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Passagen in andere Welten

«rrring» – Daniela Keiser in Zusammenarbeit mit Arno Hassler

Ein Kunst-und-Bau-Projekt im Schulhaus Im Isengrind von MSA Meletta Strebel Architekten, Zürich

Montage des Kunstwerks auf dem Bau
«rrring» in Bau: Die positive Form einer Türe wird eingebracht.

Eine Baustellenbesichtigung in Affoltern: Die Betonwände und Decken der Untergeschosse der neuen Sekundarschulanlage Im Isengrind stehen im Rohzustand da. Nach dem Regen hat sich am Boden Wasser gesammelt. Dort, wo sich die Wand der Vorzone der Schulräume im ersten Untergeschoss erstreckt, ist in den Beton der Abdruck einer geschnitzten Tür eingelassen. Beinahe geisterhaft erscheint sie im gegossenen Material des Betons, plastisch und filigran zugleich, wie das Ornament einer Blindpforte. Sie ist Teil einer Reihe von sieben Türinstallationen, die im Rahmen des Kunst-und-Bau-Projekts «rrring» der Kunstschaffenden Daniela Keiser und Arno Hassler im Schulhaus auf verschiedenen Wänden der Vorräume sowie im Treppenhaus zu sehen sein werden. Sie entstehen durch einen komplexen Prozess der Einschalung und Ausschalung, wobei sowohl Positiv- wie Negativformen bestehen bleiben.

In enger Zusammenarbeit mit der Kunstbetrieb AG in Münchenstein werden die Positivformen der Türen aus flexiblen Polyurethanharz-Oberflächen mit einem MDF-Kern gefertigt, die anschliessend vor dem Giessen des Betons in die Wand eingeschalt werden und so den Negativabdruck entstehen lassen. Diese Türformen werden eine Engadinertür, eine Flugzeugtür, eine Pforte in einen Tanzsaal, eine Kellertür, Gittertür, Wohnungstür und Archivtür umfassen. Gezeichnet haben diese die Kunstschaffenden selbst. Sie beziehen sich auf Typologien von Türformen, die wir aus dem Alltag kennen. Die Türabdrücke werden schrittweise parallel zu den jeweiligen Bauarbeiten produziert, da sie erst beim Entstehen der Betonwände eingesetzt werden können. Die Planung ist von der Bauleitung der Baustelle abhängig und es müssen verschiedene Parameter berücksichtig werden, wie etwa die Brandschutzbestimmungen und Sicherheitsmassnahmen.

Pforte zum Tanzsaal: Ausschalung der Negativform im Beton der Wand.

Zentral bei diesen Arbeiten von Daniela Keiser und Arno Hassler ist, dass die Positivformen der Türen direkt neben ihren Negativen an der Wand befestigt werden. Diese Positivformen werden aus Acrystal Acrylharz auf Wasserbasis mit mineralischen Bestandteilen gefertigt – ein Material, das auch bei Bühnenbildern Verwendung findet. Genau an der Kante des negativen Abdrucks angebracht, erzeugen die Positivformen ein Bild von geöffneten Türen. Die Türen falten sich an der Wand auf, wobei keine Durchsicht entsteht, da die Ausformungen im Beton eingeprägt sind. 

Die Formen der Türen in und auf der Wand fragen nach den Räumen, in die sie führen könnten. In ihren Gestaltungen erinnern sie an verschiedene Materialien wie Holz, Metall, Kunststoff oder Kombinationen davon. Der Blick wird auf die Oberflächenformen geleitet, doch das «Dahinter» verbleibt in der Vorstellung. Zudem werden die Positivformen in verschiedenen Farbverläufen aus dem gesamten Farbenspektrum gespritzt. Die Positivtüren erhalten so etwas signalhaftes, während die Türabdrücke in der Wand im Grau des Betons verbleiben und physische Leerstellen bilden. Indem die Türen in Durchgangsräumen im Schulhaus platziert sind, erweitern sie die Architektur mit möglichen anderen Pfaden, die sich eröffnen könnten. Während man genau weiss, was einen hinter der nächsten Tür im realen Bau erwartet, weisen die Türen von Daniela Keiser und Arno Hassler in Räume, die sich jede*r Schüler*in individuell ausdenken kann. Sie lösen Erinnerungen und Assoziationen an Türen aus, durch die man etwa ein Archiv, einen Tanzsaal, ein Flugzeug oder ein Wohnzimmer betritt. Könnte es auch ein Labyrinth sein, das die Türen als Netz in der Architektur vorgibt oder sind allenfalls Eingänge in eine Zeitmaschine gemeint? 

Einlass ins Fantastische.

Mit dem Titel «rrring» wird das akustische Signal von Türklingeln aufgenommen und damit die Vorstellung, dass jemand auf der einen Seite läutet und jemand auf der anderen Seite öffnet. So ist «rrring» auch auf die menschliche Kommunikation zwischen Sender und Empfänger ausgerichtet. Daniela Keiser und Arno Hassler haben mit ihren Türen direkt auf die Architektur reagiert, jedoch noch viel wichtiger auch auf die die Gedanken und Vorstellungen der künftigen Nutzenden der Räume im Schulalltag. Angesprochen werden auch Emotionen, die mit Farben verbunden sind: Die Titel der Türen heissen je nach Farbe «ocre», «citron», «turquois», «geranium», «vert», «outremer» oder «ardent».

Diese «Passagenarbeiten» werden bald im Schulhaus Im Isengrind, das 2026 eröffnet wird, zu sehen sein. Zurzeit sind bereits drei Türen ein- bzw. ausgeschalt worden. Sie werden dem pragmatischen, realen Schulalltag in der Architektur einen fiktiven, theatralen Raum entgegensetzen, der viel gedankliche Freiheit zulässt. Der Blick durch die Tür oder den Türrahmen auf eine Szene ist in der Postmoderne ein wichtiger Initationspunkt für Theaterstücke. Gerade die blinden Türornamente in der Wand, die keinen Durchblick geben, können die Fiktionalisierung steigern. «There is fiction in the space between» singt die amerikanische Singer-Songwriterin Tracy Chapman («Telling Stories», 2000), die mit ihrer Musik verschiedene kulturelle Räume verbinden will. So erzählt auch das Kunst-und-Bau-Projekt «rrring» von Passagen in andere – vielleicht bessere – Welten.

Text: Simone Neuenschwander
Foto: Daniela Keiser

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