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Einkaufen als Erlebnis

Interview mit Franco Savastano, CEO Jelmoli und Präsident der Vereinigung Bahnhofstrasse

Mit Franco Savastano sprach Linda Herzog.

Herr Savastano, von welchen Megatrends dieses Wandels im Detailhandel ist Jelmoli am stärksten betroffen?

Franco Savastano: Die Digitalisierung und der Online-Handel sind natürlich riesige Themen. Meiner Ansicht nach genauso wichtig, ist aber auch das Thema Erlebnis. Die Menschen möchten etwas erleben und die Städte rücken immer näher zusammen. Wir stehen da mit Mailand oder London in Konkurrenz, in denen das Shopping-Erlebnis gross ist und wohin man für wenig Geld fliegen kann. Studien zeigen, dass zwei Drittel der Auslandeinkäufe Erlebniseinkäufe sind. Und in diesen Städten kann man auch sonntags problemlos einkaufen, zum Beispiel nach einem Museumsbesuch. Dies ist in Zürich weniger möglich und dadurch sind wir natürlich pönalisiert und das spüren wir auch.

Wie schätzen Sie generell die Entwicklung der Bahnhofstrasse als Shopping-Destination ein?

Ich denke, die Bahnhofstrasse hat nach wie vor eine hohe Wichtigkeit, das zeigen auch internationale Rankings. Man findet auf einer Länge von 1.3 km eine sehr hohe Dichte an Luxusprodukten. Hinzu kommen Schokoladengeschäfte und Cafés, in denen man draussen sitzen kann. Natürlich wird hin und wieder kritisiert, es gäbe zu viele Uhrengeschäfte. Aber die Uhrenindustrie ist nun einmal eine der wichtigsten Industrien der Schweiz. In den 1920er Jahren wurde kritisiert, dass es zu viele Chappellerie- also Hutgeschäfte gäbe – es gab also immer wieder solche Phasen. Kritik gehört zu der Entwicklung dazu.

Wie schätzen Sie den Standort von Jelmoli als Warenhaus auf der Bahnhofstrasse ein?

Laut einer Studie der Crédit Suisse, ist Jelmoli die Nummer eins in Bezug auf Kundenfrequenzen an der Bahnhofstrasse und zwar aufgrund unserer Brückenfunktion. Wir sind auf der einen Seite an einem relativ neuralgischen Ort mit hohen Frequenzen und gleichzeitig sind wir sehr hochwertig positioniert. Und auch was die Produkte angeht, so verbinden wir quasi die gesamte Bahnhofstrasse unter einem Dach: Wir verkaufen sowohl Red Bull, als auch einen feinen Chateau Petrus. Wir haben also beides, wir sind quasi die Bahnhofstrasse in klein.

 

Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Retail-Landschaft in der Zürcher Innenstadt in den nächsten 20 Jahren verändern?

Ich denke, die Läden werden sicher flexibler werden und es wird neue Konzepte geben. Ein Geschäft kann tagsüber ein Laden und abends ein Club sein. Ich kann mir vorstellen, dass aus solchen Mischkonzepten Begegnungsorte werden können. Und ich glaube, Mischkonzepte sind auch eine Chance für die Seitenstrassen, um dort mit einer geringeren Miete ein Konzept umsetzen zu können.

Sehen Sie die Lebensmittel- und Imbiss-Abteilungen als Bereiche, die in Zukunft noch dominanter werden, weil damit dem Kunden ein Erlebnis geboten werden kann?

Absolut. Wir haben in Zürich mit schätzungsweise 2500 Gastronomiebetrieben eine sehr grosse Affinität zum Essen. Dort holen wir die Kunden ab. Wir haben insgesamt neun Restaurants im Haus: Beispielsweise das Konzept „Bad Hunter“ – komplett naturbelassenes Gemüse, kaum gesalzen –aber auch einen sehr gut gemachten Kebab, selbstgemachte Pasta, ein japanisches Restaurant, ein französisches Fauchon-Café… Ausserdem bieten wir Käse im schweizweit ersten Käse-Humidor an. Die Abteilung stellt also eine grosse Stadt unter einem Dach dar. Neben Globus, Coop und Migros, die alle drei Weltmeister in Sachen Food sind, bestand unsere Chance also darin, ein Erlebnis zu kreieren.

Sind Sie der Ansicht, dass sich das Einkaufsverhalten allgemein in die Richtung von mehr Frische und Qualität bewegen wird?

