Herr Müller, Sie sind Geschäftsführer der UTO Real Estate Management AG (UTOREM). Welchen Stellenwert hat die Mobilität aus Ihrer Sicht bei der Planung von Liegenschaften?
Mobilitätsfragen gewinnen in der Planung von grösseren Neubauprojekten an Bedeutung. Dies in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wandeln und differenzieren sich die Bedürfnisse der MieterInnen hinsichtlich Mobilität, sodass zugeschnittene Lösungen gefragt sind. Gleichzeitig hat sich gerade in den letzten Jahren auch das Mobilitätsangebot verbreitert und es wird vermehrt eine öffentliche Diskussion um eine nachhaltige und verträgliche Mobilität geführt. Mobilitätsfragen sind in der Planung also ein grosses Thema.
Herr Zihlmann, Sie sind Technology and Architecture Manager bei AMAG, welchen Stellenwert haben Liegenschaften in Ihren neuen Mobilitätskonzepten/ Mobilitätsangeboten? Warum sehen Sie gerade beim Wohnen ein Potential in der Mobilität?
Liegenschaften sind da, wo Menschen zu Hause sind – und wo sie ihren individuellen Bedürfnissen nachgehen. Das eigene Mobilitätsbedürfnis und die Flexibilität gelten weiterhin als hohes Gut. Wir stellen dabei fest, dass frühere Muster, das eigene Fahrzeug zu besitzen und zu pflegen, vor allem im städtischen Umfeld immer mehr dem Wunsch nach unterschiedlichen Verkehrsmitteln für unterschiedliche Bedürfnisse und der Bereitschaft zum Teilen weicht. Dieser Wandel fordert heraus – und motiviert uns, unseren Kunden auch mit neuer Denkweise und mit Kompetenz zu begegnen. Nicht mehr «nur» mit Autos – sondern mit nachhaltigen Mobilitätskonzepten.
Wie ist es zur Idee gekommen, Siedlungsplanung und Mobilitätskonzept gemeinsam zu planen?
Müller: Ausschlaggebend war wohl, dass sich sowohl die Immobilienbranche als auch die Automobilbranche an veränderte Rahmenbedingungen anpassen müssen und deswegen auch auf der Suche nach neuen Mobilitätskonzepten sind. Mit neuen Rahmenbedingungen meine ich dabei beispielsweise die zunehmende Verdichtung in der Schweiz, eine generell hohe Verkehrszunahme oder auch Nachhaltigkeitsaspekte. MieterInnen konsumieren und verstehen Mobilität heute anders: Man möchte von A nach B gelangen, es wird aber situativ entschieden, mit welchem Verkehrsmittel dies erfolgen soll. Es muss nicht das eigene Auto sein. Das veränderte Nutzungsverhalten führt teilweise zu Leerständen bei Parkgaragen von Siedlungen und damit zu Mietzinsausfällen. Als Immobilienentwickler sind wir darum bestrebt, das Parkplatzangebot bei Neubauten auf das effektiv nachgefragte Mass zu reduzieren. Dies schafft Einsparungen bei den Baukosten und gleichzeitig Spielräume für neue Mobilitätsangebote.
Zihlmann: Herr Müller bringt es auf den Punkt. Es ist schlussendlich das Zusammenspiel verschiedener Faktoren – und nicht zuletzt, der neuen Möglichkeiten durch die Digitalisierung. Wir können damit Prozesse und Produkte näher an die Kundschaft bringen, diese aktiv einbeziehen und gestalten lassen. Schlussendlich wird eine Idee zum Erfolg, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht und sie annimmt. Hier scheint der Zeitgeist zu stimmen. Das Zusammenspiel von Siedlungsplanung und Mobilitätskonzept ermöglicht gleichzeitig eine ökonomische Optimierung und die heutigen Bedürfnisse der MieterInnen zu befriedigen.
Die Siedlung Sagenmatt in Ebikon ist derzeit in Planung. Dort wird ein umfassendes Mobilitätskonzept umgesetzt. Was sind die Kernelemente des Konzepts?
