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Neue Arbeitsformen

Interview mit Erhard Brodmann, Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung bei der Berufs- und Laufbahnberatung der Stadt Zürich

Mit Erhard Brodmann sprachen Erika Sommer und Cristina Büttikofer-Béltran.

Erhard Brodmann arbeitet als Berufs- und Studienberater beim LBZ (Quelle: E. Brodmann).

Wie schätzen Sie Trends und Herausforderungen im Detailhandel in Bezug auf die Arbeitswelt ein?

In meinen Beratungen erlebe ich immer wieder, dass das Prestige der Berufe im Detailhandel gesunken ist. Viele gehen gerne shoppen, aber immer weniger Personen wollen in diesem Arbeitsfeld tätig sein. Das hat auch etwas mit den Rahmenbedingungen zu tun. Die Arbeitszeiten wurden immer mehr ausgedehnt auf Abende und das Wochenende. Da etwa 2/3 der Angestellten im Verkauf Frauen sind, wird es immer schwieriger, die Berufstätigkeit mit den Aufgaben als Familienfrau zu koordinieren.

Ein weiterer Trend ist das Einkaufen im nahen Ausland. Das verschlechtert die Situation des Handels in der Schweiz und hat Auswirkungen auf den Lehrstellenmarkt. Die Leute, die billig im Ausland einkaufen, denken wohl nicht daran, dass ihre Tochter oder ihr Sohn vielleicht einmal eine Lehrstelle im Detailhandel sucht.

Allgemein kann man von einem kulturellen Wandel sprechen. Der Konsum von uns allen ist enorm gestiegen und dadurch die Werthaltigkeit der Produkte gesunken. Wir konsumieren einfach beliebige «Waren», die schnell austauschbar sind.

Zwischen 2005 und 2015 ist die Zahl der Beschäftigten im Berufsfeld Verkauf, Handel, Einkauf um 3'400 gestiegen. Das entspricht einer Zunahme von 2%. Verglichen mit dem Wachstum über alle Berufe (+17%) hat sich die Anzahl Beschäftigte im Berufsfeld in dieser Zeit unterdurchschnittlich entwickelt.

Wer sind Gewinner und Verlierer der Entwicklungen?

Gewinner sind Leute, die sehr flexibel reagieren können, die z.B. über Internet-Plattformen kurzfristige und kurzzeitige Arbeitseinsätze suchen. Verlierer sind Geringqualifizierte, weil die Ansprüche für eine feste Anstellung steigen. Auch Alleinerziehende und Personen, die nicht in den Randzeiten und/oder an Wochenenden arbeiten können, gehören zu den Verlierern. Daher müssten die Betreuungszeiten in den Kinderkrippen an die heutigen Bedürfnisse angepasst werden.

Welches sind die Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen in der Stadt Zürich?

Auch Firmen an bester Lage in Zürich stellen z. T. nur noch stunden- oder tageweise Leute ein. Die Angestellten fühlen sich nicht mehr als Teil der Firma, was ihre Identifikation mit den von ihnen verkauften Produkten senkt. Ich kenne eine Person, die 50 Jahre lang in einem Warenhaus die Geschirrabteilung geführt hat und heute mit 90 noch sofort erkennt, woher ein Teller kommt. Eine solch grosse Verbundenheit mit der Berufstätigkeit und den Produkten treffe ich heute kaum noch an.

Als Gegenbewegung gibt es Geschäfte mit Produkten, die mit sehr viel Herzblut und grosser Leidenschaft z.T. auch in der Schweiz hergestellt werden. Dort arbeiten begeisterte Menschen, die voll und ganz hinter ihren Produkten stehen. Über Beratung und Fachwissen kann man Kunden gewinnen und im Detailhandel erfolgreich sein. Ich gehe davon aus, dass in unserer Gesellschaft das Bewusstsein wächst, weniger Massenwaren zu kaufen, die irgendwo auf der Welt unter fragwürdigen Umständen produziert werden. Man sucht wieder nach persönlich gestalteten Produkten, die nicht nur einen materiellen Wert haben, sondern auch unter ethisch und ökologisch korrekten Bedingungen produziert wurden,

Wie verändern sich die Anforderungen an die Stellensuchenden?

Früher war es relativ einfach, im Detailhandel einen Einstieg zu finden. Auch als gering qualifizierte Person fand jemand eine Stelle. Das ändert sich jetzt immer mehr durch Automatisierung, Selfscanning etc. Die Ansprüche an die Qualifikationen steigen.

Für Personen, welche nur punktuelle Berufserfahrung, z.B. an einer Kasse aufweisen, jedoch keinen eidgenössisch anerkannten Abschluss, wird es schwieriger im Detailhandel eine neue Arbeitsstelle zu bekommen. Bei diesen Personen ist Nachholbildung ein wichtiges Thema. Gemäss der Arbeitsmarktstudie von George Sheldon (2017), hatten 1970 in der Schweiz 30% der Angestellten im Detailhandel keine berufliche Ausbildung, heute sind es noch 15%.

  

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