In Ihrer Klinik stehen Patient*innen tagtäglich im Zentrum. Warum setzen Sie auf gut organisierte Pfade für Patient*innen?
Prof. Markus Weber: An unserem Zentrumsspital behandeln wir im stationären Bereich zum Teil sehr komplexe Erkrankungen mit entsprechend differenzierten Behandlungen. An solchen Therapieabläufen sind oft sehr viele medizinische Fachpersonen beteiligt. Sie müssen gut aufeinander abgestimmt sein. Es hat sich gezeigt, dass mit der Einführung von klaren Standards diese Schnittstellen besser harmonisiert sind und dass die*der Patient*in dadurch viel reibungsfreier durch seine Therapien kommt. Klare Behandlungspfade, bei uns in so genannten «Caremaps» dokumentiert, versprechen auch eine höhere Sicherheit. Das läuft ähnlich ab, wie man es im Flugverkehr mit den Checklisten kennt. Trotzdem ist natürlich die empathische Begleitung die*der Patient*innen auf seinem Pfad etwas vom wichtigsten. Aber gerade durch die klar strukturierten Behandlungspfade bleibt dafür mehr Zeit, denn man muss das Rad nicht immer neu erfinden.
Wichtig für Patient*innen ist auch das ERAS-Programm. Vor welchen Operationen macht es Sinn?
ERAS steht für Enhanced Recovery After Surgery. Dies bedeutet übersetzt, dass sich die*der Patient*in möglichst gut und rasch von den operativen Eingriffen erholen sollte. Dabei steht nicht im Vordergrund, dass die Person möglichst rasch aus dem Spital entlassen werden kann, sondern, dass diese einen möglichst optimalen Heilungsverlauf mit wenig Komplikationen erfahren darf. Das ERAS-Programm fokussiert nicht nur auf den stationären Teil der Behandlung. Die ERAS-Patient*innen werden bereits vor der Operation durch eine so genannte ERAS-Nurse begleitet und auf das Programm vorbereitet. Es sind ganz klare Ziele vorgegeben, die erreicht und dokumentiert werden müssen. Wenn wir in der Klinik deutlich von diesen Zielen abweichen, suchen wir die Gründe und versuchen, sie zu beheben. Die Patient*innen erhalten vor dem Spitaleintritt eine Art ERAS-Tagebuch. So können sie ihre Fortschritte selbständig beobachten und mitverfolgen. Dabei werden sie vom ganzen ERAS-Team bis zum Austritt und auch danach begleitet. Das ERAS-Programm macht vor allem Sinn bei standardisierten, komplexen Operationen wie z.B. bei Dickdarmkrebs- und Leber-Eingriffen sowie Bauchspeicheldrüsen-Operationen.
Wie genau profitiert ein*e Darmkrebs-Patient*in von ERAS?
Wenn die*der Patient*in bei uns das erste Mal in der Sprechstunde erscheint, besprechen wir die Erkrankung und den geplanten operativen Eingriff. Bereits dann machen wir uns ein Bild über den allgemeinen Gesundheitszustand der betroffenen Person anhand einer ERAS-Checkliste. Anschliessend wird die*der Patient*in über dieses ERAS-Programm informiert und den ambulanten Erstkontakt mit der ERAS-Nurse vor der Operation in Aussicht gestellt. Dieser präoperative Termin ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Schritte in diesem Programm. Den Patient*innen wird ausführlich alles erklärt und sie werden darauf vorbereitet, dass von ihnen eine aktive Mitarbeit erwünscht ist. Wir versuchen die Operation möglichst minimalinvasiv durchzuführen. Wir verzichten, wenn immer möglich, auf Schläuche, die in den Bauch gelegt werden. Sie stellen eine Infektionsquelle dar. Die Patient*innen werden bereits am Abend des Operationstages aufgefordert, das Bett zu verlassen. Auch nach der Operation vermeiden wir Schläuche, beispielsweise einen Blasenkatheter. ERAS-Nurse und das gesamte Team begleiten die Patient*innen in der Folge. Sie motivieren sie täglich, möglichst viel aus dem Bett zu gehen. Ein besonderes Augenmerk liegt darauf, dass die Darmtätigkeit rasch wieder in Gang kommt. Hierzu dient z.B. Kaugummikauen. Alle Fortschritte werden sorgfältig in einem Patient*innen-Tagebuch dokumentiert und in einer Datenbank erfasst. Damit können wir kontrollieren, ob wir insgesamt mit dem ERAS-Programm auf einem guten Weg sind. Im Idealfall verlassen Patient*innen nach einer mittelgrossen bis grossen Dickdarmoperation das Spital bereits zwischen dem vierten und sechsten Tag.
