Nebel für eine kühle Stadt
Wie Zürich kühl bleibt
12. Juli 2024 – Die Zukunft wird heisser. Aber Zürich will kühl bleiben. Viele Massnahmen tragen dazu bei: Natürliche Kaltluft soll ungehindert durch die Stadt fliessen, Wasser und Begrünungen, auch an den Fassaden sollen Kühlung bringen und grüne Freiräume sollen für alle zugänglich sein. So hält es die Fachplanung Hitzeminderung fest.
Dabei arbeitet das Stadtgrün, Bäume insbesondere, am effektivsten; es nimmt das versickerte Regenwasser auf, verdunstet es und bringt so Kühlung. Doch Bäume brauchen Zeit, um zu Wachsen und sie gedeihen auch nicht an jedem Ort. Ihre Wurzeln brauchen viel Platz und je nach Standort kann sich auch ihre Krone nicht voll entfalten.
Kühler Nebel aus der Wolke
Wie also kann Zürich auch mit anderen wirksamen Mitteln kühl bleiben? «Alto Zürrus», so nennt sich diese Zürcher Spielart der Zirrus- oder Federwolke, probte die Hitzeminderung und eroberte dabei viel Zuspruch. Am Turbinenplatz, wo es sehr heiss werden kann, versprühte das künstliche Gewölk in den Hitzesommern 2022 und 2023 kühlenden Nebel. Die Geschichte der Wolke erzählt auch die Geschichte einer Erfindung, die unterschiedliche Akteur*innen in der Stadt zusammenbringt. Die Stadt ist auch ein Ideenlabor.
Der Gärtner und die Ideenmanagerin
Erfunden wird die Wolke bei Grün Stadt Zürich (GSZ) 2020. Andreas Würsch, Projektleiter und gelernte Gärtner, hat sie entworfen und Julia Marie Thöni, Ideenmanagerin bei GSZ, ist schnell von ihr überzeugt: «Die Wolke aus künstlichem Nebel verkörpert einen völlig neuen Ansatz für uns», sagt sie. Die beiden Projektleitenden bewerben sich für einen Innovationskredit beim Smart City-Team der Stadtentwicklung. «Alto Zürrus» gewinnt und kann steigen. Dienstwege, Bewilligungen, Fragen zu Technik und Hygiene im öffentlichen Raum verzögern den Start aber um ein Jahr.
Smart: die vernetzte City
Smart City Zürich ist einer der fünf Bereiche der Stadtentwicklung Zürich. Innovative Projekte mit Beiträgen zu fördern, ist Teil seines Programms. «Smart» heisst in Zürich vor allem «vernetzt». So bringt Smart City Menschen in der Stadtverwaltung zusammen, schafft neue Verbindungen und fördert die Umsetzung von guten Ideen. «Wir machen die Stadtverwaltung smarter, damit die Stadt smarter wird», sagt Philipp Siegenthaler, Projektleiter des Innovationskredits. Beim Kühlexperiment haben Initiative, Vernetzung und Unterstützung ineinandergegriffen. «Alto Zürrus» wird eine smarte Wolke.
Der Innovationskredit: mit Risiko
Mit dem Innovationskredit unterstützt Smart City Zürich zukunftsweisende Projekte aus der Stadtverwaltung. Zweimal im Jahr prüft eine Jury Bewerbungen und berücksichtigt Vorschläge, die in der Schweiz oder weltweit, sicher aber in Zürich Pilotcharakter haben. Sie müssen auch, so Philipp Siegenthaler, in «vernünftiger Zeit» realisiert werden können. Die Jury hat praktische Umsetzungen, keine Forschungsarbeiten im Auge. «Es muss etwas passieren, etwas gebaut oder entwickelt werden», sagt Siegenthaler. «Zu Innovationen gehört immer auch ein gewisses Risiko, dass es nicht funktioniert.»
