Biodiversität

Ökologisch wertvolle Flächen nehmen nur sehr langsam zu
Intakte und gut vernetzte Lebensräume sind die Grundlage für eine hohe Biodiversität. Diese gilt es auch im Zuge der baulichen Verdichtung zu erhalten. Mit einer vorausschauenden Planung der Siedlungsentwicklung soll die Artenvielfalt in der Stadt Zürich erhalten bleiben und sich weiterentwickeln können. Basierend auf dem kommunalen Richtplan, Siedlung, Landschaft und öffentliche Anlagen (SLöBA) wird die Fachplanung Stadtnatur erarbeitet.

Aktuelle Situation

Ausschnitt Biotoptypenkartierung Seebach
Ausschnitt Biotoptypenkartierung Seebach. Dunkelblau: höchste Qualität 6, blau: Qualität 5, dunkelgrün: Qualität 4, hellgrün: Qualität 3, gelb: Qualität 2, violett: Qualität 1

Mit der Biotoptypenkartierung bewertet und erfasst die Stadt Zürich systematisch die ökologische Qualität des Stadtgebiets. Dabei werden über 120 verschiedene Biotoptypen unterschieden und einem Wert zwischen 1 und 6 zugewiesen. Werte von 4 bis 6 gelten als ökologisch wertvoll, 1–3 haben ökologisches Potenzial. Die erstmalige Kartierung 2010 ergab einen Anteil von 10,2 Prozent ökologisch wertvoller Grünflächen im Siedlungsgebiet. Gemäss Biotoptypenkartierung 2020 weist das Siedlungsgebiet heute 10,9 Prozent ökologisch wertvolle Flächen auf, d. h. eine Zunahme von 0,7 Prozent in 10 Jahren. Die jährlich erfolgende Hochrechnung ergab für 2022 eine minimale Reduktion.

Auch wenn Grünflächen tendenziell abnehmen, konnte die Qualität gesamthaft knapp gehalten werden. Dies zeigt, dass grosse Anstrengungen erbracht werden müssen, um das Ziel von 15 Prozent ökologisch wertvoller Grünflächen im Siedlungsgebiet aus dem Regionalen Richtplan zu erreichen. Viele Grünflächen in der Stadt sind zudem in Privatbesitz. Diese bergen ein beträchtliches Aufwertungspotenzial.

Qualitätsanteile Biotyptypen 2020/2022

Ökologisch wertvolle Flächen und Flächen mit Potenzial 2020/2022

Trockener und heisser Sommer 2022

Wegen des trockenen und heissen Sommers wurde der Stadtwald als Naherholungsgebiet von der Bevölkerung besonders intensiv genutzt. Insbesondere am Abend und in der Nacht wurden die Rastplätze häufig für Veranstaltungen genutzt. Die Trockenheit machte den Waldbäumen jedoch zu schaffen. Sämtliche Sturmflächen im Stadtwald sind mittlerweile geräumt und, wo notwendig, gruppenweise mit zukunftsfähigen Baumarten bepflanzt worden. Wegen des Sturms «Bernd» 2021 waren mehr baumpflegerische Massnahmen wie Notfällungen und Baumsicherungen notwendig. In den Park- und Grünanlagen sind viele neue Bäume gepflanzt worden. Eine Bilanz steht noch aus.

Vielfältige Stadtfauna

Die verschiedenen Tierartengruppen in der Stadt Zürich werden seit den 1990er Jahren systematisch erfasst. Dafür wird pro Jahr ein Zehntel des Stadtgebiets kartiert. Eine erste umfangreiche Auswertung erfolgte 2010 und eine zweite erweiterte fand im Buch «Neue Stadtfauna – 700 Tierarten der Stadt Zürich» seinen ausführlichen Niederschlag.