Müller: Wir haben eine Lösung entwickelt, bei der die MieterInnen auf einfache Weise ein breites Spektrum an Mobilitätsformen zugreifen können. Herzstück des Mobilitätskonzepts ist die neue Anwendung «Chipi». Über das Smartphone können die MieterInnen auf die hauseigene Flotte von Elektroautos, eBikes und eScootern zugreifen, Privatautos teilen und gleichzeitig das gesamte Angebot des öffentlichen Verkehrs in der Umgebung überblicken. Die MieterInnen erhalten ein Mobilitätsguthaben, das sie für das hauseigene Mobilitätsangebot verwenden können, wenn sie auf einen eigenen Parkplatz verzichten.
Mit diesem Mobilitätskonzept schaffen wir es, die Anzahl Einstellhallenplätze zu reduzieren und die NutzerInnen profitieren von deutlich geringeren Kosten gegenüber einem Szenario mit einem eigenen Auto auf dem angemieteten Abstellplatz.
Zihlmann: Mit der Chipi-App gelingt es, diesen hochstehenden und innovativen Anforderungen von Herr Müller und seinem Team zu begegnen. «Lokale Mobilität – in einem globalen Ökosystem». Sie vereint die Darstellung des eigenen Fuhrparks in der Überbauung – als planbares, stationsbasiertes Angebot – und ergänzend dazu das von sämtlichen öffentlich verfügbaren Mobilitätsdienstleistern (wie in Ebikon relevant z. B. Mobility oder Nextbike). Das Angebot des ÖV ist gleichermassen integriert wie e-Ladestationen und Parkhäuser. Die App erlaubt den AnwenderInnen somit zuerst einen Überblick zu erhalten, Mobilitätsleistungen zu reservieren, zu buchen – und diese gleichzeitig zu bezahlen. Sollte es sich beim Bezug um ein Fahrzeug aus dem eigenen Fuhrpark handeln, dann kann dieses selbstverständlich auch digital und ohne physischen Schlüssel verwendet werden.
Gibt es solche Mobilitätskonzepte auch in der Stadt Zürich? In was unterscheiden sich Mobilitätskonzepte in der Stadt Zürich und einer kleineren Stadt wie Ebikon?
Zihlmann: Das Mobilitätsangebot in der Stadt Zürich ist auf allen Ebenen riesig, vielfältig und auf verdichtetem Raum. Das liegt im Charakter einer Stadt. In einer Gemeinde wie Ebikon ist das Mobilitätsangebot kleiner und entsprechend höher ist der Bedarf, den Raum mit individuellen Verkehrsträgern zu überwinden. Mobilitätskonzepte sind überall gefragt – und dann erfolgreich, wenn sie die lokalen Gegebenheiten, wie z. B. ÖV-Verfügbarkeit, Parkplatzangebot und Faktoren wie Lebenssituation, Interessen und Altersstruktur der BewohnerInnen Rechnung tragen.
Müller: Örtliche Unterschiede gibt es ganz sicher. In der Stadt Zürich erproben wir beispielsweise in zwei Liegenschaften (an der Birchstrasse 98, Oerlikon und am Boulevard Lilienthal 5, Opfikon) Mobilitätsangebote. Wir haben hier festgestellt, dass eine recht kleine Gruppe von Mieterinnen gerne ein eigenes Auto besitzt, die übrigen Mieter hingegen konsequent öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Auf unser Carsharing-Angebot in Zürich wurde deswegen selten zurückgegriffen. Wir gehen davon aus, dass die hauseigene Flotte wie sie in der Sagenmatt angeboten wird, vor allem ausserhalb der Kernstädte eine gute Ergänzung für den ÖV darstellt, also insbesondere an Orten, an denen der Individualverkehr stärker nachgefragt wird.
Die AMAG richtet ihr klassisches Autobusiness ganz neu aus, erzählen Sie etwas zu Ihren Projekten Clyde, Chipi, autosense. Was hat Sie zu diesen Projekten animiert?
