu des Aktienmarkts) nach der Covid-Krise betrifft, während die Deutschen und die Engländer (Post-Brexit) eher pessimistisch sind. Insbesondere für jüngere Künstler:innen dürfte es auch eine gute Nachricht sein, dass in Deutschland und der Schweiz die Aufgeschlossenheit für neue künstlerische Positionen am grössten ist. Von den befragten vermögenden Sammler:innen gaben nämlich in Deutschland 7 % und in der Schweiz immerhin noch 4 % an, dass sie bei ihren Kunstkäufen «ausschliesslich» auf neue Namen achteten. Hingegen sind es in den USA nur gerade einmal 2 % aus diesem Segment. Einschränkend könnte man bemerken, dass die Neugierde auch auf ein schmaleres Budget hinweisen dürfte; wer wenig Geld für Kunst ausgeben kann, kauft tendenziell jüngere, weniger etablierte und daher günstigere Kunst.
Erfreulich klingt auch, dass immerhin 68 % der Befragten den «carbon foot print», den der Kunstbetrieb hinterlässt, für besorgniserregend halten. Sofern sich das Bewusstsein für die Beschädigungen der Umwelt durch den Kunstzirkus in Handlungen niederschlägt, dürfte dies zu einem deutlich lokaleren Radius des Kunstbetriebs führen. Aber sich fleissig umgucken, und zwar vorzugsweise in Museen, Institutionen, gerne auch in Galerien und auf Messen, wollen die Kunstliebhaber:innen weiterhin. Ob sich das nicht beisst?
Netzwerke machen Karrieren
Eine weitere aufschlussreiche Aussage findet sich ganz gegen Ende der Studie. Dort wird die Bedeutung der zehn weltweit grössten und mächtigsten Galerieimperien (wie der führenden Galerie Gagosian oder auch jener von Hauser & Wirth aus Zürich) für Künstlerkarrieren genauer untersucht. Demnach definieren diese die Karrieren der von ihnen vertretenen Künstler:innen keinesfalls in dem umfassenden Mass, das oft unterstellt wird. An der Entwicklung einer erfolgreichen Laufbahn sind, so die Studie, sehr viele Akteur:innen und ganze Netzwerke beteiligt. (Auf deren Machart einen genaueren Blick zu werfen wäre allerdings hoch interessant – ein unerschöpfliches Thema für kritische Analysen.) Bestätigt wird: Eine öffentliche Kunstförderung, die sowohl Künstler:innen wie Institutionen unterstützt und mit ihren Hebelwirkungen die Sichtbarkeit von Kunst für das Publikum stärkt, gehört dazu.
Doch wie diese Unterstützung mit Blick auf die stetigen Veränderungen des Kunstbetriebs in den nächsten Jahren idealerweise aussieht, ist nicht aus dem Stegreif zu beantworten. Klar ist nur: Die Kunstförderung muss ihre Rolle und entsprechend ihre Instrumente regelmässig überprüfen – so wie dies die Kulturabteilung der Stadt Zürich derzeit beispielsweise im Rahmen des «Labors der Kulturförderung» und der dazu ausgeschriebenen Pilotprojekte sowie jeweils bei der Entwicklung ihres für vier Jahre geltenden Leitbilds tut.
Text: Barbara Basting
Fotos: © Art Basel / Courtesy Art Basel und BAK, Swiss Art Awards 2021
Abstract und Gratis-Download:
The Art Basel and UBS Global Art Market Report