Sie leiten zertifizierte Tumorzentren. Welchen Mehrwert bringt dies?
Gerade eben haben wir uns als onkologisches Zentrum zertifizieren lassen. Innerhalb dieses Zentrums gibt es verschiedene Organzentren. In meinem Fachbereich betrifft dies das Darmkrebszentrum und das Pankreaskrebszentrum. Diese Zentren werden jährlich intensiv während zwei Tagen evaluiert. Dabei wird geprüft, ob alle Behandlungspartner*innen die vorgeschriebenen Standards erfüllen. Dies gibt der zu behandelnden Person die Sicherheit, dass alle Behandlungspartner*innen bei der komplexen Behandlung dieser Erkrankungen auf dem erforderten, hohen Qualitätsniveau sind. Zudem wird im Rahmen dieser Zertifizierung auch sichergestellt, dass die verschiedenen Behandlungspartner*innen gut zusammenarbeiten. Als Beispiel möchte ich hier das zentrale Tumorboard nennen. Die daran beteiligten Fachpersonen besprechen alle Patient*innen vor und nach einer Krebsoperation. Der Mehrwert solcher zertifizierten Zentren wurde unter anderem von der Gesundheitspolitik erkannt. Sie vergibt zunehmend Leistungsaufträge nur noch an zertifizierte Zentren.
Was planen Sie sonst noch in diesem Bereich?
Im Rahmen der Zertifizierung unseres onkologischen Zentrums haben wir auch neue Organzentren wie z.B. das Prostatakarzinomzentrum oder das Hämato-Onkologische Zentrum aufgenommen. Für meine Klinik hat vor allem die Zertifizierung des Lungenzentrums eine hohe Bedeutung, da auch die Therapie von Lungenkrebs multimodal stattfindet. Das heisst, viele verschiedene Fachdisziplinen sind an der Behandlung beteiligt.
Bei Ihnen kommen auch Klinische Fachspezialist*innen zum Einsatz. Was sind das für Fachpersonen?
Klinische Fachspezialist*innen sind in der Regel Pflegekräfte, die eine längere Zusatzausbildung absolviert haben. Sie übernehmen Aufgaben in Zusammenarbeit mit den Ärzten bei der Betreuung von Patient*innen, die bis anhin ausschliesslich Ärzt*innen vorbehalten waren, z.B. Visiten, Verordnungen, Berichtswesen ausstellen usw. Ihre Tätigkeiten werden sowohl von der Pflege, wie auch von der Ärzt*innenschaft sehr geschätzt. Denn Klinische Fachspezialist*innen stellen ein optimales Bindeglied zwischen diesen beiden Berufsgruppen dar. Sie sind im Stadtspital Zürich aber nicht im Operationssaal tätig, sodass sie sich den ganzen Tag den Patient*innen auf der Station widmen können. Wir haben damit vor ca. vier Jahren begonnen. Da sich das Pilotprojekt sehr bewährt hat, setzen wir unterdessen in verschiedenen Kliniken mehrere Klinische Fachspezialist*innen ein.
Welche Vor- und Nachteile hat dies?
Primär schätzen die Patient*innen die dauerhafte Präsenz. Für die Assistenzärzt*innen sind die Klinischen Fachspezialist*innen ebenfalls eine grosse Entlastung, da sich die Arbeit nicht anhäuft, bis sie aus dem Operationssaal kommen. Zudem kann durch den Einsatz von Klinischen Fachspezialist*innen die Anzahl der sich in Ausbildung befindlichen Assistenzärzt*innen reduziert werden. Damit steht pro Assistenzärzt*in eine höhere Anzahl von Ausbildungseingriffen zu Verfügung.
Weitere Informationen:
Klinik für Viszeral-, Thorax-, Gefässchirurgie und Angiologie