In E-Scootern verbirgt sich ein Datenschatz
24. Mai 2024 – Zürcher*innen und Tourist*innen steht ein riesiges Angebot an E-Fahrzeugen zur Verfügung: Die ganze Flotte von Leihfahrzeugen besteht aktuell aus 4000 E-Scootern (Trottinetts), 1000 E-Bikes und 400 E-Mopeds. Und bereits ist ein weiteres Unternehmen an die Stadt gelangt, das Fahrzeuge verleihen will. Erhält es eine Lizenz, darf es bis zu 800 Fahrzeuge anbieten.
«Zürich ist ein attraktiver Markt», sagt Wernher Brucks, Leiter Verkehrssicherheit bei der Dienstabteilung Verkehr. Praktisch alle relevanten Anbieter*innen sind in Zürich vertreten und leihen Fahrzeuge aus. Obwohl Zürich so gut wie kaum eine andere Stadt durch den öffentlichen Verkehr erschlossen ist, lohnt es sich offenbar für sie. Sie verlangen neben einer Grundgebühr von 1 Franken rund 50 Rappen pro Minute, was mehr ist als in vielen anderen Städten. Eine Fahrt von 20 Minuten kommt so je nach Anbieter*in auf etwa 11 Franken zu stehen.
Wild parkiert, quer in den Weg gestellt
Für viele Einwohner*innen jedoch sind schon heute zu viele E-Fahrzeuge im Umlauf. Sie stören sich vor allem daran, dass manche Lenker*innen entgegen den Verkehrsregeln auf dem Trottoir fahren oder dort ihr Gefährt stehen lassen – quer in den Weg gestellt, wild parkiert. Die Pariser*innen haben sich schon vor einem Jahr für ein Verbot von Leihfahrzeugen ausgesprochen und das überaus klar. So weit will die Stadt Zürich nicht gehen. Sie hält an der Gewerbefreiheit fest und erteilt zurzeit allen Anbieter*innen eine Bewilligung, welche die städtischen Vorgaben erfüllen.
«Wir wissen noch nicht genug darüber, welche Bedürfnisse die Bevölkerung in einer smarten Stadt an die Mobilität hat und wie sich diese verändern werden.» David Weber, Leiter Smart City Zürich.
Die Stadt Zürich sieht in der sogenannten Mikromobilität auch Chancen – dank den E-Fahrzeugen sitzt sie mittlerweile auf einem Schatz von Mobilitätsdaten, der nur noch gehoben werden muss. So formuliert es Verkehrsplaner Thomas Hug, der 2022 sein Wissen in die Verwaltung einbrachte und prüfte, wie das gehen könnte. Dies tat er im Rahmen eines Innovation Fellowships. Das Smart City-Team der Stadtentwicklung Zürich hat diesen Fellowship vergeben und damit das Projekt «Mikromobilitätsmanagement» erst ermöglicht.
«Wir wissen noch nicht genug darüber, welche Bedürfnisse die Bevölkerung in einer smarten Stadt an die Mobilität hat und wie sich diese durch neue Angebote verändern werden», sagt David Weber, Leiter von Smart City Zürich. Dafür braucht sie Daten. Für Verkehrsplaner*innen und -manager*innen sind sie wichtig, um sich ein Bild des aktuellen Zustands zu machen, um Zusammenhänge zu erkennen und Prognosen zu stellen. Smarte Lösungen können dabei helfen.
Wernher Brucks hat Einblick in diesen Datenschatz. Er teilt auf seinem Bildschirm einen Stadtplan. Hunderte von Punkten sind darüber verstreut, drängen sich aber vor allem in der Innenstadt. Jeder Punkt entspricht einem E-Bike oder E-Scooter einer Verleihfirma. Brucks klickt auf einen Punkt an der Fraumünsterstrasse. Das Gefährt steht bereits sechs Stunden an diesem Ort und die Batterie ist zu dreissig Prozent geladen. Er sieht auch, wie oft das E-Trottinett gefahren, wo es gestartet und wo es abgestellt wurde. Nur wer das Gefährt ausgeliehen hat, das sieht er nicht.
Es kommt nicht zu mehr Unfällen mit E-Scootern
Anhand der vielen und sehr detaillierten Daten kann die Stadt zum Beispiel die Unfallzahlen in Beziehung zur Nutzung setzen und das Unfallrisiko berechnen. Die Berechnungen zeigen: E-Scooter-Fahren ist entgegen Medienberichten nicht gefährlicher geworden; die Zahl der Unfälle steigt lediglich im Verhältnis zur ebenfalls steigenden Zahl der Nutzer*innen. Bei allen anderen Verkehrsmitteln fehlen der Stadt so detaillierte Informationen wie bei den ausgeliehenen E-Fahrzeugen.
