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Archiv: Aktuelles vom Ausländerinnen- und Ausländerbeirat ABR
Der Stadtrat von Zürich hat den Ausländerinnen- und Ausländerbeirat ABR für die Amtsperiode 2018 bis 2022 neu bestellt. Die 25 Mitglieder vertreten die Zürcherinnen und Zürcher ohne Schweizer Pass und vermitteln dem Stadtrat die Anliegen der nicht eingebürgerten Bevölkerung. Die Geschäftsstelle des Beirats wird durch die IF wahrgenommen.
Medienmitteilungen
Medienberichte
Tagblatt-Kolumnen
Die Mitglieder das Ausländerbeirats veröffentlichten 2007 in unregelmässigem Abstand Kolumnen im Tagblatt der Stadt Zürich. Darin sind kurze Alltagsgeschichten enthalten zu kulturellen Missverständnissen.
Am Anfang hatte ich keine Ahnung, wie ich mich verhalten muss, wenn ich mich mit Leuten verabredet habe, aber zu spät dran bin. Wer ruft dann wen an?
In Istanbul ist es so, dass die wartende Person anruft und nachfragt: «Sag mal, wann kommst du? Wo bist du gerade? Schaffst dus?» Ich habe mich eine Zeit lang gewundert, weshalb sich niemand für mich interessierte, wenn ich mich verspätet hatte, wohingegen ich immer fürsorglich herumtelefonierte, wenn ich auf jemanden wartete.
Aber inzwischen hat sich alles gut eingependelt, irgendwer telefoniert immer.
Typisch Züri.
Nach einem Jahr Aufenthalt in Zürich fand ich erstmals Zeit, meine Frau zum Einkaufen zu begleiten (Asche auf mein Haupt!). Nachdem wir an der Kasse bezahlt hatten und meine Arme mit Papiertüten und Kind belegt waren, bat ich meine Frau, den Einkaufswagen zurückzubringen.
Sie schaute mich verblüfft an und sagte, ganz Amerikanerin: «Aber Schatz, wieso soll ich den zurückbringen? Schliesslich haben wir zwei Franken dafür bezahlt, damit jemand hier das macht.» Da realisierte ich, dass sie nun ein Jahr lang dreimal zwei Franken pro Woche, also insgesamt 300 Franken, für die imaginäre Miete ausgegeben hatte.
Nicht, dass ich den folgenden «Wägeli»-Benutzern die Freude nicht gönne: Aber die 300 Franken hätte ich lieber in ein grosses Schild investiert, auf dem steht, dass man die zwei Franken wieder zurückbekommt.
Meine Mutter sprach kein einziges Wort Deutsch, als Sie zum ersten Mal in die Schweiz flog, um uns zu besuchen. Natürlich holten meine Frau und ich sie mit dem Auto beim Flughafen Kloten ab. Während der Fahrt zu unserer Wohnung kam meine Mutter aus dem Staunen nicht mehr heraus. Strassen, Häuser, Gärten, Autos – alles sah für sie so neu, so sauber, so anders aus. «Schweizerisch» eben.
Wir sprachen also über das Wetter, den Verkehr und andere Dinge, als meine Mutter plötzlich mit dem Finger auf ein Verkehrsschild zeigte und sagte: «Schaut mal, da ist schon wieder ein Schild nach «Ausfahrt». – Das muss aber eine sehr grosse Stadt sein.»
Kaum in Zürich angekommen, versuchte ich sofort, die regionalen Höflichkeitsregeln einzuhalten, wie zum Beispiel das Anstossen mit dem Weinglas a) beim ersten Mal, b) bei jeder neuen Person, c) bei jeder neuen Flasche, d) beim Wechsel von Weiss- zu Rotwein, e) bei jedem weiteren Anstoss aus jeder Richtung etc.
Auch hatte ich von Anfang an zur Kenntnis genommen, dass man zur Begrüssung immer «Grüezimitenand » sagt. Also sagte ich brav immer Grüezimitenand, wenn ich Leute traf, ob sie nun zu dritt, zu zweit oder alleine waren, da machte ich keinen Unterschied, denn ich hatte ja dieses wunderbare Wort Grüezimitenand. Dass andere manchmal nur «Grüezi» sagten, hielt ich für Mundfaulheit.
Es ging etwa ein Jahr, bis mich jemand diskret darauf hinwies, dass dieses wunderbare Wort bei einer einzigen Person zwingend auf «Grüezi» verkürzt werden muss. Typisch Zürich.
Als ich eines Tages nach Hause kam, bemerkte ich leichte Rauchschwaden in der Wohnung. Ausserdem roch es verbrannt. Der Geruch kam irgendwie aus dem Wandschrank. Nach einer halben Stunde «Werweissen» rief ich dann doch die Feuerwehr an. Damit sie mich nicht für plemplem hielten, nannte ich ganz ruhig Name und Adresse und schilderte das kleine Problem. Eine ebenso ruhige Männerstimme antwortete: «Mer schicked öppert verbii.»
Erleichtert, dass sie das seltsame Problem so diskret handhaben würden, wartete ich vor der Haustür auf einen Mann mit Aktenkoffer im Kleinwagen. Nach nicht einmal fünf Minuten rasten zwei Feuerwehrautos mit Sirene um die Ecke (es war tatsächlich ein kleiner Schwelbrand in der Wohnung unter mir). Wie schnell das ging! Und was für eine Untertreibung – «öppert»!
