«Je globalisierter die Welt, desto wichtiger sind Partnerschaften»

Anna Schindler zu Geschichte und Zukunft der Städtepartnerschaft mit San Francisco.

Die Stadt Zürich startete 2003 eine Städtepartnerschaft mit San Francisco. Wie kam es dazu?  

Getragen wurde die Idee zu Beginn stark von Swiss Re-Manager Walter Anderau und Dirk Fredericks, einem ehemaligen US-Botschafter in der Schweiz, sowie dem früheren Stadtpräsidentin Ledergerber. Zusammen mit der Swiss-American Chamber of Commerce, der ETH und der Universität Zürich lancierten die Gründer im Sommer 2003 eine «Public-Private-Partnership» zwischen den Städten Zürich und San Francisco. 

Weshalb entschied sich die Stadt genau für San Francisco?  

Weil es viele Gemeinsamkeiten gab und bis heute gibt. Beides sind wirtschaftlich erfolgreiche, mittelgrosse Städte mit renommierten Universitäten und Kulturinstitutionen. Beide kämpfen mit ähnlichen Folgen des Wachstums im Bereich Infrastruktur, Mobilität und Wohnen. Und natürlich ist San Francisco mit dem Silicon Valley auch für den ICT-Standort Zürich sehr interessant. 

Anna Schindler

Direktorin der Stadtentwicklung Zürich

Anna Schindler, die Direktorin der Stadtentwicklung Zürich

Anna Schindler ist seit November 2011 Direktorin Stadtentwicklung der Stadt Zürich. Zuvor arbeitete die Kultur- und Wirtschaftsgeografin für verschiedene deutsch- und englischsprachige Publikationen und Verlage sowie als Kommunikationsberaterin im Bereich Architektur, Immobilien und Städtebau für kleine und grössere Firmen und Unternehmen. Sie unterrichtete Medienwissenschaften, Kulturkommunikation und Kulturmanagement an der ZHAW und an der Universität Zürich und arbeitete mit dem ETH Studio Basel. Anna Schindler lebt mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in Zürich. 

 

Welche Rolle spielt die Stadt in dieser Partnerschaft?  

Bei dieser Initiative geht es in erster Linie um die Verbesserung des Wissenstransfers in Wissenschaft, Technologie, Forschung und Bildung. Wir verstehen uns primär als eine Plattform, unter deren Dach viele Initiativen stattfinden können und die den Austausch erleichtern soll. Das jährliche Budget dafür liegt bei rund 20‘000 Franken, Extrakosten entstehen nur bei den gelegentlichen Besuchen der städtischen Delegation, wie etwa anlässlich des 20-Jahre-Jubiläums. 

Was waren die Highlights in diesen zwanzig Jahren?  

Es gab einen intensiven Kulturaustausch, mit einer gemeinsamen Doppelausstellung anlässlich des 10-Jahres-Jubiläum. Die in beiden Städten wichtige Gaming-Industrie war immer wieder Teil der Partnerschaft. Auf zivilgesellschaftlicher Ebene gibt es seit 2004 einen jährlichen Schüleraustausch der Kantonsschule Enge mit örtlichen Highschools. Und die ICT-Branche hat via Swissnex, dem neuen Haus der Schweizer Wissenschaft und Technologie, gute Beziehungen aufgebaut mit dem Silicon Valley. Zürcher Start-ups haben dort Zugang zu den grossen Tech-Konzernen und Investoren.  

Brachte die Städtepartnerschaft auch Google nach Zürich?  

Nein, obwohl das zeitlich passen würde, eröffnete Google doch 2004 das erste Büro am Limmatquai. Aber klar ist: Durch die ideellen Verbindungen der beiden Städte haben wir heute sehr enge wirtschaftliche Verbindung. Und dank der ETH und der Uni ist Zürich zu einem Technologie-Cluster geworden, wo neben Google viele andere Tech-Giganten aus dem Silicon Valley vertreten sind. Nicht zuletzt profitieren wir auch touristisch: Die USA ist neben der Schweiz und dem nahen Ausland der wichtigste Markt und viele Touristen kommen von der Westküste. Aber bei Städtepartnerschaften geht es um mehr als um quantitative Ergebnisse. 

