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Werkjahr Bildende Kunst: Das Tier ist auch ein Mensch

Benjamin Egger mit Mitbewohner Farok. Foto Marvin Jumo

Sandra Frimmel (SF): Das Werkjahr Kunst erlaubt es dir, ein Jahr recht frei von finanziellen Sorgen künstlerisch arbeiten zu können. Was bedeutet das für deine Kunst?

Benjamin Egger (BE): Es gibt mir vor allem Luft und nimmt spürbar Druck weg. Dadurch bleibt mehr Raum zum Experimentieren und Ausprobieren. Bislang habe ich viel Zeit damit verbracht, mir Techniken anzueignen, und musste mir sehr genau überlegen, ob ich ein bestimmtes Material, mit dem ich gerne arbeiten würde, wirklich kaufen soll. Jetzt spüre ich eine gewisse Professionalisierung, durch die auch meine Arbeitsbeziehungen seriöser werden, weil sie nicht mehr nur darauf basieren, dass man sich gegenseitig einen Gefallen tut. Ich kann die Leute für ihre Arbeit bezahlen, wenn sie mir helfen, meine Ideen umzusetzen, und so anders wertschätzen. Ich fühle mich dadurch freier und kann noch lustvoller an die Dinge herangehen.

SF: Du untersuchst die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Das ist nicht nur in der Kunst ein wichtiges Thema, sondern auch in gesellschaftlichen und politischen Debatten, wenn es z.B. um das Wohl von Nutztieren, die Überzüchtung von Haustieren, aber auch um Klimafragen allgemein geht. Welche Aspekte sind dir dabei wichtig?

BE: Meiner Ansicht nach ist die Art, wie wir Menschen aus einer Perspektive der Überlegenheit auf unsere Umwelt schauen, grundsätzlich falsch. Diese Idee des menschlichen Exzeptionalismus, der alles um uns herum zum Inventar der menschlichen Population erklärt, müsste sich dringend ändern. Dabei ist die kategorische Unterteilung von Mensch und Tier für mich ein zentrales kulturhistorisches Konstrukt, das hinterfragt werden sollte. Die Wissenschaft hat unglaublich eindrückliche Fakten über Empfindsamkeit, Sprache und Kultur bei nicht-menschlichen Tieren erforscht, sodass die Trennung von menschlich und tierisch auf vielen Ebenen hinfällig geworden ist. Dennoch scheint es für viele Menschen sehr schwierig zu sein, sich vorzustellen, dass das Steak, das sie sich im Supermarkt kaufen, vorher in einem hochkomplexen, lebendigen und sorgenden Sozialgefüge herumgelaufen ist. Hier besteht nicht nur aus einer ethischen, sondern auch aus einer ökologischen Perspektive dringender Aufholbedarf.

«Inherent Crossing», Forschungstag der Zürcher Hochschule der Künste, 2015. Foto Benjamin Egger

SF: Wie gehst du an dieses komplexe Thema speziell mit den Mitteln der Kunst heran?

BE: Ich denke, dass unser Blick auf das nicht-menschliche Tier in der Kunst effektiv neu gedacht oder anders manifestiert werden kann. In künstlerischen Arbeiten muss ich nicht Fakten aneinanderreihen oder Argumente in Sprache fassen, sondern ich kann das Publikum mit Bildern emotional und körperlich ansprechen. Wie blicke ich z.B. auf eine Schnecke auf dem Weg? Bin ich fasziniert davon, dass sie überhaupt ihr Haus tragen kann, oder ist es einfach Ungeziefer, das ich zertreten kann? Ich glaube, diese potenzielle Verschiebung der Wahrnehmung ist ein wichtiges Instrument der Kunst. 

SF: In deinem ersten Projekt «Inherent Crossing» (2012–2017) hast du dich über einen langen Zeitraum mit Schimpansen beschäftigt. Die Frage, ob Affen Kunst erschaffen können, wurde vor allem im 20. Jahrhundert im Zusammenhang mit den verschiedenen abstrakten, gestischen Malweisen oft gestellt und auch wissenschaftlich breit erforscht. Ist über Affen in der Kunst nicht längst alles gesagt?

BE: Ich denke nicht. In den mir bekannten Studien wurden die Schimpansen vornehmlich trainiert, um in einer spezifischen Versuchsanordnung etwas auszuführen. Mich hat im Gegensatz dazu interessiert, ob es auch ein selbstmotiviertes Verhalten gibt, ob Schimpansen mit Farben und Pinsel experimentieren, wenn es ihnen frei überlassen wird, sich damit zu beschäftigen. Im Lauf des Projekts hat sich herausgestellt, dass es dabei unglaublich wichtig ist, ob sich Sympathie zwischen dem jeweiligen Schimpansen und mir einstellte. Das führte zu einer interessanten Spannung: Die Wissenschaft, in dem Fall die Primatologie, thematisiert diese Dynamik zwischen zwei Individuen nicht, weil sie allgemeingültige Aussagen machen will. In der Kunst kann ich das aber sehr wohl. 

