Die selbstfahrenden Bienen
28. August 2024 – Wie übergrosse Bienen düsen sie durch Hamburg: Die gold-schwarzen kleinen VW-Busse mit sechs Plätzen und grossen dunklen Schiebeglastüren und Wabenmuster. «Schau, ein MOIA!» – rufen Besucher*innen, wenn sie eines sehen. Und «Lass uns ein MOIA nehmen, das geht schneller», die Hamburger*innen.
Das App-gesteuerte Ride-Pooling-Unternehmen MOIA, dessen Gäste ihre Fahrten kombinieren und einen gemeinsamen Bus nutzen, wurde 2016 als eigenständige Tochter des Volkswagen-Konzerns in Hamburg und Berlin gegründet, 2019 nahmen die eigens gebauten elektronischen Minibusse kurz vor der Corona-Pandemie ihren Dienst in Hamburg auf. Seither sind sie aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken.
Der Bus kommt auf Abruf
Sie befördern auf ihrem dichten Netz von über zehntausend Haltepunkten jährlich Hunderttausende von Menschen quer durch die Stadt zu ihren Zielen. Dies meist mit einem kleinen Umweg – denn es geht ja um das Pooling, das Zusammenlegen von Fahrten und Fahrgästen, die in dieselbe Richtung unterwegs sind –, aber zuverlässig und treu und in einem zunehmend weiteren Radius.
Und nun geht es nochmals einen Schritt weiter: MOIA wird autonom. Ab 2027 soll die App nicht mehr nur goldene, sondern auf Wunsch auch tiefschwarze Kleinbusse herbeirufen – Letztere fahrerlos.
Auf der Testfahrt im Hamburger Baustellenverkehr in der Innenstadt sitzt allerdings noch ein Fahrer hinter dem Steuer. Und auch wenn er seine Hände nur im Notfall anlegt, ist es zentral, dass er dort sitzt, denn die Pilotphase im Strassenverkehr ausserhalb der Testgelände in Hamburg und München hat eben erst begonnen.
Es ist nicht nur wichtig, über Sensoren und GPS-Systeme Millionen von Gigabytes Daten zu sammeln auf jeder selbstgesteuerten Fahrt, sondern eben auch im letzten Moment zu verhindern, dass das MOIA, wie schon geschehen, übermütig über eine dunkelorange Ampel braust. Zum Glück sassen weder der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher noch sein Wiener Kollege Michael Ludwig drin.
10'000 autonome «Bienen» könnten in Hamburg einmal ausschwärmen
Denn das exklusive Probefahren mit einem der ersten autonomen Shuttles fand im Rahmen des Trilogs zwischen Hamburg, Wien und Zürich statt. Das Dreiertreffen zwischen den drei Städten, 2019 ins Leben gerufen, beruht auf regelmässigem Fachaustausch zu verschiedenen Themen der Stadtentwicklung von Mobilität bis Wohnpolitik oder Sicherheit im öffentlichen Raum angesichts einer wieder wachsenden Drogenproblematik.
Zur Bekräftigung der Kooperationen besuchen sich die drei Stadtoberen zudem jedes Jahr in einer anderen ihrer Städte. Dieses Jahr war Hamburg Gastgeberin – und lud unter anderem zum Erproben der «völlig neuen Technologie», so der MOIA-CEO Sascha Meyer, des autonomen gemeinsamen Fahrens.
Bis zu 10’000 autonome «Bienen» könnten 2030 auf Hamburgs Strassen unterwegs sein. Das sieht zumindest eine Vereinbarung des Bundesverkehrsministeriums mit der Stadt Hamburg vor. «ALIKE» nennt sich das Projekt, das von MOIA und der Hamburger Hochbahn getragen wird und mit dem die gesellschaftliche Akzeptanz von autonomen Fahrangeboten in der Praxis und das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung erforscht werden sollen.
Der Bund fördert es mit 26 Millionen Euro, und ein internationales Konsortium von renommierten Hochschulinstituten, zu dem auch das Institut für Verkehrsplanung und Transportwege der ETH Zürich unter Professor Kai Axhausen gehört, begleitet das grossangelegte Experiment.
Ab dem Herbst 2024 will MOIA den öffentlichen Praxistest starten: Zwei Jahre lang dürfen ausgewählte Fahrgäste selbstfahrende Kleinbusse in verschiedenen Stadtteilen Hamburgs ausprobieren. Dafür hat VW eine autonome Version des Elektrobusses ID. Buzz entwickelt. Neben einem Dutzend Kameras kommen dabei Radargeräte sowie sogenannte Lidars zum Einsatz. Ein Lidar-Gerät misst Distanzen mit Laserstrahlen, erkennt Menschen am Strassenrand, Fahrradfahrer und Baustellen-Abschrankungen und kann sie tatsächlich unterscheiden.
Das autonome Auto hält sich anders als der Mensch durchgehend an Verkehrsregeln – selbst, wenn es beim Abbiegen so vielen entgegenkommenden Fahrzeugen den Vortritt lässt, dass es Gefahr läuft, selbst zum Verkehrshindernis zu werden.
Auf dem Bildschirm im Auto werden sie zu modellhaften Lastwagen, grünen Puppen, gelben Dreiecken. Die ersten selbstreinigenden Sensoren in einem Fahrzeug der VW-Palette sorgen für das reibungslose Erkennen von Fahrbahnen, Bodenbeschaffenheit, Hindernissen und Wetterverhältnissen. Und die Kamera im Innenraum kontrolliert, ob die richtige Person einsteigt, das Gepäck verstaut wird und keine unerwünschten Zwischenfälle geschehen.
Die halbstündige Testfahrt führt mitten durch Hamburgs Innenstadt. Und es erstaunt: Auf einer Strecke, die auch für einen menschlichen Fahrer durchaus herausfordernd ist – in einem Gewirr von Baustellen und Kreuzungen –, schlägt sich das Gefährt beeindruckend. Zwar ist die Fahrweise nicht immer ganz so gleitend wie im selbstgesteuerten Jaguar von Weymo in San Francisco – der kalifornische Strassen-Grid entspricht aber auch nicht dem verschlungenen Gewirr rund ums Alsterbecken.
Neue Mobilitätslösungen sind auch sozial
Deshalb verzeiht man dem Computer des ID. Buzz AD auch ein ab und zu etwas unsanftes Bremsen oder ruckhaftes Beschleunigen und bewundert dagegen, wie er einen plötzlich von einer Haltestelle wegfahrenden grossen Bus vorausschauend umrundet. Denn eigentlich hält sich das autonome Auto anders als der Mensch durchgehend an Verkehrsregeln – selbst, wenn es beim Abbiegen so vielen entgegenkommenden Fahrzeugen den Vortritt lässt, dass es Gefahr läuft, selbst zum Verkehrshindernis zu werden.
Neue Mobilitätslösungen sind zwar technische, aber vor allem auch soziale Innovationen. Menschen müssen sie annehmen, ihre Zweifel überwinden, sie nutzen. Dazu müssen sie nutzbar gemacht werden, sich ins Preisgefüge eines städtischen Verkehrssystems integrieren lassen, keine Konkurrenz zu klassischem öffentlichem Verkehr, Taxi oder Uber darstellen, sondern sie sinnvoll ergänzen. Dies bedarf der engen Zusammenarbeit zwischen privaten Anbietern, dem ÖV und der Stadt. Wie’s gehen könnte, haben wir in Hamburg gesehen.
Anna Schindler