Strategie berufliche und soziale Integration
Die Stadt Zürich hat unter dem Dach des Fokusthemas «Arbeitsmarkt 2025» einen Paradigmenwechsel in der beruflichen und sozialen Integration von sozialhilfebeziehenden Personen eingeläutet: Die neue Strategie anerkennt die Realität des heutigen Arbeitsmarkts und setzt statt auf Zwang auf das Ermöglichen, Befähigen und Motivieren der Klientinnen und Klienten. Eine umfassende Evaluation hat ergeben, dass sich alle zentralen Elemente bewähren und die Teilnehmerzahlen trotz der neuen Freiwilligkeit nicht eingebrochen sind.
Aktuell
- Medienmitteilung vom 20. September 2021 Berufliche Integration für Sozialhilfebeziehende: Motivation ist nicht das Problem – Zwang nicht die Lösung
Klares Fazit nach drei Jahren: Motivation ist nicht das Problem!
Die Abkehr von Zwang und Sanktionen bewährt sich in der Praxis. Ein grosser Teil der Sozialhilfebeziehenden, die die Abklärung durchlaufen, haben momentan keine realistische Chance auf eine existenzsichernde Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt. Obwohl sie nach der neuen Strategie nicht mehr verpflichtend an einem der Programme der Arbeitsintegration teilnehmen müssten, arbeiten nahezu alle trotzdem in den verschiedenen Angeboten weiter – freiwillig. Auch die Verteilung der Klientinnen und Klienten zeigt klar, dass die fehlende Motivation nicht das Problem ist: Der Anteil derjenigen Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation eigentlich einen Job finden müssten, dies aber nicht wollen, liegt nur bei rund 1 Prozent.
Das Herzstück der neuen Strategie ist eine detaillierte Differenzierung der Zielgruppen hinsichtlich ihres Potenzials für einen dauerhaften Wiedereintritt in den ersten Arbeitsmarkt. Dafür starten die Klientinnen und Klienten mit NAVI in die Arbeitsintegration, wo ihre Arbeitsmarktfähigkeit sowie Motivation während eines vierwöchigen Arbeitseinsatzes eingehend analysiert wird. Immer mit dem Ziel, die Klienten und Klientinnen anschliessend passgenau zu fördern und sinnvoll zu unterstützen. Die Stadt Zürich anerkennt aber mit der neuen Strategie auch, dass ein Teil der Sozialhilfebeziehenden mit fehlender oder für den Arbeitsmarkt ungeeigneter Qualifikation keinen Platz im ersten Arbeitsmarkt mehr finden wird. Auch diese Menschen werden nicht fallen gelassen, sondern im Rahmen der sozialen Integration optimal unterstützt.
Geringe Beschäftigungschancen für Niedrigqualifizierte
Die positive Entwicklung des Schweizer Arbeitsmarkts in den letzten zwanzig Jahren hat neue Arbeitsplätze geschaffen und für eine vergleichsweise tiefe Arbeits- und Erwerbslosigkeit gesorgt. Infolge der zunehmenden Technisierung und Spezialisierung der Schweizer Wirtschaft ist dieses Beschäftigungswachstum aber vor allem in Bereichen mit hohen Bildungsanforderungen entstanden.
Berufe in der Industrie, im Gewerbe, der Landwirtschaft oder auf dem Bau, die früher von Ungelernten ausgeübt wurden, haben über die Zeit hingegen stark an Bedeutung verloren. Im Vergleich zu besser Qualifizierten haben sich die Beschäftigungschancen von Niedrigqualifizierten in der Schweiz darum in den letzten zwanzig Jahren deutlich verschlechtert. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen, denn auch in Zukunft werden sich die Beschäftigungsaussichten für Ungelernte und schlecht Qualifizierte nicht verbessern.
Hohe Hürden für Sozialhilfebeziehende
Wer heute mit einem kleinen Bildungsrucksack und eingeschränkter Leistungsfähigkeit Arbeit sucht, hat es im Schweizer Arbeitsmarkt sehr schwer. Dies gilt ganz besonders für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger: Sie bekommen oftmals keine Chance, ihren Lebensunterhalt über Erwerbsarbeit zu finanzieren – ganz einfach, weil sie zu wenig Qualifikation mitbringen oder gesundheitlich zu stark eingeschränkt sind, um einen Job zu erhalten.
Neue Strategie für die berufliche und soziale Integration
Als Antwort auf die neue Realität am Arbeitsmarkt verfolgt das Sozialdepartement seit Juli 2018 eine neue Strategie im Bereich der beruflichen und sozialen Integration von Sozialhilfebeziehenden.
Alle grundsätzlich arbeitsfähigen Personen, die auf Unterstützung durch die Sozialhilfe angewiesen sind, werden nach einer fundierten Analyse ihres ganz persönlichen «Rucksacks» in verschiedene Zielgruppen eingeteilt – entsprechend ihrer realistischen Chancen auf einen zeitnahen Wiedereintritt in den ersten Arbeitsmarkt. Je nachdem wie arbeitsmarktfähig jemand ist, unterscheiden sich Ziele und Massnahmen.
Verpflichtung nur bei ungenutzten Integrationschancen
Nur wer nahe am Arbeitsmarkt ist, aber aus welchen Gründen auch immer keine Bereitschaft zum Stellenantritt zeigt, wird im Sinne einer Schadensminderung zur beruflichen Integration verpflichtet. Diese Menschen müssen an einem Arbeitsintegrationsprogramm teilnehmen. Die Erfahrungen zeigen, dass davon nur sehr wenige Personen betroffen sind – die überwiegende Mehrheit der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger ist hoch motiviert, ihre berufliche Situation zum Positiven zu verändern.
Fairness gegenüber den Schwächsten
Wer keine reale Chance auf einen Stellenantritt im ersten Arbeitsmarkt hat, wird nicht mehr zur Teilnahme an einem der Beschäftigungsprogramme verpflichtet. Niemand soll dazu gezwungen werden, ein völlig unrealistisches Ziel zu erreichen. Wo keine Jobs sind, können auch keine gefunden werden.
Diese Realität des Arbeitsmarktes gilt es anzuerkennen, ohne die betroffenen Menschen aufzugeben: Sie können die Beschäftigungsprogramme jederzeit im Sinne der sozialen Integration besuchen. Denn einer regelmässigen Arbeit nachzugehen, hat für das Selbstwertgefühl einen nicht zu unterschätzenden Wert und hilft allenfalls aus den Fugen geratene Lebenssituationen wieder zu stabilisieren.
Gezielte Förderung und Qualifikation
Menschen, die aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen und persönlichen Eigenschaften eine grosse Nähe zum ersten Arbeitsmarkt aufweisen und auch daran glauben, dass sie den Wiedereintritt in das Erwerbsleben erfolgreich bewerkstelligen können, werden hingegen ganz gezielt und in hohem Masse unterstützt. Sei es durch Bewerbungs-Coachings, Weiterbildungsangebote oder gezielte Fachkurse. Für sie gilt als oberstes Ziel: Wiedereintritt in den ersten Arbeitsmarkt – und dies dauerhaft und zu einem existenzsichernden Lohn.
- Caritas-Sozialalmanach 2021 – Beitrag von Raphael Golta, Vorsteher Sozialdepartement Stadt ZürichMehr Freiwilligkeit statt Sanktionen in der Sozialhilfe – der Paradigmenwechsel der Stadt Zürich (PDF, 10 Seiten, 693 KB)Dokument vorlesen Dokument herunterladen