Philomena Schwab
14. Juni 2024 – Wie kommt es, dass eine mittelmässige Oberstufenschülerin aus Zürich-Schwamendingen vom renommierten Forbes-Magazin auf die Liste junger Ausnahmepersönlichkeiten gesetzt wird? Dass sie zum Shootingstar der Gaming-Szene avanciert? Und heute zu den wenigen Game-Designer*innen zählt, die von ihrem Beruf leben können?
Philomena Schwab, heute 34 Jahre jung, ist Mitbesitzerin vom Stray Fawn Studio, einem der bekanntesten Studios für Videospielentwicklung in Zürich. Sie spielt im kommerziell sehr herausfordernden Geschäft der Independent Games – oder kurz Indie Games – mit. Das bedeutet, sie entwickelt und vermarktet Videospiele ohne finanzkräftigen Herausgeber im Rücken. 90 Prozent der lancierten Indie-Games sind ein finanzieller Flop, weitere fünf Prozent spielen knapp die Entwicklungskosten ein. Philomena Schwab jedoch ist eine der wenigen Game Designer*innen in der Schweiz, die mit den eigenen Videospielen Geld verdient.
Sie leben auf dem Rücken eines Ur-Viechs
Schwabs letzter Wurf «The Wandering Village» ist gleichzeitig ihr bisher erfolgreichster. Das Game ist ein Simulationsspiel mit integriertem Biologieunterricht: Ein Dorf entsteht auf dem Rücken eines Riesentiers, das gleichzeitig Fortbewegungsmittel und Lebensgrundlage ist. Ohne symbiotische Beziehung zwischen der Dorfbevölkerung als Parasit und dem Tier als Wirt geht es in dem Spiel nicht richtig vorwärts. Die ungewöhnliche Story hat bisher mehrere Hunderttausend Menschen dazu animiert, das Spiel zu kaufen.
Philomena Schwabs Interesse am Schulstoff war bescheiden. Lieber zeichnete sie und dies immer und überall. Deshalb wollte sie erst Comics zeichnen, später Bücher schreiben. Als Oberstufen-Schülerin jedoch entdeckte sie das Programmieren von Games.
Um in diesem Metier erfolgreich sein zu können, gab sie in der Schule Gas. Sie besuchte die Zürcher Hochschule der Künste und schloss in Game Design mit einem Master ab. Als Erstes entwickelte sie danach ein Game, das sie über Spenden finanzierte. Und so kam es, dass sie 2017 mit diesem Game im Gepäck auf der Top-30-Liste von jungen Ausnahmepersönlichkeiten des renommierten Forbes-Magazins landete. Mit nur 28 Jahren.
Seit 2016 ist Philomena Schwab nun Besitzerin von Stray Fawn und ist mitverantwortlich für ein Team von zehn Personen. Auch in dieser Hinsicht ist sie eine Ausnahmeerscheinung. Frauen sind im Game Design inzwischen zwar gut vertreten, aber Studiogründerinnen und -besitzerinnen findet man noch immer selten. Das Studio entwickelt nicht nur eigene Games, sondern lanciert auch Spiele anderer Entwickler*innen.
Sie hilft, Ideen zum Fliegen zu bringen
Philomena Schwab ist begeistert von den kreativen Ideen und der gekonnten Umsetzung der vielen Schweizer Game-Designer*innen. Seit 2020 unterstützt sie die Szene auch als Gründerin des Swiss Game Hub. Die Non-Profit-Organisation stellt für Entwickler*innen günstig Büroräume zur Verfügung oder organisiert Events für das Testen von unvollendeten, aber schon spielbaren Indie-Games. Und der Swiss Game Hub bietet ein Mentoring-Programm. «Lange gab es keine Anlaufstelle für neue Studios und Game Design-Studierende frisch ab Uni», sagt Philomena Schwab. Dieses Problem konnte sie mit dem Swiss Game Hub nun zumindest in Zürich beheben.
Schwab hat sich in ihrer Karriere früher als andere Game Designer*innen mit der Vermarktung befasst. Sie ist Spezialistin darin, wie man mit einer interessierten Community schon im Stadium der Vorversionen interagiert und so Vorfreude auf das Spiel schürt. Die Nachfrage nach Unterstützung ist gross. Aber das Mentoring sei reine Freiwilligenarbeit. Und die Platzverhältnisse an der Hohlstrasse im Kreis 4 sind beschränkt.
«Es scheint, als würden heute die Schweizer Game Entwickler*innen ernster genommen als bis anhin.» Philomena Schwab
Swiss Game Hub hat deshalb bei der Stadt Zürich ein Konzept für die Zwischennutzung der ehemaligen Industriehalle 87S in Oerlikon eingereicht – und damit überzeugt. Der Umzug steht in den nächsten Monaten an. «Die neue Location in Oerlikon ist fünfmal grösser als unser bisheriger Standort. Wir sind der Stadt Zürich sehr dankbar», sagt die Game Designerin. Es scheine, als würden die Schweizer Game Entwickler*innen ernster genommen als bis anhin. Und wo möchte Philomena Schwab als Nächstes hin? Ein selbst entwickeltes Game zehn Millionen Mal verkaufen? Anderen Studios zum Höhenflug verhelfen? Oder lieber lange Ferien machen? Ihre Antwort: «Am liebsten alles gleichzeitig.»
Roger Müller