Lokalmatadoren und charismatische Einzelgänger
Die städtische Kunstsammlung birgt ein Nebeneinander ganz unterschiedlicher Werke. Gehaltvolle, intellektuell herausfordernde Kunst steht neben kunstgewerblichen Arbeiten, das traditionelle Gemälde neben dem experimentellen Video. Die Vielfalt macht die Besonderheit und den Wert der Sammlung aus – auch für die kunstgeschichtliche Forschung. Wie sind die Werke der Träger*innen des Kunstpreises der Stadt Zürich in diesem Fundus vertreten?
Von Caroline Kesser
1954 wurde Helen Dahm als erste Frau mit dem Kunstpreis der Stadt Zürich ausgezeichnet. Als Dank dafür beschenkte die damals bereits 76-jährige Malerin die Stadt mit achtzig Gemälden und Zeichnungen. Diese Werkgruppe gehört heute zum «unverderblichen» Bestand der städtischen Kunstsammlung. Ihre Bilder werden immer wieder begeistert ausgeliehen.
Ohne diese Schenkung wäre Helen Dahm in der Kunstsammlung nur unbedeutend vertreten gewesen. Anders als Hermann Hubacher, Paul Bodmer, Hermann Haller und Ernst Morgenthaler, die vor ihr den Kunstpreis entgegennehmen konnten, zählte sie eben nicht zu den «sicheren» Werten im Zürcher Kunstbetrieb. Breite öffentliche Anerkennung fand sie erst durch ihre Retrospektive im Helmhaus, 1953. Mit ihrer schwer einzuordnenden archaisch-expressiven, sinnlich-vergeistigten Malerei ist Dahm eine Aussenseiterin geblieben, was sie von den Zeitströmungen unberührt gelassen hat.
Junge Preisträger – weniger Werke
Der Kunstpreis der Stadt Zürich wurde 1932 als Kulturpreis für alle Kunstsparten eingerichtet und nur alle paar Jahre einem Vertreter, seltener einer Vertreterin, der bildenden Kunst verliehen. Nimmt man an, dass die hervorragendsten Zürcher Künstler und Künstlerinnen mit diesem Preis geehrt wurden, darf man erwarten, dass diese in der rund hundertjährigen Kunstsammlung der Stadt besonders gut vertreten sind. Das stimmt nur zum Teil.
Überraschend waren die Vergaben an den welschen Basler Jean Tinguely (1983) und an den berühmten Bühnenbildner Teo Otto (1965), der in Konkurrenz zu einer ganzen Reihe guter Künstler im engeren Sinn stand. Ausschlaggebend für eine repräsentative Vertretung in der Kunstsammlung ist sicher einmal der Zeitpunkt der Preisverleihung. Bis zu Peter Fischli und David Weiss, die 42- beziehungsweise 48-jährig waren, als sie 1994 den Kunstpreis bekamen, waren die Preisträger im Durchschnitt 68 Jahre alt. In der Regel handelte es sich um Grössen, die sich im Laufe von Jahrzehnten einen Namen gemacht hatten und in dieser Zeit auch immer wieder mit Ankäufen und Aufträgen durch die Stadt bedacht wurden. Dabei kamen erfreulicherweise nicht nur Lokalmatadoren, sondern auch Einzelgänger zum Zug.
An erster Stelle wäre da Varlin (1900–1977) zu nennen. Varlin hatte schon früh Eingang in die Kunstsammlung gefunden; seit 1936 wurden immer wieder Bilder von ihm angekauft. Der ihm 1967 verliehene Preis war nicht unumstritten, hielten vehemente Anhänger der Moderne seine figurative Malerei doch für hoffnungslos überholt. Die Stadt kann sich nun rühmen, von diesem ausserordentlichen Maler eine hochkarätige, repräsentative Werkgruppe in ihrem Besitz zu haben.
Ankäufe zum richtigen Zeitpunkt
Das kann Zürich bezüglich Max Bill, Varlins Antipoden, nicht behaupten, der den Kunstpreis im folgenden Jahr erhielt. Zu diesem Zeitpunkt besass die Stadt ein einziges, 1956 angekauftes Gemälde von ihm. Die Ankaufs-Kommissionen taten sich lange schwer mit der konkreten Kunst, was auch Richard Paul Lohse (Kunstpreis 1973) und Camille Graeser (Kunstpreis 1975) zu spüren bekamen. Als man ihren Wert erkannte, waren die Werke bereits zu teuer für einen zweckungebundenen Kauf.
Bill war aber auch schon früh berühmt und präsent im Kunstbetrieb, so dass die Stadt ihn nicht zu unterstützen brauchte. Seine granitene Pavillon-Skulptur an der Bahnhofstrasse möchte heute bestimmt niemand mehr missen. Das Geschenk der Schweizerischen Bankgesellschaft wurde aber erst jahrelang öffentlichen Debatten ausgesetzt, bevor es 1983 an seinem heutigen Standort aufgestellt werden konnte.
Bei der Frage nach der Vertretung der Zürcher Kunstpreisträger in der städtischen Kunstsammlung spielt neben dem beschränkten Budget auch der Fördergedanke eine Rolle. Je langsamer eine(r) zu Ansehen kam, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihre/seine Entwicklung anhand von Werken in der Kunstsammlung ablesen lässt. Dies trifft sowohl auf Otto Müller (Kunstpreis 1985) als auch auf Hans Josephsohn, den vorläufig letzten Preisträger (2003), zu – mit dem Unterschied, dass Müller lange zu den Bekanntesten am Platz gehörte, während Josephsohn abgeschieden arbeitete, bis ihm mit achtzig Jahren ein rasanter Durchbruch gelang.
Talente früh erkennen
Will man wissen, wie sensibel die jeweilige Ankaufskommission auf die Talente reagierte, zählt weniger die Anzahl der angekauften Werke als der Zeitpunkt ihrer Erwerbung. Dass Peter Fischli und David Weiss in der Kunstsammlung numerisch bescheiden vertreten sind, hat mit ihrem schnellen internationalen Aufstieg und nicht mit Missachtung zu tun. 1984 kaufte man eine ihrer ersten Polyurethan-Installationen an. In den Besitz ihrer berühmten «Wurstserie», dem ersten Gemeinschaftswerk des Duos, gelangte die Stadt dann allerdings erst zehn Jahre später. In den letzten Jahren konnte die Kunstsammlung weitere Werke als Schenkungen der beiden Künstler entgegennehmen, die bei aller Internationalität der Stadt eng verbundenen geblieben sind.
Pipilotti Rist erhielt 2001 den Zürcher Kunstpreis – mit 39 Jahren, womit sie zur jüngsten Preisträgerin aller Zeiten wurde. Als die Stadt 1997 eine Videoinstallation von ihr erwarb, war die Ostschweizerin, die in Wien und Basel studiert hatte, schon international bekannt. Kein Wunder, konnten danach nur noch preisgünstige Reproduktionen angekauft werden. Mit Videostills in Form von Inkjetprints verfügt die Kunstsammlung aber über einen Fundus, der bestimmt nicht im Lager verstaubt.