In diesem Buch sind sämtliche Tiergruppen, die in der Stadt Zürich vorkommen porträtiert. Für Libellen, Heuschrecken, Glühwürmchen, Wildbienen, Schmetterlinge, Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere inkl. Fledermäuse liegen Verbreitungskarten vor und Entwicklungstrends wurden eingearbeitet. Im Einleitungstext werden die Veränderungen der Tierwelt in einen grösseren Zusammenhang zu Klima, verdichtetem Bauen und Grünflächenverlust aufgezeigt.

Bild der blauflügligen Sandschrecke
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Wo alte, grosse Bäume stehen, kann man auch den Kleiber hören und sehen. Er ist auf dem ganzen Stadtgebiet verbreitet. Wegen Fällungen alter Bäume ist jedoch ein Rückgang der Population zu verzeichnen.

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Linden sind für Kleiber wichtige Nahrungsorte. Hier finden sie in Astlöchern oder alten Spechthöhlen auch geeignete Nistplätze, beispielsweise auf dem Lindenhof. Der Lindenhof ist auch für die Bevölkerung und Touristen ein wohltuender Ruheraum. Dank grosser schattenspendender Bäume hat er eine angenehm kühlende Wirkung.

Lindenhof

Ursachen & Belastungen

Artenvielfalt unter Druck

Jährlich führt Grün Stadt Zürich an verschiedenen Orten Wildbienenkartierungen durch. In der Schweiz leben über 600 Wildbienenarten. In Zürich wurden in den letzten Jahren rund 215 Arten nachgewiesen. Alleine in einem 100 Kleingärten umfassenden Familiengartenareal wurden 111 Arten festgestellt. Wildbienen sind gute Indikatoren für eine naturnahe, giftfreie Umgebung. In einem Areal oberhalb des Bahnhofs Stadelhofen wurden nach Umgestaltung einer wenigen Aren grossen, mit exotischen Bodendeckern bewachsenen Grünfläche noch im selben Jahr über 60 Arten gefunden. Die Neubepflanzung mit einheimischen Stauden und die naturnahe, giftfreie Pflege lohnt sich. Leider werden insbesondere auf privaten Grünflächen noch immer viele exotische, für die Insektenwelt unbrauchbare Stauden gepflanzt oder vermeintlich pflegeleichte Schottergärten erstellt. Mit dem Förderprogramm «Mehr als Grün» hat Grün Stadt Zürich ein Angebot geschaffen, um private bei der Umgestaltung finanziell und mittels Beratung zu unterstützen.

Auswirkungen

Die Vielfalt von Arten, Lebensräumen und deren Beziehungen sowie die genetische Vielfalt sind die Grundlage für alle Lebensprozesse; auch die des Menschen. Eine reiche Biodiversität sorgt für Stabilität im Ökosystem und schafft das Potenzial, auf künftige Veränderungen reagieren zu können. Zudem erbringt sie wichtige Ökosystemleistungen, wie die Nahrungsversorgung.

Biodiversität bringt Lebensqualität.

Die Biodiversität trägt zum Erhalt der Wasser- und Luftqualität bei, begünstigt das städtische Mikroklima (Stadtklima), unterstützt die Produktion von Nutzpflanzen durch Bestäubung, die Bodenbildung und die natürliche Regulierung von Schädlingen. Eine hohe Biodiversität sorgt für Lebensqualität, weil ökologisch wertvolle Grünräume Raum für Ruhe, Bewegung, Naturerlebnis und soziale Kontakte bieten. Folglich verringert sich die Lebensqualität, wenn die Biodiversität in der Stadt zurückgeht.

Massnahmen der Stadt

Die Stadt Zürich erhielt 2021 als erste Stadt der Schweiz das Label «Grünstadt Schweiz» mit Gold-Auszeichnung. Das Label wird an Städte und Gemeinden vergeben, die ihre Grünflächen nachhaltig planen, gestalten und pflegen. Der eingeschlagene Weg wird konsequent weitergegangen.

