Der Kopf: Katja Weber

In Zürich sind selbst Schotterflächen selten. Katja Weber lässt darauf Gärten erblühen, Freiluft-Bars inklusive.

28. August 2024 – Diesen Satz hat Katja Weber oft gehört: «Was, hier wollt ihr etwas machen?» Meist sind es Lieferant*innen, die das sagen, wenn sie Baumaterial oder Pflanzen abladen. Sie können sich nicht vorstellen, dass auf einem randständigen Schotterplatz etwas entstehen könnte, das Menschen anzieht.  

«Aber es sind noch jedes Mal schöne Orte geworden», sagt Katja Weber. Micas Garten am Stadtrand zu Schlieren etwa. Oder das Guggach Gärtli beim Bucheggplatz. Und schliesslich die Mutter dieser Töchter: Frau Gerolds Garten bei der Hardbrücke. Es sind grosse Stadtgärten mit zahlreichen Beeten, Bars, Streetfood-Ständen und Restaurants – oder Restaurants mit einem Garten rundherum. 

Eine Bar mit einem Weihnachtsdorf drumherum

Katja Weber hat sie alle gemeinsam mit Marc Blickenstorfer und weiteren Partner*innen geschaffen. Sie ist nicht nur Gastronomin, sondern auch Ereignisdesignerin, und so schafft sie nicht nur einen Ort zum Essen, sondern auch das Drumherum – einen Garten, einen Flohmarkt, einen Designmarkt, ein Street Food-Festival oder gleich ein ganzes Weihnachtsdorf.  

Katja Weber schlägt den Deckel ihres Laptops auf. Auf dem Bild: 2200 Quadratmeter Schotter, Gestrüpp und Pfützen. Das einstige Zwischenlager der Baustelle der Hardbrücke, die 1972 fertiggestellt wurde. Kein Wunder, kann man sich nur schwer vorstellen, dass an einem solchen Ort Leben entstehen kann. 

Aber es konnte: Die Fotos zeigen, wie Leute jedweder Couleur mit Schubkarren über das Schotterfeld laufen oder Gruben zuschaufeln. Wie der Boden mit jedem Foto weniger grau und mehr grün wird. Wie Lastwagen heranfahren und auf dem nächsten Foto wieder verschwunden sind – bis zur Eröffnung im Sommer 2012 sollten sie 100 SBB-Palette abgeliefert haben, zehn Ladungen mit Erde und über 1000 Pflanzen. 

1. Das Gerold-Areal
1. Das Gerold-Areal
Das Gerold-Areal von oben. Dort, wo Frau Gerolds Garten aufblühen wird, ist noch ein grauer Streifen.
2. Bevor Frau Gerold kam
2. Bevor Frau Gerold kam
2200 Quadratmeter Schotter, Gestrüpp und Pfützen. Das einstige Zwischenlager der Baustelle der Hardbrücke, die 1972 fertiggestellt wurde.
3. Der Umbau beginnt
3. Der Umbau beginnt
Freund*innen, Mitarbeiter*innen und selbst Angestellte einer Bank im benachbarten Primetower kamen, um aus der Brache einen Garten zu machen.
4. Das Grau verschwindet
4. Das Grau verschwindet
Bis zur Eröffnung im Sommer 2012 haben die Lastwagen 100 SBB-Palette abgeliefert, die fortan als Blumentröge dienten. Zudem zehn Ladungen mit Erde und über 1000 Pflanzen.
5. Grün kommt
5. Grün kommt
Frau Gerold hat das Schotterfeld übernommen, ihr Garten ist erblüht.

«Es war eine riesige Büez», sagt Katja Weber und muss trotzdem lachen. Man hört ihrem Schweizerdeutsch kaum mehr an, dass sie aus dem Saarland kommt. 2006 ist sie als Unternehmensberaterin nach Zürich gekommen, hat sich aber umorientiert und an der Zürcher Hochschule der Künste Design studiert.  

Es war tatsächlich eine Büez, dass Frau Gerolds Garten in so kurzer Zeit auf einem Schotterfeld erblühen konnte. Auf dem Areal sollte nach Plänen der Stadt ein neues Kongresshaus entstehen. Um die kurze Zeit der ursprünglich angedachten Zwischennutzung zu nutzen, musste das Team den Garten innert weniger Monate planen, bewilligen, abnehmen und aufblühen lassen, damit er noch im Sommer 2012 fertig wurde.  