Zihlmann: Es ist tatsächlich so – die AMAG Gruppe verändert sich im aktuellen Umfeld. Das ist für diese Traditionsunternehmung jedoch nichts Neues – die AMAG hat sich in den letzten 75 Jahren schon immer konsequent am Markt orientiert und sich vorausschauend aus der Stärke heraus entwickelt. So entstand vor über zwei Jahren mitunter das AMAG Innovation & Venture LAB, in welchem die vier Geschäftsfelder Connectivity, Mobilitätsdienstleistungen, E-Mobility Services und E-Business aktiv bewirtschaftet werden. Daraus sind in der Vergangenheit neue Vorhaben, ganze Unternehmensteile oder Beteiligungen entstanden – und wir entwickeln weiter.
Bezogen auf unser Thema hier - neue Mobilitätskonzepte und Mobilitätsangebote - bietet neben «Chipi» auch das Auto Abo «Clyde» ein den Zeitgeist treffendes und sehr flexibles Angebot. Clyde vermittelt unseren Kunden ihr Wunschfahrzeug zu einer monatlichen Abo-Gebühr. Das Ziel ist es, das optimale Produkt zum richtigen Zeitpunkt am Wunschort bereit zu stellen und die aufwändige Administration wie Versicherung, Strassenverkehrssteuer und Räderwechsel abzunehmen. Wir sind mit diesem Produkt nicht in den Showrooms – sondern explizit online auf www.clyde.ch.
Welche Mobilitätsmassnahmen und Mobilitätsangebote haben Ihrer Sicht nach in künftigen Mobilitätskonzepten eine Schlüsselfunktion? Gibt es neue Trends und Innovationen, die die Mobilitätsplanung in Zukunft verändern können?
Müller: Es ist anzunehmen, dass auch in naher Zukunft eine Vielzahl an Mobilitätsangeboten koexistieren und sich ein Stück weit substituieren werden. Je nach persönlichen Bedürfnissen und den örtlichen Rahmenbedingungen werden die Präferenzen auf dem einen oder anderen Angebot liegen. Die eigentliche Frage, die sich die Immobilienbranche stellt, ist aber vielmehr: Welche Auswirkungen werden künftige Technologien und Mobilitätsangebote auf die Wohnungsnachfrage und die Immobilienpreise haben. Die Erreichbarkeit einer Liegenschaft fördert ihre Attraktivität und damit ihren Wert. Durch neuartige Angebote wie beispielsweise selbstfahrende Autos könnten plötzlich andere Lagen attraktiv werden. Oder durch technologische Innovationen, die dezentrales Arbeiten fördern, könnte sich der Berufsverkehr deutlich reduzieren und die Dominanz von Städten abschwächen. Ich bin mir nicht sicher, welche Mobilitätsangebote die Zukunft bestimmen werden – sicher scheint mir aber, dass sie vielfältige Auswirkungen auf die Immobilienbranche haben werden.
Zihlmann: das Thema «Mobilität» bewegt sich aktuell auf verschiedensten Ebenen. Getrieben von Technologie, Digitalisierung und Innovation – der Elektromobilität, von sich verändernden Bedürfnissen der Menschen in Bezug auf den Besitz, dem Anspruch nachhaltiger Ökologie – und nicht zuletzt dem Wunsch, den Wohn- und Lebensraum in der Stadt zum Begegnungsort umzuformen. All diese Faktoren werden die künftige Mobilität prägen. Welche mehr - und welche weniger - ist aktuell schwierig abschätzbar.
Die AMAG Gruppe soll sich dabei vom grössten Verkäufer von Neuwagen zum führenden Anbieter von nachhaltiger, individueller Mobilität entwickeln. Wir werden die Mobilität aus unserer heutigen Kernkompetenz mitgestalten und prägen – um für unsere Kunden und Partner weiterhin ein sicherer Wert zu sein.