Gesundheit
Interview mit Dr. Lorenz Schmid, Inhaber und verantwortlicher Apotheker der TopPharm Apotheke Paradeplatz, Zürich
Mit Dr. Lorenz Schmid sprachen Erika Sommer und Cristina Büttikofer-Béltran.
Ihre Apotheke liegt sehr zentral in der Stadt an bester Lage. Wie sieht Ihr Kundenprofil aus?
In den letzten Jahren hat sich das Profil stark verändert. Weniger Zürcher kaufen ein, dafür mehr Ausländer. Im Umsatz macht die ausländische Kundschaft ca. 60% aus, in der Frequenz 30%. Es handelt sich hier um Touristen oder ausländische Geschäftsleute, die uns kennen. Es ist für mich etwas ernüchternd, dass Zürcher die Innenstadt nicht mehr so stark frequentieren wie früher.
Wir hatten früher auch mehr Kunden vom rechten und linken Zürichseeufer und vom Zürichberg, etwas ältere Leute, die mit dem Fahrzeug gekommen sind. Seit es in der Innenstadt sehr schwierig geworden ist mit der Zugänglichkeit und den Parkierungsmöglichkeiten, sind diese Kunden weggeblieben.
Welches sind die wichtigsten Trends im Retail in Bezug auf die Gesundheitsversorgung?
Ich beziehe mich im Folgenden auf den Retail der Apotheken. Wir wollen in Zukunft die Anlaufstellen schlechthin für leichtere Beschwerden im Gesundheitlichen werden. Das ist sinnvoller, als Notfallstationen (Kliniken) und Arztpraxen damit zu belasten. Allerdings setzt dies voraus, dass Apotheken in der Grundversorgung mehr Autonomie erhalten. Die kantonale Gesundheitsdirektion hat signalisiert, dass sie die anstehende Umsetzung der erst kürzlich revidierten nationalen Gesetze möglichst liberal handhaben wird, im Sinne, möglichst viel Verantwortung den Apotheken und den Konsumenten abzutreten. Das ist sehr begrüssenswert.
Weiter ist klar, dass die Gesundheitserhaltung und Prävention stark an Bedeutung gewinnen werden. Gesundheit wird nicht nur definiert nicht nur als „ich bin nicht krank“, sondern als „ich fühle mich wohl“. Dazu gehören Bewegung, Schmerzfreiheit, aber auch der Bereich Schönheit. Hier werden Apotheken vermehrt Spezialbehandlungen anbieten, wie wir mit dem neu entwickelten Modul „Slow Aging“. Der Detailhandel muss und will diese Themen aufnehmen. Wer sich wohlfühlt in seiner Haut, ist weniger krankheitsanfällig. Damit werden auch psychische Krankheiten und deren Folgekosten vermieden.
Wo sehen Sie wichtige Herausforderungen?
Gesundheit ist ein Megatrend und wird es auch bleiben. Wir sollten jedoch darauf achten, dass dieser Megatrend die Kosten im „vergütenden“ Gesundheitswesen nicht unendlich in die Höhe treibt, sondern dass ein jeder die Verantwortung für seine Gesundheit selbstverantwortlich in die Hand nimmt. Sonst werden Krankenkassenprämien nicht mehr finanzierbar. Und es droht eine vollständige Finanzierung über Steuergelder, dann wird die Sensibilität gegenüber den Gesundheitskosten schwinden. Und die Kosten weiter steigen. Für das selbstverantwortliche Handeln betreffend persönlicher Gesundheit ist die Apotheke ein idealer Partner.
Welchen Einfluss haben die Digitalisierung, neue Technologien, Robotisierung in Ihrem Bereich?
Die Robotisierung haben wir hier schon eingeführt. Wir haben einen Roboter im Keller, der die Lagerbewirtschaftung macht. Und Touchscreens, die eine selbst geleitete Information erlauben.
Es wird sicher zunehmen, dass die Leute sich im Internet selber informieren, aber was den Internethandel betrifft, stellen wir eher (schon lange) eine Stagnation fest. Denn in Gesundheitsfragen will der Konsument will immer noch die letzte entscheidende Frage an eine Fachperson richten, bevor er etwas schluckt. Etwas schlucken ohne eine Fachberatung: da hat der Mensch eine emotionale Hemmung, zu Recht.
Welche weiteren Dienstleistungen bieten Sie in Ihrer Apotheke an?
