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Demenz – das Ende der Selbstbestimmung?

Menschen mit Demenz können ihre Selbstbestimmungsrechte nur noch teilweise oder gar nicht mehr wahrnehmen. Das ist für sie und ihr Umfeld schwierig. Am Zürcher Demenzsymposium widmen sich Fachpersonen aus Pflegepraxis, Ethik und Recht, aber auch Angehörige und Schauspieler*innen typischen Konfliktsituationen – und möglichen Strategien für deren Entschärfung. Eine Spezialistin für Pflegepraxis und eine Juristin gewähren einen Ausblick auf den Anlass vom 4. Juni 2024.

«Starre Tagesstrukturen in Institutionen und dogmatische Ansichten über gesellschaftliche Normen schränken die Selbstbestimmung von Menschen mit Demenz ein», findet Beatrice Widmer, Programmleiterin Bildung des Schulungszentrums Gesundheit. Unflexible Zeitpläne für Essen, Schlafen und Körperpflege sowie rigide Vorstellungen von Mitarbeiter*innen über Kleidung, Frisuren oder Verhalten decken sich nicht mit den Bedürfnissen von Personen mit Demenz. Werden ihre Bedürfnisse systematisch missachtet, reagieren sie mit ‚Verweigerung‘, Rückzug oder Verzweiflung, die Fachpersonen darauf vielleicht mit Verunsicherung, Ungeduld und Resignation. «Pflegende sollen kreativ denken und auch unkonventionell und ergebnisoffen handeln dürfen», sagt Beatrice Widmer, «wir müssen uns mit der Biografie von Personen mit Demenz auseinandersetzen, um sie auf ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten ausgerichtet begleiten zu können.» Begegnet man ihnen empathisch («Ich weiß, Sie fühlen sich nicht wohl, in zehn Minuten gehen wir raus in den Park» statt «Nein, Sie können nicht heimgehen»), entstehen weniger ‚herausfordernde‘ Situationen – was für Betroffene und Mitarbeiter*innen entlastend ist.

Beatrice Widmer

«Es ist wichtig, Verständnis zu zeigen. Mit – aus unserer Sicht – logischen Argumenten kommen wir nicht weiter.»

Beatrice Widmer, Programmleiterin Bildung, Schulungszentrum Gesundheit, Stadt Zürich

Schwierigkeiten entstehen auch ausserhalb von Institutionen und bei Menschen mit weniger fortgeschrittener Erkrankung. Etwa bei finanziellen Angelegenheiten: Der Mann mit Demenz besucht seine Notarin, um sein Erbe zu regeln. Dabei vergisst er, dass er eine Tochter hat. Oder die Frau mit Demenz will ihrem Pfleger viel Geld schenken. Zwei Situationen, die Regina Aebi-Müller so oder ähnlich aus ihrer Berufspraxis kennt. «Die Krankheit raubt den Betroffenen die Fähigkeit, sich an die eigene Tochter zu erinnern, oder die Fähigkeit zur Einsicht, dass der Pfleger basierend auf einem Vertrag und nicht aus purer Nächstenliebe handelt,» erklärt die Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung. «Intervenieren wir in solchen Situationen, schränken wir nicht vorrangig die Selbstbestimmung dieser Menschen ein, sondern erfüllen ihr Recht auf Schutz.» Das Bestehen oder Nichtbestehen der Urteilsfähigkeit, das in solchen Fällen eine zentrale Rolle spielt, darf nicht als etwas Absolutes betrachtet werden. «Urteilsfähigkeit hängt von unzähligen Faktoren ab und ist immer in Bezug auf eine konkrete Situation zu beurteilen.» Auch für die Juristin ist es essenziell, die Wünsche und Bedürfnisse Betroffener zu kennen oder zu deuten, um unter den gegebenen Umständen die beste (vielleicht nicht perfekte) Lösung zu finden. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass sich zwar ein Eintritt in eine Institution nicht verhindern lässt, man aber versucht, eine zu finden, in der es koscheres Essen gibt, muslimische Sterberituale möglich sind oder regelmäßig Gottesdienste stattfinden. 

Regina Aebi-Müller

«Menschen mit Demenz sind nicht einfach nicht mehr urteilsfähig. Urteilsfähigkeit hängt von unzähligen Faktoren ab und ist immer in Bezug auf eine konkrete Situation zu beurteilen.»

Regina E. Aebi-Müller, Ordentliche Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung, Universität Luzern

Kommen Sie zum Zürcher Demenzsymposium und erfahren Sie in Referaten, Diskussionen und interaktiven Sequenzen mehr darüber, wie schwierige Situationen aus ethischer und rechtlicher Sicht beurteilt werden können, mit welchen Dilemmas ihre Berufskolleg*innen kämpfen oder welche Techniken und Strategien in schwierigen Situationen helfen.

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