Die Gesundheitszentren Witikon und Riesbach werden gemeinsam geführt. Das Gesundheitszentrum Riesbach ist aufgrund seiner Ausrichtung als Haus der Demenz in sich geschlossen und überschaubar: Das perfekte Lernsetting für unser Projekt, findet André Grolimund, der Leiter technischer Dienst der beiden Häuser. Gemeinsam mit der Bildungsverantwortlichen Claudia Russenberger und dem Berufsbildungsverantwortlichen technischer Dienst Felix Bodmer hat er vor rund einem dreiviertel Jahr ein Projekt ins Leben gerufen, das die Lernenden stärken soll: Sie übernehmen abwechselnd die Tagesverantwortung im Haus. Über die Hintergründe dazu berichten die beiden Männer im Interview.
Fun Fact: Felix Bodmer ist der ehemalige Lehrmeister von André Grolimund. Als Felix Bodmer vor zwei Jahren entschied, sich Hauptberuflich um den Nachwuchs zu kümmern, wurde seine Stelle frei. André Grolimund konnte im Bewerbungsverfahren überzeugen und kehrte zurück nach Witikon Riesbach.
Was war der Grund, warum ihr das Projekt angestossen habt?
André Grolimund (AG): Wir wollten die Lernenden in den Fokus stellen, damit sie mehr Verantwortung übernehmen können und selbstständig werden. Sie sollen im Tagesgeschäft nicht nur Auftragsempfänger sein, sondern auch selbst mitdenken. Unser Ziel ist es, gute Fachleute auszubilden, die auf dem Arbeitsmarkt bestehen können.
Felix Bodmer (FB): Dem schliesse ich mich an. Als Berufsbildungsverantwortlicher sehe ich mich nicht als klassischen Lehrmeister, sondern als Aktiv-Coach. Früher übernahm der Bereichsleiter diese Aufgabe nebenbei. Heute ist die Funktion spezifischer ausgerichtet: Unser Betriebsziel ist es, die Bildung zu stärken.
Was ist konkret der Unterschied zum früheren Vorgehen?
AG: Jeder Lernende hat Tage, an denen er die Tagesverantwortung übernimmt. Wir wollen kein Umfeld, in dem die Lernenden ausführen, was wir ihnen sagen. Wir möchten Persönlichkeiten aufbauen, die selbst Verantwortung übernehmen. Darum fördern wir Mitdenken, vernetztes Denken und Eigeninitiative.
FB: Klar gebe ich immer mal wieder Support. Ich bin ja die Hauptansprechperson für die Lernenden. Die Erstkontrolle machen aber die Lernenden, ich werde erst später involviert. Am Anfang war das noch schneller der Fall, inzwischen sind sie viel eigenständiger unterwegs. Wir schaffen einen Multilerneffekt, bei dem die Lernenden nicht nur Aufträge empfangen, sondern ihr Wissen auch untereinander weitergeben. Zum Beispiel von den Lernenden im dritten Lehrjahr an die jüngeren Lernenden. Das ist die Zukunft. Unser Ziel ist es, das Praxislernen zu erweitern und zu zeigen: Das kommt auf euch zu, wenn ihr später als Mitarbeiter irgendwo seid.
Gab es auch Vorbehalte?
AG: Natürlich. Am Anfang gab es Mitarbeitende, die sich fragten, ob das gut geht, wenn die Lernenden sich allein um Anliegen kümmern. Wir haben ja eine zweigeteilte Kundschaft: Das sind zum einen die Bewohnenden und zum anderen die Mitarbeitenden. Da ist es wichtig, dass wir die Lernenden gut auf die Kommunikation vorbereiten. Wir schätzen sehr, dass die Betriebsleitung das Projekt von Anfang an unterstützt hat. Und auch die Skeptiker*innen haben wir inzwischen überzeugt: Denn wenn mehr Leute Verantwortung übernehmen, kann viel schneller auf Anliegen eingegangen werden. Eine klassische Win-win-Situation.
