Die Stadt hilft Bootsflüchtlinge retten
12. Juli 2024 – Was auf dem sinkenden Boot geschah, erzählt eine junge Somalierin so: «Nach ein paar Stunden sahen wir, dass das Gummiboot an Luft verlor. Wir wissen, dass diese Art von Booten nicht am Ziel ankommen kann. Wir sahen Wasser eindringen und bekamen Angst. Die Leute auf dem Boot wollten um Hilfe rufen, aber ich hielt sie davon ab: Ich hatte Angst, dass wir nach Libyen zurückkehren müssten.»
92 Personen sassen an jenem Tag, dem 1. April 2023, dicht gedrängt im Boot, das Richtung Italien fuhr, 47 von ihnen waren minderjährig und alleine unterwegs. Mitarbeiter*innen des humanitären Netzwerks für Seenotrettung SOS Méditerranée sahen, dass sie in Seenot geraten waren und eilten ihnen mit ihrem Rettungsboot «Ocean Viking» zu Hilfe. Als die damals 17-jährige Somalierin sie näherkommen sah, begann sie zu weinen. Sie war eine der letzten, die das schrumpfende Boot verliess. Später erzählte sie ihren Retter*innen: «Als mir das Team an Bord half, hatte ich aufgegeben. Ich hatte meine ganze Energie verloren.»
Rettungsschiff muss teure Umwege fahren
Seit acht Jahren ist SOS Méditerranée im Mittelmeer aktiv. Und hat dort über 40’000 Menschen das Leben gerettet. Fast 10 000 von ihnen waren wie die Somalierin minderjährig. Nun ist die Organisation aber selbst in Schwierigkeiten geraten: Ihr fehlt das Geld
Grund dafür ist eine neue Praxis der italienischen Seebehörden, mit denen es SOS Méditerranée am häufigsten zu tun hat: Sie weisen dem Rettungsschiff systematisch weit entfernte Landehäfen zu. Dadurch benötigt es viel mehr Zeit, um die Menschen sicher an Land zu bringen. Zeit, welche den Mitarbeiter*innen fehlt, um weitere Menschenleben zu retten. Das Schiff braucht aber auch mehr Treibstoff und mehr Geld: Budgetierte die Organisation Anfang 2022 noch 685'000 Franken für den Treibstoff, sind es dieses Jahr 1,6 Millionen.
«Wir wollen eine Notlage lindern, die nicht aufgrund einer akuten Katastrophe wie einem Erdbeben oder einem Wirbelsturm, entstanden ist, sondern die nicht enden will.» Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung Zürich
Das ist mehr, als SOS Méditerranée bezahlen kann. Die Stadt Zürich unterstützt deshalb im Rahmen der humanitären Hilfe die Organisation dabei, die Finanzierungslücke zu decken und hat einen Beitrag von 120'000 Franken bewilligt. Auf diese Weise trägt die Stadt dazu bei, dass SOS Méditerranée auch dieses Jahr arbeiten kann. Getragen und finanziert wird die Organisation von vier nationalen Vereinen in der Schweiz, in Frankreich, Deutschland und Italien. Seit 2023 ist sie neben Genf auch in Zürich vertreten.
«Mit der Unterstützung von SOS Méditerranée verfolgen wir einen etwas anderen Pfad der humanitären Hilfe», sagt Anna Schindler, die Direktorin der Stadtentwicklung Zürich. Wir wollen eine Notlage lindern, die nicht aufgrund einer akuten Katastrophe wie einem Erdbeben oder einem Wirbelsturm, entstanden ist, sondern die nicht enden will – deswegen aber nicht weniger gravierend ist.»
Mit dem Beitrag an SOS Méditerranée will die Stadt auch mithelfen, die Notlage von Geflüchteten zu lindern, denn noch immer haben Staaten und Organisationen keine Lösung gefunden, wie sie mit den global zunehmenden Phänomenen von Flucht und Migration umgehen sollen.
SOS Méditerranée verfügt am Mittelmeer über ein Team von 23 Personen, das von einer Einsatzzentrale an Land unterstützt wird. Wenn die Retter*innen wie am 1. April 2023 Menschen in Not bergen, sind viele dehydriert, seekrank, geschwächt und tragen von ihrer Flucht Wunden an Körper und Seele. Die Mitarbeiter*innen leisten ihnen auf dem Rettungsschiff erste Hilfe und betreuen sie. Frauen und Kinder versorgen sie getrennt von den Männern. Eine Hebamme berät junge Mütter und Opfer sexueller Gewalt; davon sind fast alle Frauen betroffen, die zuvor in libyschen Gefängnissen eingesperrt waren.
Viele Menschen, die in Booten von Afrika nach Europa kommen wollten, erreichten das Festland aber nie. Das Mittelmeer ist die gefährlichste maritime Migrationsroute der Welt. Allein im Jahr 2023 wurden im Mittelmeer über dreitausend Menschen als vermisst gemeldet.
Die Stadt hilft bei grosser Not
Wie die Schweiz hat auch die Stadt Zürich eine lange humanitäre Tradition. Die humanitäre Hilfe wird im Rahmen der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) bei den Aussenbeziehungen der Stadtentwicklung betreut. In der Regel werden Hilfsorganisationen in Krisen und Katastrophen unterstützt, damit diese wiederum Menschen in Notlagen helfen können. Etwa bei Hungersnöten, Dürren, Erdbeben oder Wirbelstürmen.
In diesem Jahr hat die Stadt bereits vier Hilfsorganisationen mit insgesamt 400 000 Franken unterstützt, etwa im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt oder mit Geflüchteten aus der Ukraine. Neben SOS Méditerranée werden auch das Schweizerische Roten Kreuz und Swissaid mit je 100'000 Franken bedacht. Diese helfen damit im Sudan Personen, die nach den gewaltsamen Konflikten flüchten mussten, und im Myanmar Menschen, die nach dem Militärputsch 2021 in Not geraten waren.
Und wie blickt die junge Somalierin in die Zukunft, die vom sinkenden Gummiboot gerettet wurde? Sie, die als Neunjährige während des Bürgerkriegs von ihrer Familie allein zurückgelassen und darauf von ihrem Onkel wie eine Sklavin behandelt wurde. Die mit elf Jahren mit einem 83-jährigen Cousin verheiratet werden sollte, darauf flüchtete und schliesslich in Lybien inhaftiert und gefoltert wurde. Die junge Frau hat einen Traum: Sie hofft, dass ihre Familie sie dank dieser Erzählung auf der Website von SOS Méditerranée wieder findet.
Janine Hosp
Die Aussenbeziehungen der Stadtentwicklung Zürich
Die Aussenbeziehungen sind einer von fünf Bereichen der Stadtentwicklung Zürich. Sie setzen sich für die Vernetzung und die Interessenvertretung der Stadt Zürich auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene ein, fördern die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch mit anderen Städten und betreiben Standort- und Dienstleistungsmarketing. Im Rahmen der Internationalen Zusammenarbeit IZA verfolgt das Team der Aussenbeziehungen das Ziel einer nachhaltigen globalen Entwicklung.