Kurz vor Eröffnung bekamen sie unerwartete Unterstützung. Eine Frau, die im benachbarten Prime Tower für eine amerikanische Bank arbeitete, beobachtete, dass es neben der Hardbrücke betriebsam wurde und bot ihre Hilfe an. Am Wochenende rückte die ganze Belegschaft, zwanzig Personen mit Kindern etwa, in weissen Community-Day-Shirts an. Und halfen mit, dass Frau Gerolds Garten rechtzeitig eröffnen konnte. So, wie das ganze Gerold-Areal heute ist, war es nie geplant – es hat sich so ergeben. Mittlerweile gehört es mit Clubs, Restaurants, Läden, Ateliers, einer Surfwelle und mit dem Freitag-Turm zu den lebhaftesten Orten der Stadt. 

In das Weihnachtsdorf hat sie alle Erfahrungen eingebracht, die sie mit den vorangegangenen Projekten gemacht hatte. Das eine hat sich aus dem anderen ergeben. Nichts war offensichtlich oder gar logisch.

Auch andere Projekte, die auf Frau Gerold folgen sollten, erwiesen sich als Kraftakt. Da in Zürich selbst Schotterflächen rar geworden sind, bekommt Katja Weber kaum je feste Lokalitäten, sondern meist sind es Zeitfenster zur temporären Nutzung. Viele Projekte poppen auf und schliessen wieder – auch wenn sich die Schliessung bei Micas Garten hinauszieht, jene von Frau Gerolds Garten gar auf unbestimmte Zeit. 

Für Katja Weber, ihre Geschäftspartner*innen und ihr Team von rund zwölf Leuten heisst das: Immer wieder Bars, Häuschen und Stände auf- und abbauen – und das schnell. Auf dem Sechseläutenplatz müssen sie innert elf Tagen ein ganzes Weihnachtsdorf aufstellen und nach vier Wochen wieder zerlegen. Da alle selbst anpacken haben sie Gabelstapelkurse absolviert. Umso besser, wenn sie dazu noch mit Hammer und Bohrer umgehen können. «Alle, die schon einen Schrank auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt haben, wissen, wie sorgfältig man dabei arbeiten muss, damit alles immer wieder zusammenpasst», sagt die Co-Gründerin. Das gilt auch für den Bau eines Weihnachtsdorfs. 

Als Vorlage diente ihr die Erinnerung aus der Kindheit

Zürcher Wienachtsdorf nennt sie ihr Meisterstück. Als sie vor bald zwanzig Jahren nach Zürich kam, vermisste sie Weihnachtsmärkte, die ihre Kindheit in der dunklen Jahreszeit zum Glitzern brachten. Sie brauchte ihre ganze Hartnäckigkeit und mutige Partner*innen damit sie 2015 einen Weihnachtsmarkt auf dem Sechseläutenplatz eröffnen konnten. Als Vorlage hatte ihr die Erinnerung gedient – darin waren die Märkte ihrer Kindheit noch schöner als in der Realität.  

In das Dorf hat sie alle Erfahrungen eingebracht, die sie mit den vorangegangenen Projekten gemacht hatte. «Das eine hat sich aus dem anderen ergeben. Nichts war offensichtlich oder gar logisch», sagt sie. Das erstaunt bei einer ehemaligen Unternehmensberaterin.

Aber im ganzen Gespräch redet sie nie von Zahlen und Tabellen, nur von Herz und Liebe. Wie sehr sind ihre Projekte vom Herz gesteuert und wie sehr von Zahlen? «Es würde viel verloren gehen, wenn wir mit Zahlen beginnen würden», sagt sie. Das Elfendorf am Weihnachtsmarkt, ein kleines Dorf für Kinder etwa, wäre nach einer Kosten-/Nutzen-Rechnung nie Wirklichkeit geworden – mit so grossem Aufwand, mit so viel Liebe zum Detail sei es geschaffen worden.  

Wie die Leichtigkeit bewahren?

Was erhofft sich Katja Weber für Zürichs Zukunft, in der freie Flächen noch rarer werden und kaum mehr etwas aus dem Nichts entstehen kann? Schliesslich hat sie schon zu Beginn des Gesprächs gesagt, es brauche Raum und auch Spielraum, damit etwas Neues entstehen könne. In Zürich sei sehr vieles reguliert, verplant und durchkalkuliert Das gebe wichtige Planungssicherheit, sagt die Unternehmerin. «Die Herausforderung wird aber sein, dass wir uns Leichtigkeit bewahren können.» Sagt sie und klappt den Laptop zu. 

Janine Hosp