Als ich noch nicht lange in Zürich wohnte und mein neues Quartier erkundete, fiel mir eines schönen Tages in einer kleinen Strasse ein spezielles Geschäft auf. Im Schaufenster hingen verschiedene schöne Kleidungsstücke mit einer sensationellen Preisliste: Hose 6 Fr., Jupe 5 Fr., Hemd 4.50 Fr., Mantel 12 Fr. Das musste dieser Sommerschlussverkauf sein, von dem mir bereits andere Italienerinnen erzählt hatten.
Ich raste nach Hause, rief einige Freundinnen an und erzählte ihnen begeistert von diesem Geschäft. Am selben Nachmittag noch machten wir uns zu dritt auf den Weg, mit leeren Tüten und viel Vorfreude. Doch als wir dort eintrafen, wurde ich von den Freundinnen eines Besseren belehrt: Es handelte sich nur um eine Wäscherei. Wie schade, denn so günstige Preise habe ich in Zürichs Kleiderläden natürlich nie mehr angetroffen.»
Bei einer meiner ersten Zugfahrten in der Schweiz – ich sprach noch kein Deutsch – wollte ich in Olten den Zug nach Zürich nehmen. Da in Spanien an einem Bahnhof von vergleichbarer Grösse niemals zwei Züge zur gleichen Zeit abfahren würden, achtete ich nur auf die Abfahrtszeit und stieg ein.
Erst bei der Billettkontrolle wurde mir bewusst, dass ich im falschen Zug sass: Mit Händen und Füssen erklärte mir der Kondukteur, dass ich beim nächsten Halt aussteigen sollte. Unter grossem Gelächter wurde ich in einer einzelnen Lokomotive nach Olten zurückgefahren, wo ich schliesslich den richtigen Zug nach Zürich erwischte. Die Hilfsbereitschaft, die ich erlebte, ist mir unvergesslich.
Eine Freundin aus Deutschland war zu Besuch, und ich schickte sie eines Tages mit den leeren Flaschen zur nächsten Flaschensammelstelle. Die alte Tüte könne sie dann gleich dort lassen, es gebe einen speziellen Abfallbehälter dafür. Sie kam ganz entgeistert zurück und sagte: «Was ist das nur für eine Stadt, wo man sogar noch den Abfall falten muss?»
Im ersten Moment wusste ich nicht, was sie damit meinte, denn ich hatte mich schon so an diesen Papiertütenentsorgungsbehälter mit dem waagrechten Briefkastenschlitz gewöhnt, der verhindern soll, dass man eine dreckige Tüte einfach da reinwürgt. Also bitte erst schön falten und dann reinwürgen.
Typisch Züri.
Ich war 7 Jahre alt und erst seit kurzer Zeit in der Schweiz, als wir im Bastelunterricht Etiketten für Weihnachtsgeschenke anfertigen sollten mit dem Text «der lieben Mutter», «dem lieben Vater», «der lieben Gotte», «dem lieben Götti». Die Begriffe «Gotte» und «Götti» kannte ich nicht und rätselte, was damit gemeint sein könnte. Es waren wohl schweizerdeutsche Ausdrücke für Gott, schliesslich handelte es sich bei Weihnachten um einen wichtigen kirchlichen Feiertag. Aber was würden die anderen Kinder Gott zu Weihnachten schenken?
Das war mir alles zu mysteriös, und ich verzichtete trotz Ermahnung durch die Lehrerin darauf, Etiketten für «Gotte» und «Götti» zu basteln. Nachzufragen getraute ich mich nicht, ich wollte ja nicht dumm auffallen.
In meiner Heimat gehört es sich nicht, dass man eine Einladung zum Essen sofort annimmt. Wenn ich also bei jemandem zu Besuch bin, die Essenszeit naht, und ich werde aufgefordert, zum Essen zu bleiben, so sage ich: «Nein, danke, ich habe keinen Hunger, ich gehe jetzt nach Hause.» Diese Absage ist aber nicht ernst gemeint, sondern nur eine höfliche Redewendung. Schliesslich soll nicht der Eindruck entstehen, dass ich Hunger haben könnte – ein Zustand, der für manche Menschen in Senegal noch zum Alltag gehört.
Frisch in Zürich stellte ich verblüfft fest, dass man mich hier nur einmal aufforderte, zum Essen zu bleiben, und nicht insistierte, wenn ich ablehnte. Nachdem ich durch meine höfliche Absage so manches feine Essen verpasste hatte, sage ich heute unverblümt: «Ja, gerne.»
Als ich vor einigen Jahren nach Zürich kam, versuchte ich ernsthaft, Dialekt zu lernen und insbesondere die richtige Aussprache des Lautes «ch». Meine Bekannten gaben mir viele schöne Wörter zum Üben, wie zum Beispiel «Chäschüechli» oder «Chuchichäschtli». Natürlich wollte ich meine neuen schönen Wörter auch in der Praxis anwenden und verlangte in der Bäckerei selbstbewusst nach einem «Chuchichäschtli», das ich auch jedes Mal anstandslos bekam. Erst nach Monaten wurde ich darüber aufgeklärt, dass die Köstlichkeit nicht Chuchichäschtli sondern Chäschüechli heisst. Nun, immerhin kann ich nun das «ch» perfekt!