«Design ist die Alternative mit Charme»

Stadt-Räume, die Schönheit und ihr Fussabdruck: Die Zurich Design Weeks boten Einsichten in die kreative Kraft des Designs.

25. Oktober 2024 – Die Seele findet in einer Schalterhalle ihren Raum. Hier, am Bahnhof Enge, ging es einst geschäftiger zu. Man kam an, vielleicht in einem neuen Land, man reiste ab, zurück in die Heimat oder in die Ferien. Heute sind die Schalter geschlossen.  

Ein Transitraum ist die Halle mit dem kuppelartigen Dach bis heute geblieben. Während der Zurich Design Weeks im September ist sie in blauviolettes Licht getaucht. An den Wänden tanzen Lichter, als reflektiere Sonne auf Wasser. Glaslinsen und Laserprojektoren werfen die zufälligen Muster an die Mauern.  

«Soul» heisst die Lichtinstallation des ukrainischen Lichtdesigners Mykola Kabluka, sie ist eine Zusammenarbeit mit der Kyiv Design Week. Für den Besucher ist es wie Blinzeln im Zwielicht, die Halle bekommt etwas Zauberhaftes, Einladendes. «Doch das flauschig weiche Licht wird auch ein Akt des Widerstands», sagt Kuratorin Gabriela Chicherio. Das Licht, fährt sie fort, immateriell und flüchtig, vermittelt Wärme und Schutz. Hier behaupten sich die Seele, Hoffnung und Identität und lassen sich niemandem wegnehmen.  

Wasserfeste Vasen, gute Nachrichten 

«Soul» ist eine von fünf Interventionen im öffentlichen Raum der diesjährigen Design Weeks, die von der Wirtschaftsförderung der Stadtentwicklung unterstützt werden. Unter dem Titel «Good News» vermittelt die jüngste Ausgabe des Festivals Einsichten darüber, was Design vermag.  

In den Ausstellungen bekommt eine wasserfeste Vase – der Name fällt tatsächlich – ihre Gestalt aus Styropor; ein Sonnenblumenbild Van Goghs hat Robert Wettstein dazu inspiriert. Da erfährt der Über-Klassiker des Schweizer Designs, der Landi-Stuhl, vom britischen Duo Soft Baroque eine neue Interpretation aus Holz: weicher, wärmer, grösser, runder. «Redesigning Swissness» heisst, Erbe und Innovation eine Gestalt zu verleihen. Die «Togetherness Bench» von Yael Anders schlägt einen Treffpunkt im öffentlichen Raum vor und lädt an der Europaallee zu Gesprächen mit Unbekannten ein, inklusive Fussbad. Es sind wenige Beispiele von vielen. 

Die ehemalige Schalterhalle im Bahnhof Enge in violettes Licht getaucht.
Kathedral wirkt die frühere Schalterhalle im Bahnhofsgebäude Enge, wenn sie wie während der Zurich Design Weeks in violettes Licht getaucht wird.

Wie kann Design für gute Nachrichten sorgen? Für derzeit heiss ersehnte Nachrichten aus einer friedlicheren, intakteren Welt? «Mit Design kann man die Welt nicht nur schöner, sondern auch besser machen», meint Gabriela Chicherio, die zusammen Anita Simeon Lutz und Andreas Saxer das Festival initiiert hat und leitet. 

Vor den Design Weeks hat die Produkt- und Industriedesignerin etwa Möbel entworfen. Sie war Geschäftsleiterin der «Made in Zürich Initiative» zur Förderung der urbanen Produktion und hat unter anderem in den Anfängen an der Entwicklung von «Fluid Solids», einem biobasierten und biologisch abbaubaren Kunststoff mitgearbeitet. Im Rührgerät zu Teig verarbeitet haben sie damals das heute industriell hergestellte Material, erzählt Gabriela Chicherio mit energischem Humor. Heute wird das Material für kompostierbares Einwegbesteck verwendet, für Sockenbügel und Elektrokomponenten.  

Fluid Solids ist für die Festivalleiterin ein perfektes Beispiel dafür, wie die Ziele von Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft den Ausgangpunkt einer Materialinnovation bilden und Reststoffe aus der Landwirtschaft verwendet werden, die keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion darstellen. Für Fluid Solids sind es die Spindel des Mais, Nussschalen und Haferspelzen, die sonst keine Verwendung finden.  

«Als Teil der Kreativwirtschaft trägt Design zur Diversifizierung der Wirtschaft und damit zu einer widerstandsfähigeren Branchenstruktur bei.» Rahel Kamber, stellvertretende Leiterin der Wirtschaftsförderung

Eine lebhafte Szene, renommierte Hochschulen und eine Tradition der kreativen Gestaltung: Zürich ist auch eine Stadt des Designs. Die Initialzündung für die Design Weeks entsprang dem Bedürfnis der Branche, bestehende Events – etwa die Design Biennale – und gleichzeitig neue Ansätze erlebbar zu machen. Diese Eigeninitiative überzeugte, und die Partnerschaft mit der Stadt begann.  