Wie aber kommt die Stadt Zürich zu einem solchen Datenschatz? Sie verpflichtet die Anbieter*innen dazu, die Bewegungsdaten ihrer Fahrzeuge anonymisiert zur Verfügung zu stellen. Nur wenn sie dies tun, erhalten sie eine Bewilligung. Die Daten sammelt die Stadt auf der Plattform Vianova des gleichnamigen privaten Unternehmens, das im Rahmen des Kickstart-Programms durch die Stadtentwicklungmit der Diestabteilung Verkehr in Kontakt gebracht wurde. So weiss die Stadt nun, wo die Fahrzeuge am häufigsten genutzt und bevorzugt abgestellt werden (s. Box).
Fährt eine Lenkerin mit einem E-Scooter zum Beispiel auf den Sechseläutenplatz, wird das Tempo automatisch von den maximal möglichen 20 auf fünf Stundenkilometer gedrosselt. Sie kann nur noch in Schritttempo fahren.
«Diese Karte ist die Zukunft», sagt Wernher Brucks und zeigt auf die vielen Punkte auf seinen Bildschirm. Wenn immer mehr digitalisierte und vernetzte Fahrzeuge auf den Strassen unterwegs sind, dann werden nicht nur E-Scooter und E-Bikes wertvolle Daten liefern.
Damit werden sich auch mehr Möglichkeiten bieten, die Sicherheit zu erhöhen, wie der Umgang mit E-Trottis schon heute zeigt. Für sie wurden unsichtbare Zäune hochgezogen, sogenannte Geofences. Fährt eine Lenkerin mit einem E-Scooter zum Beispiel auf den Sechseläutenplatz, wird das Tempo automatisch von den maximal möglichen 20 auf fünf Stundenkilometer gedrosselt. Sie kann nur noch in Schritttempo fahren und das E-Trotti auch nur auf den markierten Parkplätzen am Rande des Platzes abstellen. Tut sie es nicht, läuft die Leihzeit weiter. Und das wird teuer.
Die E-Scooter dürfen nicht mehr stören
«Sollten einmal für alle Fahrzeuge solche Geofences aktiv sein, dann müssten wir nicht mehr darüber diskutieren, ob jemand zu schnell gefahren ist oder nicht», sagt Wernher Brucks. Ob und in welchem Umfang solche eingeführt werden – nur in bestimmten Zonen oder in der ganzen Stadt, mit einem Anreizsystem oder obligatorisch –, das muss politisch entschieden werden.
Im Idealfall kann die Mikromobilität die Stadt Zürich auch ihrem Ziel näherbringen: Weg vom Auto, hin zum Fuss- und Veloverkehr und zum öffentlichen Verkehr.Gewünscht ist, dass die Anbieter*innen ihre Fahrzeuge insbesondere an peripheren Orten aufstellen, wo sie die Nutzer*innen zur nächsten öV-Haltestelle bringen und wo sie sich nicht als Alternative zu Tram oder Bus anbieten. Denn wenn die Zürcher*innen E-Scooter statt Bus fahren, wird die Ökobilanz nicht besser.
Bis sich E-Fahrzeuge geschmeidig in eine Mobilitätskette einfügen, will die Stadt das grosse Angebot so regulieren, dass es nicht stört. Sie will etwa mittelfristig dafür sorgen, dass Nutzer*innen ihr Fahrzeug künftig nur noch ausserhalb des Stadtzentrums frei abstellen können, in der gesamten Innenstadt wie am Sechseläutenplatz nur noch auf Parkplätzen.
Janine Hosp
Hier fahren die meisten E-Fahrzeuge
In der Stadt Zürich zeigt sich klar, wo E-Scooter oder E-Bikes am meisten genutzt werden: Um die Bahnhöfe und um die Hochschulen. Zudem auch an der Europaallee, an der Langstrasse und um das Seebecken. Das geht aus Daten der Plattform Vianova hervor.
Diese Präferenzen decken sich mit internationalen Erhebungen. E-Fahrzeuge werden überall um Hochschulen sowie in zentralen Geschäftsvierteln genutzt. Und oft dort, wo Velowege vorhanden sind. Die Stadt sieht sich deshalb auch in ihrem Bericht zum Pilotprojekt «Mikromobilitätsmanagement» darin bestätigt, dass es wichtig ist, die Veloinfrastruktur wie vorgesehen auszubauen.
Auch die Topografie spielt in die Nachfrage nach E-Fahrzeigen hinein. Bei deutlich steigenden und fallenden Strecken werden insbesondere E-Bikes ausgeliehen, E-Scooter vor allem für flache Strecken. (JH)