Benjamin Egger, «Untitled» (r.), Ausstellungsansicht Helmhaus 2022. Foto Zoe Tempest/Helmhaus Zürich

SF: Du lebst mit einem Hund zusammen, was sich auch als Erweiterung deiner Kunst ins Leben verstehen lässt. Wie hat sich durch dieses Zusammenleben dein Leben und vielleicht auch deine Kunst verändert?

BE: Nach dem Projekt mit den Schimpansen wollte ich einen Schritt weiter gehen und mit einem nicht-menschlichen Tier meinen Alltag und meinen Lebensraum teilen. Deswegen habe ich einen Hund aus dem Tierheim adoptiert, Farok, der aufgrund seines Verhaltens schon mehrmals zurückgegeben worden war. Da ist viel Raum für buchstäbliche Beziehungsarbeit und diese Beziehung greift stark in den gemeinsamen Alltag ein. Ich habe dabei viel darüber gelernt, wie anders so ein Körper die Welt wahrnimmt und sich in der Welt verhält. Dadurch bekomme ich auch mein Anderssein immer wieder gespiegelt. Ich wollte den veränderten Blick, über den ich nachdenke und mit dem ich arbeite, selbst leben.

Gleichzeitig interessiert mich die Tatsache, dass wir Menschen mit Hunden eine über zwanzigtausend Jahre lange gemeinsame Geschichte teilen. Die immer noch gängige Ansicht, dass Menschen den Wolf mir nichts dir nichts zum Hund «gemacht» haben, ist für mich zu kurz gegriffen. Mich interessiert, wie viel Hund im Menschen steckt und wie viel Mensch im Hund, wie sich Hündisches ins menschliche Erbgut eingeschrieben hat oder inwiefern Hunde sich menschliche Verhaltensweisen angeeignet haben. Aus den persönlichen Erfahrungen mit Farok und der Auseinandersetzung mit Fragen der koevolutionären Verstrickung von Hund und Mensch sind bereits mehrere künstlerische Arbeiten entstanden.

SF: Auf deiner Website findet sich eine amüsante Handlungsanweisung für eine neue Weltwahrnehmung: «Start sniffing. Go on all fours. Follow a smell. Don’t talk. Growl when you cross someone’s way. Explore the smell.» (Fang an zu schnüffeln. Geh auf allen Vieren. Folge einem Geruch. Sprich nicht. Knurre, wenn du den Weg von jemandem kreuzt. Erforsche den Geruch.) Wie viel Humor steckt in deinen grossen Fragen?

BE: Schon noch viel (lacht). Ich finde es sehr lustig, wie wir uns als menschliche Population viel zu ernst nehmen. Es wäre für uns alle gesünder, zu sehen, wie komisch wir eigentlich sind in der Art, wie wir uns gebärden oder was uns wieso wichtig ist. Uns in vermeintlich komische Situationen zu begeben, z.B. auf alle Viere, kann da etwas aufbrechen. Es ist ja ein strukturelles Problem, dass das Tierische weitgehend als minderwertig betrachtet wird, aber so bringt es uns zum Lachen und befreit uns für einen Moment von unserem Mensch-Charakter. Das hat etwas Kindisch-Lustig-Humorvolles, aber es hat auch etwas Politisch-Ernsthaftes.

SF: Woran arbeitest du in der Zeit des Werkjahres, gibt es ein grosses Projekt?

BE: Ich möchte schon seit zwei Jahren einen Science-Fiction-Film mit Hunden realisieren. Das Konzept sieht so aus: Die Menschen sind ausgestorben. Die Hunde, deren evolutionäre Entwicklung mit unserer eigenen engstens verwoben ist, haben uns überlebt. Nun fragen sich die Hunde: Wieso gibt es uns überhaupt? Anhand dieser Befragung der eigenen Existenz der Hunde möchte ich auch die Befragung der menschlichen Existenz reflektieren. Mein derzeitiges Denkkonzept nenne ich «Animal as Alien». Unser Blick auf das Ausserirdische ist geprägt von einer Mischung aus Nichtwissen und Ehrfurcht. Eigentlich gibt es diesen Blick ja nur in Filmen und Büchern. Aber ich glaube, es wäre extrem fruchtbar, ihn auch auf das Nicht-Menschliche anzuwenden.

Interview: Sandra Frimmel, Präsidentin der Kommission für Bildende Kunst Stadt Zürich

Homepage des Künstlers. www.benjaminegger.com

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