Auf gutem Weg

Mit dem «Grünbuch 2006» visierte Grün Stadt Zürich quantitativ und qualitativ anspruchsvolle Ziele an und stellte wichtige ökologische Weichen zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität. Der Rückblick auf die letzten zehn Jahre zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. Mit den Katzenseen und dem Uetliberg stehen zwei Gebiete von kantonaler Bedeutung unter Naturschutz, auf kommunaler sind über 145 ha geschützt und 473 ha im Inventar erfasst (Stand 2022). Das Grünbuch 2019 bekräftigt den eingeschlagenen Weg und zeigt Massnahmen auf, um diesen konsequent weiterzuführen.

Im kommunalen Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen zeigte die Stadt Zürich erstmals auf, wie die Anforderungen an eine qualitätsvolle räumliche Entwicklung erfüllt werden, die durch das Wachstum im Inneren notwendig werden. Der Richtplan legt unter anderem Massnahmen fest, wie die Biodiversität erhalten bzw. weiterentwickelt werden kann, z. B. mit der Erhaltung oder Schaffung von ökologischen Vernetzungskorridoren und Trittsteinbiotopen.

Projekt «Mehr als Grün»

Aufwertungsmassnahmen erfolgreich umsetzen

Das 2016 lancierte Pilotprojekt «Mehr als Grün» startete mit dem Ziel, ökologisch wertvolle Flächen zu schaffen. Neu hinzugekommen sind Vertikal- und Dachbegrünungen. 2022 wurden rund 20 Projekte mit ca. 210 000 Franken unterstützt und weitere 40 Projekte sind in Planung. Kirschlorbeer-Hecken werden durch einheimische Heckensträucher ersetzt, monotone Rasenflächen und Fettwiesen in Blumenwiesen umgestaltet, Schotterflächen mit Sand und Wandkies für Wildbienen aufgewertet, Krautsäume und Kleinstrukturen angelegt. Auf Baumscheiben und Verkehrsteilern blühen vermehrt Wiesensalbei, Margeriten, Gelbe Reseden, Esparsetten. 

Das Förderprogramm «Mehr als Grün» (GR Nr. 2021/230) wurde verlängert und mit 5 Millionen Franken für die Jahre 2022–2031 dotiert.

Verwaltungsinterne Weiterbildungen sichern sorgfältige Grünflächenpflege

Eine sorgfältige Grünflächenpflege ist für die langfristige Erhaltung dieser neu geschaffenen Lebensräume unabdingbar. Im Rahmen verwaltungsinterner Weiterbildungsprogramme werden die städtischen Gärtnerinnen und Gärtner laufend geschult und ihr Wissen, ihr Bewusstsein und ihre Handlungskompetenz gefördert. Es werden jährlich rund ein Dutzend Kurse zu Themen wie Mähen mit der Sense, Naturvielfalt, Wildhecken oder Wildstaudenpflanzungen angeboten. 

Beratung von privaten Bauträgerschaften

Auch auf privaten Grundstücken wurden etliche Aufwertungsmassnahmen umgesetzt oder in die Wege geleitet sowie mit Baugenossenschaften Gespräche und Begehungen vor Ort durchgeführt. Die Bereitschaft, in die Biodiversität zu investieren, scheint zu wachsen.

Die Verwaltungsverordnung über die naturnahe Pflege und Bewirtschaftung städtischer Grün- und Freiflächen wird aktiv umgesetzt. Trotzdem benötigen noch zahlreiche Grünflächen ökologische Aufwertungen. Auch gehen mit zunehmend verdichteter Bauweise weitere Grünflächen verloren, weshalb der Druck auf die übrigen Frei- und Grünflächen steigt. 

Pflanzung von Bäumen

Jährlich werden mehrere Dutzend Obstbäume gepflanzt und in Parks, Grünanlagen sowie entlang von Strassen nimmt der Baumbestand zu. So wurden in den vergangenen 10 Jahren ca. 2000 zusätzliche Strassenbäume gepflanzt und eine beträchtliche Anzahl Bäume in neu entstandenen Parkanlagen gesetzt.

