TOLSTOJ 1828 - 1910
22. September - 28. November 2010
Eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen L. N. Tolstoj-Museum Moskau.
LEW NIKOLAJEWITSCH TOLSTOJ
Als Leo Tolstoj am 20. November 1910 auf der kleinen Bahnstation Astapowo starb, war die Weltpresse zugegen. Sie meldete nicht nur den Tod eines der prominentesten Schriftsteller der Zeit, sondern das Ende einer Epoche. Der 82-jährige Tolstoj war eine moralische Instanz, ein Weltgewissen. Der Zar hütete sich, den Autor zahlreicher Pamphlete, welche die Zustände in Russland geisselten, verhaften zu lassen. Und Thomas Mann ging soweit zu formulieren, der Erste Weltkrieg hätte es nicht gewagt auszubrechen, wenn Tolstoj noch gelebt hätte.
Um 1879 hatte Tolstoj begonnen, sich von der Literatur zurückzuziehen und weltanschaulichen Fragen zuzuwenden. Erstes Zeugnis dieser Wende war die Schrift "Beichte", die in Russland nur in Abschriften kursieren konnte, bevor sie 1884 in Genf gedruckt wurde. Zuvor aber hatte er sich mit einem bereits immensen Werk in die Literaturgeschichte eingetragen. Nach einer autobiografischen Trilogie (Kindheit, 1852; Knabenjahre, 1854; Jünglingsjahre, 1857) und ebenso autobiografisch gefärbten Erzählungen vom Krimkrieg (1855/56) legte er zwei gewaltige Romanwerke vor. In "Krieg und Frieden" (1864-69) entwirft er ein Panoramabild Russlands in der Zeit der napoleonischen Kriege. In "Anna Karenina" (1875-77) erzählt er von der Liebe einer verheirateten Frau zu einem Offizier, die an ihrem Lebensentwurf, aber auch an der Starrheit der Gesellschaft zerbricht. Aufsehen erregt die 1889 fertiggestellte Erzählung "Die Kreutzersonate", die sich gegen die Sexualität wendet und die Institution der Ehe angreift.
Tolstojs späte Radikalität in moralischen und weltanschaulichen Positionen steht in einem kontrastreichen Verhältnis zum Leben eines Mannes, der besonders in seiner Jugend von seinen Begierden getrieben war und seine späteren Forderungen nach einem einfachen und autarken Leben nie befriedigend in die Tat umsetzen konnte. Der Kritiker moderner Errun-genschaften machte sich zugleich die technischen Errungenschaften seiner Zeit zunutze, vom Fahrrad bis zum Phonographen, auf dem seine Stimme überliefert ist.
Schliesslich wurde dieser Anhänger des bescheidenen bäuerlichen Lebens zum Objekt einer breiten medialen Darstellung in Kunst, Fotografie, Film und Journalismus – ein in dieser Dimension für die damalige Zeit neuartiges Phänomen.
Die Ausstellung zeigt Tolstojs Leben und Werk in den Spannungen, die zu seiner gewaltigen Wirkung gehören.
Das Museum Strauhof dankt dem Staatlichen L. N. Tolstoj Museum, Moskau, für die Anregung zu dieser Ausstellung, für die Leihgaben und die vielfältige Unterstützung der Vorbereitungsarbeiten.
DIE AUSSTELLUNG
Die Ausstellung bietet in einem biographischen Bogen vertiefte Einblicke in Leben, Werk und Denken Lew Tolstojs.
Besonderes Augenmerk gilt dabei der Verknüpfung der eigenen Person und des eigenen Lebens mit der Literatur, aber auch mit einer allgemeinen Ethik: dem Weg von der Selbstanalyse der frühen Tagebücher über die grossen Romane, die viel Persönliches enthalten, bis hin zu seiner späten Ablehnung jeder Kunst, die nicht dem richtigen Leben dient.
Der ERSTE RAUM ist Tolstojs Jugend, seinen Erfahrungen mit den Kriegen im Kaukaus und auf der Krim sowie seinen Auslandsreisen gewidmet, die ihn länger auch in die Schweiz führten.
Der ZWEITE RAUM handelt von den beiden grossen Romanen, die Tolstoj weltberühmt machten: "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina", wie auch von den Verfilmungen dieser Romane. Auch der Übergang zu seiner zweiten Lebensphase und seine pädagogische Tätigkeit werden thematisiert.
Der DRITTE RAUM gibt einen Einblick in die Themen von Tolstojs späterer Ethik: seine religiösen Vorstellungen, die Gewaltfreiheit und das einfache Leben und sein pazifistischer Anarchismus.
Der VIERTE RAUM ist ganz seiner Frau Sofja Andrejewna gewidmet.
Nach einem Einblick in Tolstojs sportliche Seiten (Korridor) zeigt der FÜNFTE RAUM die wichtigsten Spätwerke mit Hörbeispielen und Illustrationen.
Der SECHSTE RAUM thematisiert die berühmt gewordenen Ereignisse um Tolstojs Weggang von der Familie und seinen Tod, der zum Medienereignis wird.
Der SIEBTE RAUM schliesslich illustriert, wie Tolstoj schon zu Lebzeiten ein Objekt von Kunst und Medien wurde, was mit ein Grund war, dass er zu den weltweit berühmtesten Menschen seiner Zeit gehörte.