Silver Shopper
Interview mit Monika Stocker, ehemalige Nationalrätin und Vorsteherin des Sozialdepartements der Stadt Zürich
Mit Monika Stocker sprachen Erika Sommer und Cristian Büttikofer-Béltran.
Wie schätzen Sie Trends und Herausforderungen im Detailhandel in Bezug auf ältere Menschen ein?
Ältere Leute haben auf verschiedenen Ebenen besondere Bedürfnisse: Ihre Mobilität schränkt sich ein, viele haben kein Auto mehr, man will auch nicht weit zu einem Einkaufszentrum fahren. Was braucht es im nahen Umfeld? Ein Lebensmittelgeschäft, ein Kino und eine Apotheke. Das alles sollte allenfalls auch mit einem Rollator erreichbar sein.
Die neuen technischen Entwicklungen, wie etwa das Selfscanning, stellen für viele ältere Leute eine Überforderung dar. In 15 bis 20 Jahren wird das alles eine Selbstverständlichkeit sein, aber für die heutige ältere Generation ist das zu fremd. Auch die Sehkraft nimmt im Alter ab, was es schwierig macht, einen Code einzutippen oder Produkte-Deklarationen zu lesen. Aber die alten Menschen sind heute bewusste Konsumentinnen und Konsumenten möchten auch im Alter gut informiert sein über Herkunft und Zusammensetzung der Produkte.
Ältere Menschen nehmen alles etwas ruhiger. Wenn sie schon einkaufen gehen, dann wollen sie sich nicht stressen lassen. Ältere Menschen studieren die Angebote ausführlicher. An der Kasse gibt es allerdings Situationen, die als Stress empfunden werden: Man muss das Geld geschwind aus dem Portemonnaie klauben und die eingekauften Sachen sofort einpacken. – Warum schafft man hier keine Sozialjobs, z.B. für Migrantinnen und Migranten? Es wäre eine grosse Hilfe, wenn jemand die gekauften Waren einpackt, hinausträgt und vielleicht sogar nach Hause bringt. Dies wären kleine Dienstleistungen, welche die Lebensqualität der alten Menschen verbessern würden.
Bezüglich Öffnungszeiten der Geschäfte braucht es keine Verlängerungen: Alte Menschen gehen in der Regel abends nach 20 Uhr nicht mehr aus dem Haus. Viele haben am Abend ganz gerne Ruhe.
Welche Angebote sind für ältere Leute besonders wichtig?
Sehr wichtig sind Apotheken und Drogerien. Dort gibt es Beratung und Kundengespräche. Das sollte auch honoriert werden. Die Beratungen haben manchmal etwas tröstende. Das leistet der Computer nicht; online findet man keine ermunternden Worte.
Hier im Kreis 4 sehe ich, dass immer wieder neue Geschäfte eröffnet werden. Es sind aber vor allem Kleiderläden, was nicht das Einkaufsfeld der älteren Leute ist. Diese gehen auch nicht in Pronto-Läden, dort kauft man «auf die Schnelle» ein, was eher das Bedürfnis der Berufstätigen ist.
Hat das Einkaufen auch eine soziale Funktion?
Selbstverständlich. Ältere Menschen leben oft alleine und wenn man nicht mehr im Beruf steht, muss man soziale Kontakte selber organisieren, z.B. beim Einkaufen. Ich bin froh, wenn ich beim Zahlen zwei Worte mit der Kassierin wechseln kann. Deshalb sollten Einkaufsorte auch soziale Begegnungen ermöglichen, zum Beispiel durch die Sitzgelegenheiten und Cafés.
Ich habe mir immer gewünscht, dass es bei den Sozialzentren der Stadt Zürich eine Apotheke und vielleicht ein Café gibt. Ein Sozialzentrum sollte ein Haus mit sozialer Funktion im Quartier sein und nicht nur materielle Sozialhilfe leisten. Man muss ins Soziale investieren, um Qualität zu gewährleisten.
Die Beschäftigung von Personen, die nicht hochqualifiziert oder nicht «normal» leistungsfähig sind müssen wir organisieren, das kommt nicht durch den «Freien Markt». Im Gesundheitswesen spielt aber kein Markt! Das Thema Alter wird zeigen, ob es uns gelingt, das Thema Lebensqualität vom Ökonomischen zu lösen.
Welche Angebote braucht es sonst noch?
Wichtig sind Geschäfte mit Reparaturservice, z.B. Schuhmacher oder Schneider. Nicht alle Leute haben genügend Geld, sich immer etwas Neues zu kaufen. Die ältere Generation hat noch die Erfahrung, dass man etwas flicken kann.
Solche Dienstleistungen werden oft von Einzelpersonen angeboten. Wir müssen dafür kämpfen, dass sie faire Mietzinse haben. Neumieten sind marktgerecht nicht bezahlbar Meistens handelt es sich um Parterre-Nutzung. Wenn wir wollen, dass die Quartiere leben, dann müssen wir diesen Personen entgegenkommen. Hier könnte man mehr machen, vor allem auch in den Neubauquartieren.
Welche Herausforderungen stellen sich für die Stadt Zürich?
In den 90 Jahren habe ich dafür gekämpft, dass jeder der baut, auch Krippen erstellen muss. Das war mein Credo. Den Bauherren muss man sagen, es braucht so etwas wie eine gemeinwirtschaftliche Nutzung. Das muss anders budgetiert werden, was natürlich politisch heikel ist. Heute sollten bei jeder Neubauplanung Alterswohnungen mit Serviceleistungen eingeplant werden. Zürich könnte hier Pionierarbeit leisten!
«Stadt der Zukunft» heisst für mich, es braucht persönliche Dienstleistungen, die menschliche Kontakte ermöglichen. Es hat etwas mit Würde zu tun.