Sensibilisierung der Bevölkerung

Um die Bevölkerung weiter für die Biodiversität zu sensibilisieren, führt Grün Stadt Zürich jährlich rund 1000 Veranstaltungen, Exkursionen, Naturschultage und Weiterbildungen für Lehrpersonen durch. Die NahReisen gehören seit über 20 Jahren zu den beliebtesten Veranstaltungsreihen. Zudem werden Beratungen für Dach- und Vertikalbegrünung sowie für Freiräume im Wohn- und Arbeitsplatzumfeld angeboten.

Wald- und Landwirtschaftsflächen leisten Beiträge an Biodiversitätsförderung

Die Waldbewirtschaftung und Biodiversitätsförderflächen der Landwirtschaft leisten ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der faunistischen Artenvielfalt. Dazu gehören strukturreiche Waldränder, Naturverjüngung, Förderung der Laubhölzer, besondere Waldstandorte mit Föhren, Eichen, Kirschen, Espen, Birken, Lichtungen, stehendes Totholz, Waldweiher, Bachläufe, Tobel oder vielfältige Kulturlandschaften mit Magerwiesen, Hecken und Hochstammobstgärten.

Ausstiegshilfen für Amphibien

Amphibien wandern zwischen Winterquartier, Laichgewässer und Sommerlebensraum und legen dabei kilometerlange Strecken zurück. Dabei kreuzen ihre Routen auch das Siedlungsgebiet, das ihre Mobilität erschwert. Neben der bekannten Gefahr von Strassenübergängen, sind Amphibien einem bisher eher unbeachteten Problem ausgesetzt: Der Fallenwirkung von Strassenschächten. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich 15 000 Individuen im städtischen Entwässerungssystem landen und der grösste Teil dort stirbt. Ausstiegshilfen bei Schächten schaffen Abhilfe. Bis 2014 wurden rund 1100 Schächte mit Amphibienleitern ausgerüstet. Die Massnahme zeigt Wirkung: Die Anzahl der Schächte mit gefangenen Tieren ging auf einen Drittel zurück und die Anzahl vorgefundener Tiere selber nahm um 96 Prozent ab. Heute kann man während den Zugszeiten im März/April wieder vermehrt Tiere auf Strassen antreffen. Informationstafeln machen Autofahrende darauf aufmerksam. Um Tiere vor dem Überfahren zu retten, wird die Stadtverwaltung solche Amphibienzugstellen analysieren und Massnahmen wie beispielsweise temporäre Strassensperrungen durchführen oder weitere Amphibienleitsysteme prüfen.

Bild einer Kröte beim Auf- und Ausstieg auf einer Amphibienleiter.

Beispiele von Massnahmen zur Förderung der Biodiversität

  • Lettenareal: Ein gelungenes Beispiel, wie mit geschickter Gestaltung Erholung und Naturschutz nebeneinander existieren können.
  • Quartierpark Pfingstweid: Die Parkanlage wurde mit überwiegend heimischer Bepflanzung erstellt. Die differenzierte naturnahe Pflege macht den Ort für Erholungssuchende und Biodiversität gleichermassen wertvoll.
  • Tramtrassees Aargauerstrasse, Thurgauerstrasse, Dübendorfstrasse: Infrastrukturen können so gestaltet werden, dass sie auch für Pflanzenarten nutzbar sind. Solche Flächen haben einen hohen ästhetischen und ökologischen Wert.
  • Baumscheiben: In der ganzen Stadt Zürich werden Baumscheiben extensiv bepflanzt und unterhalten. Zusammen mit den ökologisch und klimatisch wichtigen Bäumen dienen zusammenhängende Baumscheiben der innerstädtischen Vernetzung. Vogelarten wie Distelfinken profitieren davon.
  • Ausstellung «Grün am Bau»: Wechselnde Ausstellungen in der Stadtgärtnerei und Sukkulenten-Sammlung bringen Fachleuten und Bevölkerung verschiedene Aspekte zur Förderung der Biodiversität und weitere Themen näher.

Literatur

Neue Stadtfauna – 700 Tierarten der Stadt Zürich (Ineichen, Ruckstuhl, Hose; Hauptverlag 2022)