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Porträt 6: Rafael Stutz, Inhaber Schreinerei J. Baur

Vor einer halben Ewigkeit übernahm Rafael Stutz die Schreinerei J. Baur in Schwamendingen. In der Werkstatt hat er seither so ziemlich alles verändert, den Firmennamen behielt er bis heute. Aus gutem Grund.

Das kleine Büro ist die Kreativwerkstatt von Rafael Stutz, auch in musikalischer Hinsicht. Foto Alex Colle
Das kleine Büro ist die Kreativwerkstatt von Rafael Stutz, auch in musikalischer Hinsicht. Foto Alex Colle

«Maschinen lernt man kennen, Computer nicht.»

Sie singt im hohen Tremolo, dann kreischt sie laut auf und frisst sich unerbittlich durchs Holz, kerzengerade. Als aus einem Brett zwei geworden sind, erhöht die Fräse die Frequenz wieder, bis Rafael Stutz einen roten Knopf drückt und langsam Ruhe einkehrt. Nun wetteifern die Kinder auf dem Pausenplatz hinter dem Haus mit den Autos der Winterthurerstrasse um die Geräuschvormacht, im Nebenraum klopft es dumpf. Der Schreinermeister beginnt zu erzählen.

Wie eine gut geölte Maschine

«Bevor ich Anfang 1995 hier einzog, war das eine gepflegte, aber sehr einfach eingerichtete Werkstatt. Über die Jahre habe ich viel investiert, nicht nur in die Maschinen.» Rafael Stutz zeigt auf eine kleine Klappe bei der Fräse, die für lange Holzstücke geöffnet werden kann. Beim Fräsen kann das Holz durch die Öffnung geschoben werden – ins Freie. Und wennʼs regnet? Stutz winkt ab, das sei kein Problem. Dass dem alten Hasen dann schon etwas Gescheites einfällt, nimmt man ihm ohne Nachfragen ab.

Über die Jahre optimierte er jede Maschine, jeden Quadratmeter der nicht eben grossen Werkstatt. Hier lässt sich mit einem Handgriff einen Anschlag für das Fräsgut setzen, da mit einer Falttür den Raum unterteilen. Die Werkstatt an der Winterthurerstrasse 463 ist im Lauf der Zeit selber zu einer gut geölten Maschine geworden. Genau darum möchte Stutz sie auch als Ganzes weitergeben, wenn er in zwei, drei Jahren altershalber aufhört. «Die einzelnen Maschinen haben nicht viel Wert», erklärt er. «Aber diese kleine Welt hier, in der nichts zu viel, nichts zu wenig ist und alles zusammenfunktioniert, schon.»

Schreiner sind gesucht

Doch bisher ist die Suche nach einem Nachfolger vergebens. Als er den Schreinerverband über seine Rückzugspläne informiert, wird ihm beschieden, es stehen im Kanton über 50 Schreinerbetriebe zur Übernahme. Dabei sind gute Schreiner nach wie vor gefragt. «Das wird auch so bleiben», ist Stutz überzeugt. Jedenfalls kann er sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen. Viele Aufträge erhält er über ein grosses Malergeschäft, von Architekten und anderer Stammkundschaft. Und alles annehmen muss Stutz, der heute noch einen Schreiner beschäftigt, nicht mehr. 

«Du findest kaum noch Junge, die den Beruf erlernen wollen, geschweige denn wirklich gute.»

Früher waren sie zu viert oder zu fünft, doch der Fachkräftemangel hat auch seine Branche in die Zange genommen, und Lernende bildet er keine mehr aus: «Du findest kaum noch Junge, die den Beruf erlernen wollen, geschweige denn wirklich gute. Die meisten können am Anfang nicht einmal den Boden wischen.» Stutz sagt das nicht vorwurfsvoll. Er weiss, die Zeiten haben sich geändert. Heute werde kaum noch am Töffli herumgeschraubt und immer weniger repariert. Ein Handy lässt dies gar nicht mehr zu. «Es ist eine fest verschweisste Blackbox, deren Funktionsweise man nicht versteht», so Stutz. «Maschinen lernt man kennen, Computer nicht.»

Gestalterisches Flair

Auch wenn Stutz die heutige Schnelllebigkeit etwas zu schaffen macht, er ist kein Nostalgiker, schon gar kein Technikmuffel. Im Büro im ersten Stock zeichnet er seine Möbelentwürfe in einem CAD-Programm, das die Masse der Holzstücke, der Bohrlöcher und Einschnitte direkt an eine CNC-Fräse unten in der Werkstatt schickt. Das technische Know-how hat er sich «in ein paar Kürsli» angeeignet. Das gestalterische Flair, welches er bei seinem Handwerk für unabdingbar hält, wurde ihm in die Wiege gelegt. Seine Mutter war Textilkünstlerin, sein Vater Bildhauer.

«Dann konnte ich sagen: ‹De Chef het en Seich gmacht›.»

Zeitlos und ohne Schischi müsse gutes Design sein, sagt Stutz – und man denkt: so wie die schlichte, anthrazitfarbene Brille auf seiner Nase. Einen Bügel hat er behelfsmässig mit einer Büroklammer befestigt. Stutz wird die Brille nicht ersetzen, sondern reparieren lassen, keine Frage. Aber das kann warten, wie das Ändern des Firmennamens «J. Baur Schreinerei», der noch von seinem Vorgänger stammt. Am Anfang sei der Name ganz praktisch gewesen, wenn etwas in die Hosen ging. «Dann konnte ich sagen: ‹De Chef het en Seich gmacht›.» Doch oft dürfte das nicht passiert sein. Wer ändert schon einen Firmennamen, den er zu einem Gütesiegel gemacht hat.

/// Veröffentlicht im April 2024 (rik)

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