«Das Geniale an den Design Weeks ist das Konzept der Dachorganisation», sagt Rahel Kamber, stellvertretende Leiterin der Wirtschaftsförderung bei der Stadtentwicklung. «Sowohl die Branche als auch Unternehmen und neue Initiativen bekommen damit die Gelegenheit, an Reichweite und Sichtbarkeit zu gewinnen, ohne ihre Einzigartigkeit – oder anders gesagt: ihren USP – zu verraten.» 

Als Teil der Kreativwirtschaft trage Design, so Rahel Kamber, zur Diversifizierung der Wirtschaft und damit zu einer widerstandsfähigeren Branchenstruktur bei, mit der urbanen Produktion, aber auch mit Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Wichtig aus Sicht der Stadtentwicklung sind die Überschneidungen mit dem Gewerbe sowie die Erkundung von nachhaltigen Lösungen.  

Der Fussabdruck der Schönheit

Lösungen finden, dafür ist Design die Allround-Disziplin: Für die Erforschung von Materialien und in der Folge auch von Formen, für Textil- oder andere Stoffe, zur Entwicklung von Nachhaltigkeitskonzepten und Innovationen. Design weckt Aufmerksamkeit und prägt gesellschaftliche Veränderungen mit. Doch Gestalterinnen und Gestalter brauchen kreativen Spielraum. Denn Design, sagt Gabriela Chicherio, «ist die Alternative mit Charme».  

Definitiv charmant spielt die Bachelor-Arbeit «L’Eufleurie» an den Design Weeks mit den Gegensätzen. Zarte Papierblumen, denen Duft und so etwas wie ein vergängliches Blumenleben eingehaucht wird, wickeln uns ein in unsere Begeisterung für die Natur. Blumensträusse wünschen Glück, sie leuchten vor Lebensfreude und Farbenpracht. Doch diese Blumen erzählen auch vom ökologischen Fussabdruck des Schnittblumenhandels.  

Ein Strauss von Blumen steht in einem Fenster. Die Blumen sind aus Papier.
«L’Eufleurie», die Abschlussarbeit von Iris Gerbex. Ein Blumenstrauss mit kleinem ökologischen Fussabdruck.

«L’Eufleurie» ist eine Abschlussarbeit der Newcomer-Ausstellung im Museum für Gestaltung, an der je eine Arbeit aus den fünf Schweizer Design-Hochschulen ausgestellt sind und möglichst viele Ausdrucksformen von der Mode bis zum Interaction Design sichtbar machen. Müssten wir also Blumen ersatzlos aus dem Alltag streichen, der Umwelt zuliebe? So weit würde sie nicht gehen, meint die Kuratorin. Vielmehr gehe es darum, über den Schnittblumenhandel nachzudenken und Alternativen zu finden, um uns weiterhin über Blumen, ihre Leichtigkeit und Schönheit zu freuen.  

Optionen für die Zukunft 

Viele Produkte von jungen Gestalterinnen und Gestaltern bestünden aus nachwachsenden Rohstoffen, der intelligenten Verarbeitung von Reststoffen oder der ganzheitlichen Betrachtung des Produktzyklus. Mieten statt Kaufen, Reparieren statt Wegwerfen sei die Haltung. Für die jungen Kreativen gehören der nachhaltige Umgang mit Ressourcen, nachhaltiger Materialverbrauch und kreislauffähige Produktion zu den Grundlagen ihrer Arbeit. 

Das Motto «Gute Nachrichten» dürfte auch für sie ein etwas anderer Zugang sein. Denn Konsum- und Umweltbewusstsein führten möglicherweise auch zu einer Folgerung, die lähmen kann: Wie macht man den Job einer Designerin, eines Designers, mit dem Wissen, dass der beste Konsum kein Konsum ist? Auch dafür sind die Design Weeks da: Auszuloten, welches die Optionen für die Zukunft sind.                            

Nina Toepfer

Erfolgreicher Pilot

Die Zurich Design Weeks sind ein Pilotprojekt, das mit der Unterstützung der Stadtentwicklung Zürich dieses Jahr zum dritten Mal durchgeführt wurde. Seit seinem Beginn ist das Festival markant gewachsen. Während 18 Tagen im September fanden über sechzig Programmpunkte statt, davon 26 Ausstellungen, diverse Interventionen, Events, Workshops, Gespräche und Führungen zu heimischem und internationalem Schaffen.