So wird ein rasch wachsendes Quartier gut versorgt

In Seebach wächst die Bevölkerung auch in den kommenden Jahren stark. Was braucht es, damit sie künftig alles in kurzer Distanz findet, was sie benötigt? Die Stadtentwicklung Zürich hat es untersucht.

20. Dezember 2024 – An der Schaffhauserstrasse in Seebach, auf den 1,8 Kilometern zwischen Bahnhof Oerlikon Ost und der Stadtgrenze, findet man alles, was wirklich wichtig ist: Lebensmittel, Haushaltsartikel, Produkte für Schönheitspflege und Gesundheit, Kinderhütedienst, Kleiderreparatur und -reinigung, Mode, Blumen und natürlich Lebensmittel und Getränke. 

Auf dem ersten Kilometer ab Bahnhof Oerlikon bis zur Tramendstation in Seebach bieten Läden und Unternehmen schon seit Jahren gut sichtbar im Erdgeschoss fast durchgehend Waren für den täglichen Bedarf und Dienstleistungen an. Auf den knapp 800 Metern zwischen Tramendstation und Stadtgrenze hingegen sind publikumsorientierte Geschäfte eher Mangelware. 

Seebach wächst am stärksten 

Die ebenerdigen Laden- und Gewerbeflächen entlang der Schaffhauserstrasse in Seebach spielen für die Versorgung des Quartiers eine wichtige Rolle. Dies ist ganz im Sinne des in den kommunalen Richtplänen der Stadt Zürich gezeichneten Zielbilds einer Stadt mit mehreren Quartierzentren und verbindenden Stadtachsen. Das Konzept einer «Stadt der kurzen Wege» ist international ein Thema. Wohl abhängig von der lokalen Gehgeschwindigkeit kennt man es in Paris auch als «15-Minuten-Stadt» oder als «Fünf-Minuten-Stadt» im Kopenhagener Distrikt Nordhavn. 

Die Bevölkerung in Zürichs Norden wird in den nächsten Jahren weiter stark wachsen. Gemäss den neusten Szenarien von Statistik Stadt Zürich steigt die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner in Seebach zwischen 2023 und 2045 um knapp 29 Prozent.  Die Stadtentwicklung Zürich wollte  deshalb genauer wissen, wie das Quartier versorgt wird und hat mit der Firma ImmoCompass, eine Beraterin für Immobilien und Stadtentwicklung, eine Studie zur Nutzung von publikumsorientierten Erdgeschossflächen erstellt. Diese vergleicht das gegenwärtige und künftige Nachfragepotenzial zudem mit anderen Quartierzentren, nämlich mit Oerlikon, Schaffhauserplatz, Schmiede Wiedikon, Albisrieden, Seefeld und Wollishofen. 

Wie man misst, ob ein Quartier gut versorgt ist

 ImmoCompass nimmt die gängige Unterteilung einer Stadt in Flächen von etwas mehr als der Grösse eines Fussballfeldes als Basis (Hektarraster). Die lokale Nachfrage nach Gütern des täglichen Bedarfs errechnet man aus der Zahl der Personen, die auf der Fläche wohnen und arbeiten, ihrem für den Ort üblichen Haushaltbudget und einem typischen Einkaufsverhalten, eher am Wohn- oder eher am Arbeitsort. Die bestehenden Laden- und Betriebsflächen im Umkreis von 300 Metern Fussdistanz bilden das lokale Angebot. Das Verhältnis aus Angebot und Nachfrage zeigt, wie gut man, im Umkreis von 300 Meter, mit im Alltag regelmässig benötigten Gütern versorgt ist, also mit Esswaren, Dusch- und Reinigungsmitteln, WC-Papier oder Katzen- und Hundefutter 

Rein nach dieser Rechnung wäre Seebach unterversorgt. Aktuell bestehen 17'000 Quadratmeter sogenannt publikumsorientierte Erdgeschossflächen, die zur Quartierversorgung beitragen. Für eine gute Nahversorgung jedoch bräuchte es theoretisch 29'000 Quadratmeter, und mit dem prognostizierten Bevölkerungswachstum wären bis 2040 gar rund 40'000 Quadratmeter notwendig. Das entspricht etwa der Grösse des Shoppingcenters Tivoli in Spreitenbach. 