 Ja, absolut. Ich bin der Ansicht dass, eine nachhaltige Denkweise in Bezug auf Qualität in der DNA des Schweizers liegt. Ich sehe unsere grosse Chance darin, dass die Menschen wieder wissen wollen, woher ein Lebensmittel stammt. Dann sind sie auch bereit, lieber einmal ein Filet weniger zu essen und etwas mehr dafür zu bezahlen. Wir führen auch nicht mehr als zwei Mal pro Jahr einen Ausverkauf durch. Das ist ein Punkt, in welchem der Detailhandel momentan extrem viel falsch reagiert. Das kommt von einer „Geiz ist geil“-Mentalität aus Deutschland oder noch schlimmer, dem „Black-Friday“-Sale in den USA. Die Schweiz hat sich noch nie über den Preis profiliert, sondern immer über die Qualität. Wir bieten auch keine Ware mehr zu siebzig Prozent reduziert an. Das ist denen in der Produktion gegenüber nicht fair, denn sie müssen ihre Waren viel zu günstig abgeben. Unsere Antwort auf die Online-Riesen wie Zalando oder Amazon ist: Wenn wir überleben möchten, müssen wir einfach viel bessere Produkte anbieten und noch viel bessere Dienstleistungen. Das bedeutet, die Unternehmen müssen sich völlig neu organisieren. Ich glaube, dem Handel ist es eine Weile lang einfach zu gut gegangen. Jetzt müssen wir reagieren.

Und wie investieren Sie in die Qualität von Dienstleistungen?

Hier sind drei Aspekte zentral für uns: Einerseits versuchen wir in jeder Abteilung ein Verkaufsteam zu haben, welches dort hinein passt: In der Abteilung für Laufschuhe beispielsweise arbeiten Leute, die nebenbei Triathlon machen, die einen also super beraten können. Ausserdem braucht es einen guten Altersmix unter dem Verkaufspersonal. Die meisten Geschäfte stellen zu viel junges, unerfahrenes Personal an, aus Kostengründen. Wir haben in unserem Programm „fünfzig plus“ fünfzehn Leute angestellt, die zwischen fünfzig und fünfundsechzig Jahre alt sind. Der dritte wichtige Aspekt sind Schulungen. Wir investieren sehr viel Geld in Schulungen, Teamcoachings, Einzelcoachings, Organisations-Workshops und bieten auch vergünstigte Sprachkurse an.

Sie stehen in regelmässigem Austausch mit dem Stadtrat von Zürich: Welches sind die zentralen Themen, die Sie an den Stadtrat herantragen?

Einerseits sind die Parkplätze natürlich ein Dauerbrenner. Ein weiteres wichtiges Thema ist der Sonntagsverkauf – etwas, was der Stadtrat nicht unbedingt gerne hört. Wenn es um den Sonntag geht, wird stets mit der Familie und der Sonntagsruhe argumentiert, aber seien wir ehrlich:  Eine Kirche hat sonntags kaum mehr Kunden. Hinzu kommt, dass es in der Schweiz mittlerweile viele verschiedene Religionen und Lebensformen gibt, so dass der Sonntag einen anderen Stellenwert bekommen hat. Ausserdem wird der Angestellte in der Diskussion häufig als der Bestrafte dargestellt. Dabei gibt es viele Paare, die zu zweit eine Familie ernähren müssen. Und diese können bei der Betreuung sparen, wenn ein Elternteil mehr am Wochenende arbeiten geht. Wenn zwei bis drei grosse Häuser sonntags öffnen dürften, würden wir nicht nur den Kunden einen Dienst erweisen, sondern auch mehr Arbeitsplätze schaffen. Was die Menschen nicht mehr möchten, ist während den Stosszeiten einzukaufen oder zur Arbeit zu fahren und so den Stress zu haben. Die Menschen möchten entspannter sein und das sind leider jene, die dann auf Online umsteigen.

Gibt es in Zürich einen Standort, der durch die verschiedenen Quartieraufwertungen, die stattgefunden haben, zu einem ähnlichen Konkurrenten wie der Online-Handel für Sie werden könnte?

Es entsteht natürlich eine Konkurrenz, wenn sich ein Quartier weiterentwickelt und es dann beispielsweise einen guten Lebensmittelladen direkt um die Ecke gibt. Aber ich glaube, das ist eine Konkurrenz im positiven Sinne. Wahrscheinlich entstehen dann in diesen Quartieren eher Geschäfte für den täglichen Bedarf mit einem gewissen Convenience-Charakter und weniger für Produkte wie Uhren und Schmuck.

Gibt es einen Aspekt dieses Wandels im Handel, über den wir noch nicht gesprochen haben, der für Sie aber bedeutend ist?

Nun, ich finde es sehr gut und wertvoll, dass die Stadt ein solches Projekt durchführt. Ich fände es aber wichtig, weitere Aspekte des Themas zu betrachten. Ich kann das Wort Digitalisierung fast nicht mehr hören! Nicht weil wir uns nicht damit befassen, wir haben ein ganzes Team, welches genau das tut. Aber wir dürfen eines nicht vergessen: Der Mensch ist dafür gemacht, mit Menschen zusammen zu sein. Ich glaube, dass wir den Auftrag haben, einen solchen Begegnungsort zu schaffen, indem wir die Stadt attraktiv gestalten. Die Frage muss doch lauten: Wie geht es den Menschen in unserer Stadt und welches Bedürfnis haben Sie? Und wenn die Menschen das Bedürfnis haben, etwas entspannter zu sein, dann müssen wir dafür etwas tun und etwas von dem Stress und Druck lösen, der heute in vielen Teilen der Gesellschaft herrscht. 

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