Wie ist der Ablauf, wenn man sich zum ersten Mal als Tumorzentrum durch die deutsche Krebsgesellschaft (DKG) zertifizieren lassen will?
Detlef Handke: Der Zertifizierungsprozess eines Tumorzentrums durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) umfasst die Vorbereitung, Antragstellung, Selbstbewertung und ein Audit durch ein Expertenteam. Nach erfolgreicher Bewertung wird das Zentrum zertifiziert.
Dr. med. Axel Mischo: Vor der Erstzertifizierung reicht man die geforderten Daten ein. Wenn die Vorgaben erfüllt sind, findet das Audit statt. Dazu kommen die Auditor*innen von der deutschen Krebsgesellschaft vor Ort. Sie überprüfen, ob die Vorgaben der DKG eingehalten werden. Dies ist ein grosser organisatorischer Aufwand. Es sind sehr viele Mitarbeitende vom Stadtspital daran beteiligt, die dann die Auditor*innen umherführen und Fragen beantworten. Aus Tumorzentrumssicht ist das natürlich immer der Höhepunkt des Jahres. Derartige Audits müssen jährlich wiederholt werden, damit das hohe Qualitätsniveau, das nach der Erstzertifizierung erreicht wurde, gehalten werden kann.
Handke: Ein unabhängiges Expertenteam prüft die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität anhand festgelegter Kriterien. Es wird bewertet, ob externe und interne Anforderungen sowie Mindeststandards in der Praxis umgesetzt werden. Nach der Erfüllung der Vorgaben des Zertifizierungsverfahrens erfolgt der Nachweis mit einem Zertifikat.
Nennt man die jährlichen Kontrollen Rezertifizierungen?
Mischo: Nein, das ist ein sogenanntes Überwachungsaudit. Aber der Aufwand ist der gleiche.
Handke: Die Gültigkeit eines Zertifikats der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) für ein Krebszentrum beträgt in der Regel drei Jahre. Nach Ablauf dieser Zeit muss das Zentrum eine Rezertifizierung durchlaufen, um sicherzustellen, dass es weiterhin die Qualitätsstandards der DKG erfüllt.
Mischo: Man hat nach der Erstzertifizierung ein bestimmtes Qualitätsniveau erreicht. Nur durch die jährliche Überprüfung im Audit wird sichergestellt, dass dieses Niveau auch gehalten wird.
Handke: Die Arbeit, die in einem Krebszentrum geleistet wird, ist von unschätzbarem Wert und erfordert viel Engagement und Hingabe von allen Beteiligten. Es ist grossartig zu erleben, dass die Kolleg*innen jeden Tag vor Ort so viel leisten.
Mischo: Am Stadtspital gibt es sehr viele hochmotivierte Mitarbeitende, die bei den Audits die Professionalität unseres Spitals beweisen wollen. Die hängen sich rein, da kommt sehr viel Eigeninitiative.
Was bringt diese Zertifizierung für die Patient*innen?
Mischo: Der*die Patient*in kann mit der Zertifizierung viel einfacher beurteilen, ob das Spital die entsprechende Qualität liefert. Der*die Patient*in ist in der Regel Laie und kann nicht beurteilen, ob der*die Chirurg*in gut operiert, die Diagnostik nach den aktuellen Standards abläuft oder die Prozesse im Spital optimiert sind. Man weiss vielleicht, dass das Spital einen guten Ruf hat, aber das gibt den Patient*innen keine absolute, allenfalls vielleicht eine gefühlte Sicherheit. Mit der Zertifizierung zeigen wir eine nachgewiesene Qualität. Die Qualitätskriterien, die von Fachgesellschaften festgelegt werden, sind erfüllt. Und so ist in all diesen Zentren die Qualität vorhanden, die gefordert wird.
Handke: Das A und O ist natürlich die Zusammenarbeit. In einem zertifizierten Zentrum ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit enger, da es klare Vorgaben zur Behandlung und zu Fallbesprechungen gibt. Das bedeutet, dass die Patient*innen sicher sein können, dass zeitnah über ihren Fall gesprochen wird. Das Vorgehen ist patient*innenzentriert und -orientiert und somit spezifisch auf die Situation und die Bedürfnisse der Patient*innen ausgerichtet.