Oerlikon zieht Kundschaft aus Seebach an

Allerdings übersteht diese theoretische Kalkulation den Realitätscheck vor Ort nicht. Das liegt vor allem am angrenzenden Zentrum Oerlikon. Für weite Teile des Quartiers Seebach liegt es zwar ausserhalb der Fussdistanz und zählt so strenggenommen nicht zur Nahversorgung. Aber das breite Waren- und Dienstleistungsangebot in Oerlikon zieht Kundschaft über den 300-Meter-Radius hinaus an.  

Im Zentrum Oerlikon sind deshalb mehr Verkaufs-, Gastronomie- und Dienstleistungsflächen in den Erdgeschossen vorhanden, als die Nachfrage der Anwohnenden in Fussdistanz erfordert. Eine ähnliche Situation besteht im Seefeld, das als Einkaufsort ebenfalls über das Quartier hinaus Kundinnen und Kunden anzieht. Der Schaffhauserplatz, die Schmiede Wiedikon sowie Albisrieden und Wollishofen hingegen sind Quartierzentren, in denen das lokale Angebot und die lokale Nachfrage ausgewogen sind. 

Läden müssen sich nicht zwingend harmonisch im Quartier verteilen. Eine dezentrale Konzentration hat Vorteile. 

Wegen der Zentrumswirkung von Oerlikon empfiehlt die Studie für die Schaffhauserstrasse in Seebach deshalb, nur 10'000 Quadratmetern publikumsorientierte Erdgeschossflächen bis 2040 zu schaffen und nicht 20'000 Quadratmeter, wie dies die Kalkulation nahelegt. Und sie rät, neue Flächen eher konzentriert beim Bahnhof Oerlikon Ost, beim Seebacherplatz und vor allem rund um die Tramendstation Seebach zu schaffen; in deren Einzugsgebiet wird das Quartier am stärksten wachsen. Ein dezentral konzentriertes Angebot berücksichtigt die Gegebenheiten im Quartier und ist auch für Geschäfte und Betriebe attraktiver als ein über 1,8 Kilometer verteiltes Angebot. 

Die Stadt der kurzen Wege braucht Logistik ins Quartier 

Realistische Prognosen sind nicht nur wertvoll für die Raumplanung, sondern auch für die Verkehrsplanung. Eine Stadt der kurzen Wege funktioniert nur mit einer nachhaltigen Logistik, die zuverlässig funktioniert. Die Tendenz ist eindeutig: Die wachsende Bevölkerung in den Quartieren sorgt für ein steigendes Transportvolumen von Waren (Güterverkehr) und für Mehrfahrten, etwa von Handwerkerinnen und Handwerkern (Gewerbeverkehr). So wird häufiger geliefert und in kleineren Mengen. 

Weil Versorgung und Entsorgung zentral sind, hat die Stadt Zürich 2022 zudem die Strategie «Urbane Logistik und Gewerbeverkehr» mit drei Stossrichtungen erstellt: Ausreichende Flächen, effiziente, klimaneutrale, umweltverträgliche Abwicklung sowie integrale Planung und Innovation.

Eine Stadt der kurzen Wege stellt den Güter- und Gewerbeverkehr unter anderem vor zwei Herausforderungen. Zum einen lässt sich eine verlässliche Logistik nur teilweise via öffentlichen Verkehr oder Lastenvelos abwickeln. Verkehrstechnische Massnahmen, die den motorisierten Individualverkehr gewollt eindämmen sollen, treffen zu oft auch den Güter- und Gewerbeverkehr. Zum anderen beansprucht urbane Logistik Platz. Es braucht gut erreichbare Umlade-Standorte als Scharnier zwischen regionaler Anlieferung und Feinverteilung in die Quartiere. Und es braucht Gewerbeparkplätze oder zumindest gut zugängliche Flächen zum Entladen und Beladen. 

Bessere Zufahr für Gewerbetreibende

Der motorisierte Güter- und Gewerbeverkehr, der nicht vermeidbar ist, sollte in der Verkehrsplanung eigenständig betrachtet werden, nicht als Teil des motorisierten Individualverkehrs. Dem hat zuletzt im Oktober 2024 der Zürcher Gemeinderat Rechnung getragen. Er beschloss, die Parkkarten für die Blaue Zone für Private zu verteuern und gleichzeitig Parkierung und Zufahrtsregelungen für das Gewerbe attraktiver zu machen. Weniger Individualverkehr auf der Strasse muss sich nicht zwingend mit einer effizienten, verlässlichen und umweltverträglichen Versorgung einer wachsenden Stadt der kurzen Wege beissen. 

Roger Müller