Wir haben das sogenannte Angebot „Netcare“, das ist ein System einer strukturierten Befragung – 26 Algorithmen - bei kleineren Befindlichkeitsstörungen. Diese Algorithmen sind klinisch getestet und ermöglichen die bestmögliche Therapiebehandlung mit den best passendem Medikament. Ein Netcare-Gespräch dauert ca. 15 Minuten, die professionelle Beratung kostet 30 Franken. Die entsprechende Ausbildung und die Vorinvestitionen kosten, eine alleinige Finanzierung über die Marge des Produkts ist nicht kostendeckend. kann nicht über das Produkt alleine vergütet werden.
Seit Jahren gehen im Gesundheitswesen die Preise von Medikamenten, die in der Apotheke erhältlich sind, zurück. Seit etwa 15 Jahren kennen wir nur Preissenkungen in der Schweiz. Ein rezeptpflichtiges Medikament kostet in der Schweiz gleich viel wie im Schnitt der europäischen Länder, über den gesetzlich verordneten Preisvergleich. Mit den Preissenkungen wird unser Gewinn immer kleiner, was zur Folge hat, dass wir uns über weitere Angebote definieren müssen. Das sind einerseits medizinische Dienstleistungen wie Blutdruck-, Cholesterinmessungen und Checks. Im ersten Stock bieten wir eine ganze Palette von Dienstleistungen an, z.B. Beratung zu Osteoporose, Arthrose mit Urinmessungen und Blutentnahmen. Auch Angebote im Bereich Beauty wie „Slow Age“ mit Hautanalyse stehen auf unserer Angebotsliste. Der ganze Bereich der Beratung wird immer wichtiger.
Das bedeutet aber auch dass die Anforderungen ans Personal gestiegen sind.
Enorm! Ich fordere heute von den Pharmaassistentinnen viel mehr als früher. Ich brauche „smartere“ Assistentinnen. Dafür zahle ich aber auch einen höheren Lohn, eine Entwicklung, die nicht in allen Apotheken feststellbar ist. Eine gute Pharmaassistentin bekommt heute schnell mehr Lohn, früher war es viel statischer.
Früher hat mein Vater einfach das Produkt abgegeben und den Preis verlangt, heute ist das anders. Wir sprechen zu jedem Produkt, wir sprechen zu jeder Dosierung, wir sprechen zu jeder Indikation. Nur so können wir einen Unterschied schaffen zu einem Versandhandel oder zu einem Grossverteiler. Migros und Coop werden in diesen Markt kommen, das bedeutet für uns, dass wir uns differenzieren müssen. Der Mehrwert liegt in der Beratung. Und natürlich müssen wir auch versuchen, gewisse Produkte exklusiv haben. Es geht nicht, dass wir in der Apotheke beraten, die Leute dann aber das Produkt online kaufen.
Wie sieht es auf dem Lehrstellenmarkt aus? Finden Sie geeignete Lernende?
Pharmaassistentinnen werden rekrutiert aus einem Segment, bei dem wir Schwierigkeiten haben, die nötigen Kompetenzen zu erzeugen. Sie kommen vor allem aus dem Seconda-Bereich. Das hat sich sehr stark gewandelt. Noch vor 20 Jahren hatten wir ausschliesslich Schweizerinnen, heute haben wir vermehrt Leute aus der Türkei und aus dem Balkan. Vom Engagement her sind unsere Pharma-Assistentinnen meist sehr gut, sprachlich und kommunikativ muss man sie schulen, der „Jugendslang“ kommt bei der Kundschaft nicht gut an.
Welche Auswirkungen des Wandels im Handel stellen Sie in der Stadt Zürich fest? Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen?
Die Stadt ist betreffend Rahmenbedingungen für den Detailhandel konstant kompliziert und auf einer detailhandelsunfreundlichen Ebene geblieben. Es hat sich nicht verschlimmert, aber auch nicht verbessert. Ich war Präsident der Münsterhofvereinigung und genügend Erfahrungen im Umgang mit der Verwaltung. Wenn sie mit der Stadt zu tun haben, haben sie mit 20 Personen zu tun und Sie wissen nicht, wer wie endlich entscheidet und vorwärts macht. Aber das war schon vor 10, 15 Jahren so. Da stelle ich eine Lethargie fest.
Die Rahmenbedingungen für die Erschliessung durch den Privatverkehr haben sich verschlimmert. Ich bin mir bewusst, dass eine Stadt vorwiegend effiziente Verkehrsmittel braucht, um die Hochfrequenz bewältigen zu können. Das ist der öffentliche Verkehr. Trotzdem gibt es auch Kunden, die hohe Ansprüche an „Privacy“ und „Convenience“ stellen, und da braucht man wohl oder übel auch den Privatverkehr.