Mischo: Bei den Fallbesprechungen, beim sogenannten Tumorboard, sitzen alle Fachspezialist*innen, die mit dem Fall zu tun haben, zusammen und besprechen jeden einzelnen Fall – wenn es sein muss, auch mehrfach.
Dabei spielt bestimmt auch die Routine eine bedeutende Rolle.
Mischo: Wenn ein*e Ärzt*in eine bestimmte Behandlung oder Operation nur ein- bis zweimal im Jahr macht, besteht weniger Erfahrung und Sicherheit, als wenn er*sie diese 50- oder 100-mal macht. Die Routinen sind da besser eingespielt. Deswegen ist eine gewisse Mindestfallzahl ein wesentlicher Punkt bei der Zertifizierung. Beim Prostatakarzinomzentrum sind es zum Beispiel 100 Prostatafälle, beim Brustkrebszentrum 100 Mammakarzinome und beim Lungenkrebszentrum sind es 200 sogenannte Primärfälle.
Hat man für diese hohe Qualität auch sonstige Beweise?
Mischo: Während mehreren Jahren hat man in Deutschland eine grosse Studie gemacht (WIZEN-Studie), bei der Millionen von Patient*innen-Daten ausgewertet wurden. Man konnte zeigen, dass es einen Unterschied macht, wenn Patient*innen in einem zertifizierten Zentrumsspital behandelt werden. Patient*innen in zertifizierten Spitälern überleben bei vielen Tumorerkrankungen signifikant länger als ausserhalb von zertifizierten Spitälern.
Die Zertifizierung bringt nicht nur etwas für die Patient*innen. Welche Vorteile bietet die Zertifizierung für die Mitarbeitenden?
Handke: Die Zertifizierung schafft Handlungssicherheit, indem sie klar definiert, wann welche Massnahmen ergriffen werden müssen. Die Abläufe sind strukturiert und transparent, sodass jederzeit nachvollziehbar ist, wann welche Untersuchung oder Behandlung stattfindet und wer sich wann wo einfindet. Der regelmässige Austausch der Spezialist*innen erleichtert die Arbeit zusätzlich, da die Fälle gemeinsam besprochen und das optimale Vorgehen abgestimmt werden können.
Mischo: Wenn man weiss, dass man an einem zertifizierten Zentrumsspital arbeitet, kann man sich darauf verlassen, dass hier der aktuelle Stand des medizinischen Wissens umgesetzt wird.
Handke: Zudem verfügt man über ein sehr hohes Niveau in der internen Fort- und Weiterbildung. Das gilt nicht nur für die Fachärzt*innen, sondern für alle, die an einer Behandlung beteiligt sind.
Mischo: Dies wird in den Audits auch überprüft. Die Auditor*innen wollen in den Audits sehen, ob es strukturierte Fortbildungspläne für die einzelnen Mitarbeitenden gibt.
Warum lassen wir uns von der DKG zertifizieren?
Handke: Die DKG-Zertifizierung ist seit 2006 ein fester Bestandteil des Schweizer Gesundheitssystems. Die DKG-Zertifizierung ist ein Garant für höchste Qualität in der Krebsversorgung. Sie fördert eine patient*innenzentrierte, interdisziplinäre und evidenzbasierte Behandlung und gilt als eines der angesehensten Qualitätssiegel in der Onkologie. Neben der DKG-Zertifizierung in der Schweiz gibt es umfassende Zertifizierungsprogramme, wie das Qualitätslabel der Krebsliga Schweiz (KLS) und Zertifikate der Europäischen Brustkrebsvereinigung (EUSOMA), die insbesondere für Brustzentren relevant sind.
Mischo: Eine breite Zertifizierung über alle Tumorarten hinweg gibt es nur im DKG-System. Es gibt keine andere Zertifizierungsstelle, welche diese Breite abdeckt. Andere kleinere Labels decken oftmals nur schmale Bereiche ab.