Corine Mauch und London Breed geben sich auf der Bühne die Hand
Stadtpräsidentin Corine Mauch und London Breed, die Bürgermeisterin von San Francisco, unterzeichnen das neue «Memorandum of Understanding» für die kommenden fünf Jahre der Städtepartnerschaft.

Woran denken Sie? 

Bei unseren Kooperationen geht es auch stets darum, dass wir direkte politische Beziehungen aufbauen, die die Zusammenarbeit erleichtern und Dinge ermöglichen, die sonst nicht realisierbar wären. Zudem ist der Austausch für unsere Verwaltung und für die Stadtentwicklung sehr wertvoll, denn wir haben ähnliche Probleme. Da können wir voneinander lernen. 

Die politischen Rahmenbedingungen sind sehr unterschiedlich. Lassen sich Modelle von anderen Städten überhaupt übernehmen?  

Hingehen und kopieren, das funktioniert in den seltensten Fällen. Aber durch den Austausch lernt man, die Probleme besser zu verstehen und die Lösungsansätze auf die eigene Realität zu adaptieren.  

Können Sie ein konkretes Beispiel machen? 

Anlässlich des 20-Jahre-Jubiläums reiste eine städtische Delegation im Herbst 2023 nach San Francisco. Die Stadt kämpft mit einer offenen Drogenszene, die stark an jene von Zürich in den 1980er und 1990er Jahren erinnert, und die städtischen Verantwortlichen wollten von unseren Sucht- und Präventionsexperten wissen, wie wir das damals gelöst haben. Dieser Austausch stiess nicht nur auf reges Interesse, er hat auch dazu geführt, dass die städtische Regierung in San Francisco gerade ein Gesetz für eine Drogenpolitik nach Zürcher Vorbild erarbeitet. 

«Nur wenn wir uns vernetzen, können wir voneinander profitieren und Lösungen finden. »

Kann Zürich auch etwas von der Drogenpolitik San Franciscos lernen? 

Sehr gut eingesetzt werden dort in der Sozialarbeit die Kompetenzen von Menschen, die selbst eine Suchtvergangenheit haben und heute abstinent sind. Ausserdem haben wir viel gelernt über die Erfahrungen der Stadt mit der neuen Droge Fentanyl, für den Fall, dass sie sich bei uns ausbreiten sollte. 

Die Städtepartnerschaft mit Kunming brachte Zürich den Chinagarten beim Zürichhorn. Ist von San Francisco auch etwas geplant – etwa ein Mini-Golden Gate Bridge die Limmat?  

Meines Wissens nicht. Aber durch die Strassen von San Francisco fährt ein altes Züri-Tram. 

Wird die Partnerschaft weiterbestehen? 

Ja, sie wurde letztes Jahr um fünf Jahre verlängert. Die bisherigen Themen, insbesondere die Drogenproblematik, werden Schwerpunkte bleiben. Hinzu kommt die Künstliche Intelligenz, wo die Region San Francisco führend ist. Unsere Universitäten, aber auch die Wirtschaft und Verwaltung sind sehr interessiert am Austausch in diesem Bereich.  

Historisch gehen Städtepartnerschaften auf die Nachkriegszeit zurück. Sie bildeten die Vorhut einer nationalstaatlichen Annäherung und ein Bollwerk gegen den Ausbruch von Feindseligkeiten. Sind sie überhaupt noch zeitgemäss? 

Absolut. Je globalisierter die Welt und je mehr Menschen in den Städten leben, desto wichtiger sind die Aussenbeziehungen und die Kooperationen mit anderen Städten. Nur wenn wir uns vernetzen, können wir voneinander profitieren und Lösungen finden. In diesem Geiste hat sich der Stadtrat zum Ziel gesetzt, Zürich als Standort und Destination zu stärken, die weltoffene und internationale Grundhaltung der Stadt zu fördern und die partnerschaftliche Zusammenarbeit über die Grenzen hinaus zu pflegen. 

