Ein Pilgerzeichen Karls des Grossen?
Bei den Ausgrabungen im Fraumünsterquartier 2013–2014 wurde im Bereich der Börsenstrasse ein (Pilger)Abzeichen aus dem Spätmittelalter gefunden. Es zeigt Kaiser Karl den Grossen bei der Hirschjagd und der anschliessenden Auffindung der Gräber von Felix und Regula.
Das nur 4 cm grosse Abzeichen aus Metall zeigt einen Reiter auf seinem Pferd. Das reich geschmückte Pferd sinkt mit nach vorne geneigtem Körper in die Knie, wie das umgebogene linke Vorderbein zeigt. Die untere Hälfte des rechten Beins ist leider abgebrochen. Der Reiter – aufgrund der Krone ein Kaiser oder König – trägt ein modisches, eng geschnittenes Wams, gewellte, halblange Haare umgeben ein bartloses Gesicht. Das Abzeichen konnte mit zwei gegenständigen Nadeln auf der Rückseite an einem festen Stoff wie Filz oder Wolle befestigt werden.
Der Legende nach jagte Karl der Grosse von Köln her kommend tagelang einer weissen Hirschkuh nach. Diese kniete beim heutigen Grossmünster nieder und sogleich taten es ihm die Hunde und Pferde der Jagdgesellschaft nach. Nachdem ihm berichtet wurde, dass hier etliche Heilige begraben lägen, liess Karl nach den Gräbern suchen und die Gebeine von Felix und Regula sowie Exuperantius erheben.
Karl der Grosse in Zürich
Die Szene auf dem Abzeichen ist mit der Darstellung auf dem Stifter-Kapitell im Grossmünster vergleichbar, das in die Mitte des 12. Jahrhundert datiert. Dieses Kapitell legitimierte das Grossmünster als Gründung Karls des Grossen und ist dessen früheste Darstellung in Zürich.
Nach seiner Heiligsprechung im Jahr 1165 waren seit dem 13. Jahrhundert auch Reliquien Karls verfügbar, ab 1233 besass das Grossmünster einen Daumen Karls. In der Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde Karl auch in den übrigen Zürcher Kirchen als Heiliger verehrt, und Karls Bild erschien auf Zürcher Münzen. Im Spätmittelalter erhielt Karl eine auf Zürich zugeschnittene Biografie, und in den 1480er Jahren entstand die überlebensgrosse Sitzstatue am Südturm (heute Kopie von 1935).
Fundort und Bedeutung
Gefunden wurde das Abzeichen in der Börsenstrasse auf der Höhe der Hausnummer 14. Es stammt aus einer siltigen Schicht, die sich zwischen der Stadtmauer des 13. Jahrhunderts und dem See abgelagert hatte. Bei den Funden aus der Schicht handelt es sich um Haushaltsabfall aus dem Kratzquartier, der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts dort abgelagert wurde.
Das Abzeichen ist eines der ersten Zeugnisse der individuellen Verehrung Karls. Es wirft neue Fragen auf: Ist es als Beleg für regelrechte Wallfahrten zu Karls Reliquien zu lesen? Und wurde es im Umfeld des Gross- oder des Fraumünsters hergestellt und verkauft?
(Fotos AfS/Archäologie)