FB: Ein gewisses Risiko birgt dieses Vorgehen natürlich, aber das trage ich gerne, denn es bringt Wachstum. Sonst kannst du ja gleich alle in Watte packen. Der Service steht bei uns im Zentrum, aber noch wichtiger ist das Wachstum der Lernenden. Wir haben in unserem Bereich den Vorteil, dass wir nachjustieren können und nicht gleich die Handbremse ziehen müssen, wenn etwas mal nicht optimal läuft.
Wie sieht denn ein Projekt aus, das die Lernenden umgesetzt haben?
AG: Neulich haben wir die Stationszimmer umgebaut. Die Lernenden haben das Projekt durchgeführt. Alles rausgerissen, frisch gestrichen, Abdeckungen ersetzt, Regale aufgehängt, Kabel verlegt. Sie konnten dranbleiben und das Ergebnis war super. Der Stolz auf das fertige Ergebnis ist viel grösser, wenn man selbstständig arbeiten kann.
Felix, wie siehst du deine Rolle als Coach?
FB: Ich bin mit Herzblut in der Ausbildung. Wir bringen die jungen Menschen auf den Weg. Das ist der Sinn von dem, was wir hier machen. In der Zeit passiert ja sehr viel in ihrem Leben. Ich freue mich, dass wir nicht nur Fachdiskussionen führen, sondern auch Diskussionen über das Leben und unterschiedliche Ansichten. Manchmal driftet eine Fachdiskussion fast schon ins Philosophische ab. Wir dürfen die jungen Menschen beim Erwachsenwerden begleiten. Es ist schön, ihre Entwicklung zu sehen und dass sie sich durch das Projekt eigenständiger entfalten können – ihre Persönlichkeit finden, den eigenen Standpunkt kennen und dafür einstehen.
((An die Lernenden im Raum gerichtet)): Ich muss euch ein Kränzchen winden. Allein könnte ich dieses Projekt gar nicht erfolgreich umsetzen. Die Bereitschaft, so zu lernen, kommt von euch. Eure Entwicklung ist super. Ich lasse euch jeweils mit einem guten Gefühl machen, weil ich weiss, dass es funktioniert. Dieses gegenseitige Vertrauen ist schön.
Das sagen die Lernenden
Ich bin zufrieden, dass ich selbst nachdenken, analysieren und hinterfragen kann. Mir wird nicht einfach gesagt, was ich machen soll. Am Anfang war das schon eine Herausforderung, aber jetzt sind wir routiniert.
Ich weiss, dass ich selbständig arbeiten kann. Aber ich weiss auch, dass Felix da ist und ich immer auf ihn zugehen kann, wenn ich ein Anliegen habe. Diese Sicherheit ist mir wichtig.
Wenn man selbst überlegt und etwas sieht, was gemacht werden muss, ist das etwas anderes, als wenn es einem gesagt wird.
Es gab auch Situationen, in denen ich unter Druck war, weil zu viele Aufgaben und Anrufe reinkamen. Dann muss man sich absprechen und planen. Als Tagesverantwortlicher schaue ich dann, was ich selbst machen kann. Wenn es zu viel ist, frage ich einen Mitlernenden. Es lässt sich immer eine Lösung finden.
Der Kontakt mit den Abteilungen ist jetzt stärker und ich habe ein besseres Gesamtbild vom Betriebsablauf.
Durch das Projekt fühle ich mich wie ein Festangestellter. Ich kann viel schwierigere Sachen machen und der Übergang ins richtige Arbeitsleben wird dadurch leichter sein.
Es fühlt sich nicht an, als würden wir beobachtet oder kontrolliert. Da ist eine Vertrauensbasis.
Dass wir zusammen in der Werkstatt sind und manchmal auch Dinge gemeinsam ausdiskutieren, macht mehr Spass, es ist gemeinschaftlicher. Und man kann auch mal über Privates sprechen.
Es ist manchmal einfacher, Gleichaltrige zu fragen, die auch am Lernen sind. Man fühlt sich wohler, als wenn man alle fünf Minuten den Chef fragen muss. Der Vorteil am Projekt ist, dass man verschiedene Ansprechpersonen hat, die man um Rat fragen kann. Je nachdem, worum es geht.
Meine Freunde sagen: Wow, die lernen auf diese Art sicher mehr und effizienter – und sie können das Gelernte am Ende auch besser umsetzen.
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