PIER PAOLO PASOLINI - Wer ich bin
18. März - 1. Juni 2009
Pier Paolo Pasolini (geboren am 5. März 1922 in Bologna, gestorben am 1./2. November 1975 in Ostia bei Rom) ist eine der herausragenden und schillerndsten Persönlichkeiten des intellektuellen Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Als Lyriker in der Sprache seiner friaulischen Heimat, als Autor von Romanen und kulturkritisch-politischen Essays und Kolumnen, als Regisseur polarisierender Filme, aber auch als Zeichner und Maler richtete sich sein Blick in erster Linie auf zeitlose, archaische Themen: das Schicksal des Menschen, das bäuerliche Leben, die Religion, die Sexualität, der Tod.
Dabei bewegte er sich stets ausserhalb gängiger Normen, fand Bilder von aussergewöhnlicher Klarheit und Schärfe und wurde dabei zum grössten Provokateur der italienischen Gesellschaft.
Sein gewaltsamer, noch immer nicht restlos geklärter Tod, den er in seinem Werk zum Teil vorweggenommen hat, war ein Schock, den die italienische Öffentlichkeit bis heute nicht verwunden hat.
Pasolini hat die Grenzen zwischen Leben und Werk mehr als die meisten seiner Zeitgenossen verwischt. Darum dient der Ausstellung ein autobiografischer Text als Leitfaden.
Das bio-bibliografische Gedicht "Poeta delle ceneri" (das den Arbeitstitel "Who is me" trägt und auf seinen bekanntesten Gedichtband "Ceneri di Gramsci" anspielt) entstand 1966 während eines Aufenthaltes in New York.
Pasolini erzählt darin sein Leben ausgehend von seiner Kindheit und Jugend im Friaul bis hin zur Gegenwart, wobei auch Werke und ihre Rezeption explizit erwähnt und stilistisch-mediale Entscheidungen thematisiert werden. Pasolini liefert darin selber die 24 Stichworte und Zitate, die durch Manuskripte, Briefe, Erstausgaben, Zeitungsartikel, Fotografien, Zeichnungen und Bilder in der Ausstellung visualisiert werden.
Eine eindrückliche und raumgreifende Filminstallation von Detlef Weitz und Dominique Müller untersucht auf zwölf Leinwänden Pasolinis filmisches Schaffen und stellt es in den Kontext seines gesamten Werkes.
Im Zentrum steht einerseits die Multi- und Transmedialität des pasolinischen Ausdrucks. Fokussiert wird insbesondere auf die verschiedenen Medien und Genres, deren sich Pasolini bediente (Wort-Kunst: Lyrik, Erzählung, Roman, Essay, Kolumne; Übergangsformen: Drehbuch, Theater; Bild-Kunst: Zeichnung/Malerei, Comic, Film).
Andererseits geht es aber auch darum, die inhaltliche Spannweite zu vermitteln. Pasolini ist in den verschiedenen Rollen zu sehen, die er im Verlauf seines Lebens eingenommen hat: der beschaulich-melancholische Narziss der frühen Lyrik, der unorthodoxe und militante Marxist der 50er und 60er Jahre, der bitterböse Gesellschaftskritiker der späten Kolumnen.
Die Ausstellung zeigt Pasolini als äusserst unbequemen, streitbaren, aber auch verletzlichen Künstler, der provozierte und polarisierte, indem er stets die Gegenposition zu jeder denkbaren Position bezog. Das prekäre Spannungsfeld zwischen Modernität und Konservativismus spiegelt sich nicht zuletzt in der bis über den Tod hinaus nicht abreissenden kontroversen Rezeption von Pasolinis Person und Werk, der die Ausstellung ebenfalls nachspürt.
Die Ausstellung von Peter Erismann und Ricarda Gerosa, in der Szenografie und Gestaltung von chezweitz&roseapple, Berlin, entstand in Koproduktion mit dem Centre Dürrenmatt Neuchâtel und dank der Zusammenarbeit mit den Pasolini-Archiven in Italien, welche die Leihgaben zur Verfügung gestellt haben: Graziella Chiarcossi, Nichte und Erbin von Pasolini, das Gabinetto Vieusseux in Florenz, das Archivio Pier Paolo Pasolini an der Cineteca di Bologna sowie das Centro Studi Pier Paolo Pasolini in Casarsa della Delizia im Friaul.