Wie «Alto Zürrus»? «Die Wolke hat als Versuch überzeugt, trägt aber nur in Kombination mit anderen Massnahmen wie etwa mit Bäumen zur Hitzeminderung bei.» Bei der Bevölkerung sei sie aber sehr gut angekommen und sei so ein sympathisches Beispiel für ihre Arbeit.
Technik und Träumerisches
Im Sommer 2022 schwebt also die Wolke fünf Meter über dem Boden und schaltet sich an Hitzetagen zwischen Anfang Juli und Oktober ein. An einem Aluminiumring sind 180 Hochdruckdüsen angebracht. Denn damit die Tropfen fein genug sind, um Nebel zu erzeugen, müssen sie unter hohem Druck in die Luft gesprüht werden. Für keimfreien Nebel fliesst Trinkwasser durch die Rohre, die mittels UV-Behandlung desinfiziert werden.
2023 kommen drei kleinere Wolkenelemente auf unterschiedlichen Höhen und eine «Nebellinie» auf Kniehöhe hinzu. Adiabate Kühlung heisst das Senken der Temperaturen dank Verdunstung. Denn die Verdunstung entzieht der Luft Energie, was wiederum die Luft kühlt. Faszination für die Wolke könnte man den Zuspruch der Passantinnen und Besucher auf dem Turbinenplatz nennen. Sie verkörpert auch ein träumerisches Element.
Unter der Wolke
Ob die Wolke aller Wolken der Idee Patin gestanden hat, ist offen: In Yverdon wurde eine Wolke zur Ikone der Landesausstellung Expo von 2002. Allerdings verdunsteten ihre Tropfen nicht, man wurde nass in ihr. Doch auch ihre technisch erzeugten Schwaden trugen die Fantasie davon.
Wie freundlich die Zürcher Wolke aufgenommen wird, zeigt sich in den Reaktionen, die sie auslöst. An einem ihrer Träger ist ein QR-Code angebracht: «Sag uns deine Meinung». «Knapp 350 Menschen haben geantwortet, davon waren 75 Prozent begeistert», erzählt Projektleiterin Julia Marie Thöni. Repräsentativ ist die Umfrage nicht, aber vielsagend.
Learning aus der Wissenschaft
Auf einer offenen Fläche entstehen in der Hitze thermische Aufwinde. Sie bewirken, dass die kalte Luft steigt, obschon sie schwer ist und etwa in geschlossenen Räumen sinkt. Deshalb erweist sich die Hitzeminderung auf dem Turbinenplatz als klein. Rund um die Wolkenelemente wird es nur rund zwei Grad kühler. «Nur wenn man direkt vor einer Düse stand, fühlte es sich an wie vor einer offenen Kühlschranktür», erinnert sich Julia Marie Thöni.
Die gefühlte Temperatur zeigt jedoch ein anderes Bild. Sie lässt sich als Physiologisch Äquivalente Temperatur (PET) modellieren und liegt rund um die Wolke bis zu mehreren Grad tiefer, als sie gemessen wurde. Die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW begleitet die Wolke aus wissenschaftlicher Sicht. Auch ihre Erkenntnisse belegen: Künstlicher Nebel kann zusammen mit anderen Kühlungsmassnahmen sinnvoll eingesetzt werden, idealerweise in Kombination mit Bäumen.
Die Wolke als Botschafterin
So schwebt diesen Sommer keine Wolke mehr über dem Turbinenplatz. Dafür hat Zürich neue Erkenntnisse. Als verspielte Botschafterin einer coolen Stadt hat die smarte Wolke Aufmerksamkeit geweckt: Es sind geeignete Massnahmen zur Hitzeminderung gefragt. Kühltechnisch erweist sich «Alto Zürrus» als wertvolles Experiment. Verschiedene Anfragen sind eingegangen, etwa von Schulen und Immobilienverwaltungen, die sich für den Einsatz von «Wolken» auf ihrem Gelände interessieren. Die Kontakte sind vermittelt.
Nina Toepfer