«Wir bringen eine neue Sicht auf die Abteilungen, frischen Wind.»
Yves Brandenberger, Pflegefachmann mit Zusatzaufgaben
Yves, was hat dich dazu bewogen, Fernsehen und Radio an den Nagel zu hängen und in die Pflege zu gehen?
Ich habe mir diesen Schritt zehn Jahre lang überlegt. Der Entscheid musste reifen. Ich bin dann am besten, wenn die Motivation hoch ist. Darum musste ich mir sicher sein.
Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben, wegen des Geldes bin ich nicht hier. Aber dass die Gesundheitszentren während des Studiums ein existenzsicherndes Einkommen bezahlen, war sicher wichtig. Sonst wäre das für mich nicht möglich gewesen.
Welche Fähigkeit aus deiner früheren Laufbahn kannst du gut gebrauchen in der Pflege?
Meine Fähigkeit, mit verschiedenen Menschen zu kommunizieren. Die brauche ich jetzt, um einen guten Draht zu den Bewohnenden zu finden. Bundesräte, Punks, Musiker – ich hatte beruflich mit allen zu tun und passte meine Tonalität jeweils dem Gegenüber an. Das ist auch bei meiner heutigen Tätigkeit zentral.
Kannst du ein Kommunikationsthema aus deinem Berufsalltag nennen?
Das Thema Nähe-Distanz: Das war im Studium sogar ein eigenes Fach. Ich finde, man kann nicht immer nur Fragen stellen, sonst kommt sich der Bewohner vor wie in einem Verhör. Das ist keine Basis für einen Beziehungsaufbau. Darum erzähle ich den Bewohnenden auch von mir. Wenn dein Charakter schon gefestigt ist, kannst du gut einschätzen, was du von dir preisgeben kannst.
Wo siehst du neben dem gefestigten Charakter weitere Vorteile von Quereinsteiger*innen in der Pflege?
Wir bringen eine neue Sicht auf die Abteilungen, frischen Wind. Out-of-the-Box-Denken fällt uns leichter, weil wir einen anderen Hintergrund und andere Fähigkeiten mitbringen. Dadurch kommen wir auf neue Lösungen, wobei natürlich auch bei uns die Sicherheit der Bewohnenden an erster Stelle steht. Wie mir eine Beraterin im Berufsinformationszentrum BiZ in Oerlikon mitteilte, würden ausserdem nur etwa 1% der Quereinsteiger*innen den Beruf wieder verlassen. Von denen, die mit 16 Jahren einsteigen, sei ein Drittel bis 30 komplett weg aus dem Beruf. Darum sind Quereinsteiger*innen Gold wert.
Was begeistert dich an deiner Arbeit?
Ich werde als pflegerische Ansprechperson mit sehr komplexen Fällen betraut. Mit Menschen, die eine spezielle Art von Aufmerksamkeit brauchen. Ich pflege primär die Psyche. Ausserdem interessiert es mich, Wissen zu vertiefen und weiterzugeben. Ich durfte zum Beispiel an einem Leitfaden für Hausärzt*innen mitarbeiten. Rolf Goldbach, der leitende Arzt bei uns, hat mich ins Boot geholt.
Wie hat dich das Studium auf deine jetzige Tätigkeit vorbereitet?
In drei Jahren Studium bist du permanent dabei, deine Haltung zu suchen. Ich überlege mir jeweils, wie ich mich als Bewohner fühlen würde. Würde ich es gut finden, im Hochsommer warmen Sirup zu trinken? Eher nicht. Darum bringe ich den Bewohnenden Eiswürfel. Gute Pflege – das sind die vielen kleinen Dinge, die man tut. Für die grossen studiert man. Aber die kleinen sind genauso wichtig. Ein Bewohner mochte zum Beispiel sehr gerne Vanille-Frappees. Mit drei Röhrli. Wenn ich ihm so eins gebracht habe, sah ich einen 10-jährigen Buben vor mir. Diese Freude! Obwohl er gesundheitlich durch die Hölle ging. So etwas muss einen interessieren. Und dafür muss man mit den Leuten reden und eine Beziehung zu ihnen aufbauen.
Welche Ziele hast du in der Pflege?
Hierarchische Führung reizt mich nicht. Ich möchte den Weg des Experten gehen und mich um herausfordernde Situationen kümmern. Darum bin ich auch auf der gerontopsychiatrischen Abteilung. Ich kann für den Bewohner viel mehr bewirken, wenn ich am Bett arbeite. Es braucht unbedingt gute Leute am Bett. Ich bin inklusive Studium seit insgesamt seit 6 Jahren in der Pflege, 4,5 Jahre davon habe ich in der Praxis verbracht. In dieser Zeit bin ich sehr weit gekommen.
Was ist dir bei der Zusammenarbeit besonders wichtig?
Das Beste ist, wenn ich mit Menschen zusammenarbeite, die in manchen Haltungsfragen eine konträre Position einnehmen. Diese Reibung macht die Zusammenarbeit spannend. Ich würde z.B. nicht dazu drängen, den Bewohner zu duschen, wenn er nicht will. Dann tut mir ein Gegenpol gut. Grundsätzlich ist mir Autonomie sehr wichtig. Zum Glück wird das bei uns von oben so gelebt.