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Die Trotzphase – ein wichtiges Etappenziel

Die Trotzphase beginnt bei den meisten Kindern zwischen dem 15. und 19. Lebensmonat und kann bis zum sechsten Lebensjahr andauern. In der Regel nimmt das Trotzverhalten im vierten Lebensjahr ab. Nur bei oberflächlicher Betrachtung geht es um Trotz und Widerstand. Im Wesentlichen geht es um die Entwicklung des Ichs und die Autonomie Ihres Kindes.

Symbolbild

Mit etwa eineinhalb Jahren wissen Kinder sehr gut, was sie können. Sie haben gemerkt, dass sie selbst und andere absichtsvoll handeln und können Pläne schmieden. Die erworbenen motorischen und kognitiven Fähigkeiten, insbesondere das freie Laufen und der beginnende Spracherwerb haben den Erkundungs- und Wirkungsradius stark erweitert.

In dieser Zeit erkennen sich die meisten Kinder auch im Spiegel – das Kind wird sich seiner selbst bewusst. In dieser Phase beginnen auch die ersten «Trotzanfälle» Die Kleinen wissen zwar, dass Menschen Absichten haben, aber noch nicht, dass diese nicht immer mit ihren eigenen übereinstimmen. Erst mit etwa zweieinhalb bis drei Jahren sind sie so weit. Vorher fehlt es ihnen an Analysefähigkeit und Selbstbeherrschung. Sie können ihre Wut nicht hemmen, wenn Mama oder Papa einen vermeintlich genialen Plan durchkreuzen. Frustration entsteht aber auch, wenn sich das Kind in seinem Vorhaben übernommen hat und von sich selbst enttäuscht ist, etwa wenn etwas nicht so klappt, wie es soll.

Sie als Eltern und engste Bezugsperson erleben in diesen Momenten, was wir als den «Prozess der Selbstwirksamkeit» bezeichnen. Dieser setzt in dieser Lebensphase ein und hilft den Kleinen, zu Menschen mit eigenem Willen und eigenen Zielen zu werden. Eltern sehen sich dann plötzlich mit Kindern konfrontiert, die toben, weil sie ihre Socken allein anziehen wollen. Sie schreien, wenn im Laden das Joghurt, das sie sich gerade geschnappt haben, wieder zurückgestellt wird und werden wütend, wenn ihr Kopf nicht durch den Ärmel des Bodys passt.

Kinder haben von Natur aus eine hohe Frustrationstoleranz. Durch Scheitern und Ausprobieren entwickeln sie «Abwehrkräfte» gegen störende Einflüsse von aussen. So lernen sie ab Beginn der Trotzphase, mit Niederlagen umzugehen, ein Ziel im Auge zu behalten, dranzubleiben, sich nicht ablenken und entmutigen zu lassen: Nur wer dazu in der Lage ist, wird auch als erwachsene Person erfolgreich mit Krisen und Niederlagen selbstbewusst umgehen können. Dazu brauchen Kinder aber noch eine weitere Fähigkeit: die so genannte «Impulskontrolle», also die Fähigkeit, mit starken Gefühlen angemessen umgehen zu können. Diese Fähigkeit, die eigenen Emotionen angemessen zu steuern, ist zum einen eine Frage des Temperaments. Dieses kann unterschiedlich ausgeprägt sein und formt den Charakter eines Menschen von Geburt. Andererseits ist Impulskontrolle auch das Ergebnis einer der wichtigsten Lernerfahrungen in der frühen Kindheit: Nämlich jener, wie es uns Menschen gelingt, uns selbst zu regulieren, um emotional wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Dieses Lernen endet nicht mit der Trotzphase im vierten Lebensjahr, erreicht aber bei den meisten Kindern ein wichtiges Etappenziel.

Im Kindergartenalter, also nach dem 4. Geburtstag, können Kinder ihre Gefühle bereits gut benennen und auch reflektieren. Viele Kinder entwickeln in diesem Alter zunehmend eigene Strategien, um mit negativen Gefühlen umzugehen. Sie lenken sich ab oder gehen Konflikten aus dem Weg. Trotzdem brauchen sie auch in diesem Alter noch die Hilfe einer Bezugsperson, die sie bei Konflikten tröstet und konstruktive Vorschläge macht. In unserer Beratung erzählen Eltern oft, dass ihr Kind in der Kita, in der Spielgruppe oder im Kindergarten sehr gut mitmacht und dann zu Hause gar nichts mehr geht. Die Reserven scheinen erschöpft, weil sie sich den ganzen Vormittag oder den ganzen Tag immer wieder selbst regulieren mussten, was eine grosse Leistung ist. Das ist ein ganz normales Verhalten. Durch liebevolle und wohlwollende Zuwendung tanken die Kinder ihre Batterien wieder auf und sind so für den nächsten Tag gestärkt.

Quelle: Buch «Frühe Kindheit 0-3 Jahre», Prof. Dr. M.Cierpka, 2. Auflage, Springer Verlag, S. 264-270

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