Das Tram, das Zürich einst San Francisco schenkte, fährt zu Ehren des Jubiläums der Städtepartnerschaft auf der historischen Strecke. Im Tram Corine Mauch und James Bridgeman (Komittee Zürich-SFO).
Das Tram, das Zürich einst San Francisco schenkte, fährt zu Ehren des Jubiläums der Städtepartnerschaft auf der historischen Strecke. Im Tram Corine Mauch und James Bridgeman (Komittee Zürich-SFO).
Die Zürcher Delegation unterwegs im Mission-Distrikt unter fachkundiger Führung der Schriftstellerin und Wahl-Kalifornierin Milena Moser.
Die Zürcher Delegation unterwegs im Mission-Distrikt unter fachkundiger Führung der Schriftstellerin und Wahl-Kalifornierin Milena Moser.
Erika Stucky,  Schweizer Jazzerin mit amerikanischen Wurzeln, mit ihrer Handorgel.. Links von ihr Matteo Costanzo, rechts Corine Mauch, Rafael Mandelman, Balz Aplanalp und  James Bridgeman.
Erika Stucky, Schweizer Jazzerin mit amerikanischen Wurzeln, mit ihrer Handorgel.. Links von ihr Matteo Costanzo, rechts Corine Mauch, Rafael Mandelman, Balz Aplanalp und James Bridgeman.
Zürichs Drogenexpertinnen und –experten waren über eine Woche mit Kolleginnen und Kollegen aus San Francisco unterwegs, um sich ein Bild über die desolate Situation vor Ort zu machen und ihre Erfahrungen aus der Zürcher Drogenpolitik zu teilen.
Zürichs Drogenexpertinnen und –experten waren über eine Woche mit Kolleginnen und Kollegen aus San Francisco unterwegs, um sich ein Bild über die desolate Situation vor Ort zu machen und ihre Erfahrungen aus der Zürcher Drogenpolitik zu teilen.

San Francisco hat 18 Städtepartnerschaften, Köln sogar 22 – Zürich hingegen nur zwei. Ist ein Ausbau geplant? 

Nein. Wir bekommen jährlich mehrere Anfragen, aber sagen stets ab. Oft geht es dabei bloss um Geld oder sie beschränken sich auf gesellige Anlässe. Wir wollen nur Kooperationen, in denen wirklicher Austausch stattfindet und wo es um konkrete Projekte oder Themen geht. Solche temporären Partnerschaften gibt es immer wieder, zurzeit gerade mit Hamburg und Wien oder auch mit München. 

Hand aufs Herz: Wenn Sie sich eine weitere Partnerstadt wünschen könnten - welche wäre das? 

Medellìn in Kolumbien – eine beeindruckende Stadt, die sich vom Zentrum der Gewalt zum Vorbild für innovative Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit entwickelt hat. Hochinteressant wäre auch Chicago, sowohl sozial wie auch wirtschaftlich und städtebaulich. Aber in beiden Fällen ist keine Städtepartnerschaft angedacht.  

Und was hat San Francisco, was Sie sich für Zürich wünschen würden? 

Das Meer. Und eine Unbeschwertheit, einen Optimismus, der uns manchmal auch guttun würde.  (mk)

Die Aussenbeziehungen der Stadt Zürich

Die Städtepartnerschaften werden vom Bereich Aussenbeziehung der Stadtentwicklung Zürich koordiniert. Sie vernetzt die Stadt Zürich national und international und spielt eine wichtige Koordinationsrolle innerhalb der Stadtverwaltung. Neben San Francisco pflegt Zürich seit 1982 eine Partnerschaft mit Kunming. Daneben gibt es multilaterale Kooperationen mit verschiedenen Städteverbänden sowie temporäre Kooperationen mit einzelnen Städten.