Vom Provisorium zur Institution
Hörversion: Vom Provisorium zur Institution
Vom Kasten- zum Strandbad
In Rekordzeit erstellt und als Provisorium gedacht, ist das Strandbad Mythenquai von Anfang an eine Erfolgsgeschichte und wurde im Laufe der Zeit immer wieder erweitert und erneuert.
Angenehme 19 Grad vermeldete die Meteorologische Zentralanstalt für den Nachmittag des 17. Juni 1922, allerdings auch Gewitter und Regen – es war der niederschlagsreichste Tag des Monats. Mit einer Sonnenscheindauer von nur 2,3 Stunden herrschten keine idealen Bedingungen, um das Strandbad zu eröffnen, die zehnte Badeanstalt in der Stadt.
Andere Schweizer Städte sind Zürich mit solchen Einrichtungen, die «kolossal frequentiert» werden, weit voraus. Es galt, etwas aufzuholen – das Sonnen-, Luft- und Schwimmbad am Mythenquai wurde innert kürzester Zeit erstellt. Auch die Zürcher Bevölkerung freute sich über das neue Familienbad und nahm den, wie es sich damals anfühlte, «weiten, heissen Weg zu dieser vom Verkehr abgelegenen Badanstalt» auf sich. Das Strandbad war eigentlich von Beginn weg zu klein und erfuhr immer wieder Umgestaltungen. Zudem sollte es der «von der modernen Hygiene» geforderten «gesundheitlichen Erstarkung der Bevölkerung» dienen. Tatsächlich wurde aber auch mit verschiedenen Attraktionen die Spasskultur gefördert. Heute gibt es in Zürich sieben Hallen-, sieben Frei-, sechs See- und fünf Flussbäder, die jährlich von rund 2,6 Millionen Menschen besucht werden.
1922 gab es in Zürich neun Badeanstalten, natürlich streng nach Geschlechtern getrennt. Die älteste noch existierende ist das Männerbad Schanzengraben von 1864. Die Badeanstalten waren nicht zuletzt auch Badezimmer, über die damals nur die wenigsten Wohnungen verfügten. Am Zürichberg unterhielt der Naturverein Zürich zwar ein Luft-, Licht- und Sonnenbad, die Kombination aber von Wasser- und Sonnenbaden war nur in einigen kleinen Abteilungen der Kastenbäder, wie beispielsweise dem Utobad, möglich – abgesehen etwa vom Katzen-, Egel- und Greifensee oder dem «Wildbaden» bei den Bootshäusern in der Enge.
Das Wasser-, Luft- und Sonnenbad
Der Aushub der linksufrigen Eisenbahnlinie landete im See, auf dem gewonnenen Land wurde das Strandbad Mythenquai erstellt. 80 Rappen kostete der Tageseintritt 1922.
Die Eisenbahnlinie am linken Seeufer verlief zu Beginn noch auf Strassenniveau. Mit steigendem Verkehrsaufkommen wurde die Seebahn, wie die linksufrige Bahnlinie genannt wurde, tiefergelegt – und der Aushub landete im Zürichsee, wo sich auch schon die Anfänge eines Familienbads zeigten. Allerdings war das Gelände noch uneben und das Baden recht gefährlich. Auf dem neu gewonnenen Land sollte ein Wasser-, Luft- und Sonnenbad entstehen, geplant als Provisorium für zehn Jahre. Das wurde allgemein begrüsst, wie die NZZ schrieb: «Eltern und Kinder, Mann und Frau, die durch zwingende Berufsgründe viel zu wenig in ungezwungener Weise bei einander sind, sich heute höchstens abends im Zustande der Ermüdung, ja der Nervosität und Gereiztheit sehen, müssen wenigstens die Stunden bester körperlicher und seelischer Ausspannung miteinander verbringen können.»
Der Grosse Stadtrat bewilligte am 29. März 1922 den Kredit von 150 000 Franken für das neue Strandbad mit einem öffentlichen Spiel- und Sportplatz, das tatsächlich bereits am 17. Juni 1922 eröffnet werden konnte. Für den Aufenthalt von zwei Stunden wurden 20 Rappen fällig, für jeden weitere Stunde 10 Rappen, für den ganzen Tag hatte man 80 Rappen zu bezahlen. Eine Kabine für einen Tag kostete einen Franken, Truhen gab es bereits für 50 Rappen. Personen mit ansteckenden Krankheiten oder «ekelerregendem Ausschlag» war der Zutritt verboten, ebenso waren «unanständiges, lärmendes Betragen», das «Auswinden der Badwäsche in den Kabinen» und die «Verwendung von Seife» unerwünscht. An 105 Betriebstagen besuchten im ersten Jahr 207 000 Personen das neue Bad. Am 2. Juni 2019 zählte man im Strandbad Mythenquai 40 000 Badende – an einem einzigen Tag.
Bildnachweis
Oberes Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz. Fotograf: Mittelholzer, Walter / LBS_MH01-004607 / Public Domain Mark
Unteres Foto: Baugeschichtliches Archiv. Fotograf: Tiefbauamt Zürich
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