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Wiederkehr der Syphilis

Dass eine so bedeutende Krankheit wie die Syphilis einfach von der Bildfläche verschwinden würde, war eine unrealistische Annahme der 80er und 90er Jahre. Die Krankheit, die erstaunlich viele Parallelen zur HIV-Pandemie aufweist, hat sich zurück gemeldet.

Die Syphilis, auch bekannt unter dem Namen Lues, ist eine weltweit verbreitete, chronisch verlaufende, bakteriell bedingte Krankheit, die meist durch Geschlechtsverkehr übertragen wird, aber auch in der Schwangerschaft zur Infektion des ungeborenen Kindes führen kann.

Ursprung und Ausbreitung - vom Mittelalter bis heute

Illustration von Albrecht Dürer
Erste Darstellung eines Syphilitikers in einem Holzschnitt von Albrecht Dürer (Berlin 1496).

Syphilis gehörte im Mittelalter neben Pest und Pocken zu den gefürchteten grossen Seuchen. Der Krankheit haftete etwas Erschreckendes und Geheimnisvolles an: Sie war lebensbedrohend, führte zu Verunstaltungen, hatte einen kapriziösen Verlauf mit vermeintlichem Abheilen und Wiederauftreten von Symptomen in einer anderen Form und wies eine unerschöpfliche Variantenvielfalt auf. Zudem hatte die Syphilis wegen der schon früh erkannten sexuellen Übertragung einen moralischen und anstössigen Beigeschmack.

Für alle Menschen, die über die Jahrhunderte von der Krankheit betroffen waren, bedeutete Syphilis stets eine persönliche Katastrophe. Dank der Erfindung des Penicillins durch Alexander Fleming (1928) konnte die Syphilis 1943 erstmals erfolgreich therapiert werden.

Die Frage der Entstehung ist bis heute nicht restlos geklärt. Die Theorie der „Alten Welt“ vermutet eine Mutation eines bestehenden Erregers, was einen plötzlichen Charakterwandel der Erkrankung mit aggressivem Verlauf verursacht hat. Die Theorie der „Neuen Welt“ postuliert die Einschleppung des Erregers aus Haiti durch Christoph Kolumbus. Einiges spricht für die zweite Theorie. Seit vor einigen Jahren in Hull (Grossbritannien) Knochen mit Syphilisbefall aus der Ära vor Kolumbus gefunden wurden, wird auch spekuliert, ob möglicherweise die Wikinger für die Einschleppung verantwortlich sein könnten. Die ersten Krankheitsfälle gehen ins Jahr 1495 in Neapel zurück, wo Karl VIII. von Frankreich mit seinem Söldnerheer von 32'000 Mann gegen Alfons II. zog. Diesem Heer gehörten auch ehemalige Seeleute von Kolumbus an. In beiden Armeen breitete sich die Seuche sehr schnell aus. Karl musste trotz siegreichem Einzug in Neapel seine Armee infolge der massiven, krankheitsbedingten Ausfälle auflösen. Die wenigen überlebenden Soldaten – sie stammten aus ganz Europa, inklusive der Schweiz – kehrten in ihre Heimatländer zurück und führten so zur schnellen Ausbreitung der Seuche. Von den 6000 Schweizern kehrten nur 148 nach Hause zurück, wo ihnen aus Angst vor Ansteckung der Einlass in die Stadt Bern verwehrt wurde.

Über 400 Bezeichnungen

Dürer-Illustration als Teil einer Buchseite und der damaligen Weltbilds.
Dürer im Kontext seiner Zeit: Die Syphilis wurde mit Konstellationen von Gestirnen in Verbindung gebracht.

In der Folge wurde die Seuche mit über 400 unterschiedlichen Namen versehen. Am häufigsten wurde sie nach ihrer Herkunft die „Franzosenkrankheit“ genannt. Es folgten Bezeichnungen nach äusseren Erscheinungen, nach vermeintlichen Ursachen, nach Verbreitungen und auch nach Heiligen – bis der Veroneser Arzt und Philosoph Girolamo Fracastoro diesem terminologischen Wirrwarr ein Ende bereitete und die Krankheit in seinem berühmten Gedicht „Syphilis, sive morbus gallicus“ nach dem Hirten Syphilis benannte, der Apollo dermassen erzürnte, dass dieser ihn mit der Krankheit bestrafte.

Die sexuelle Übertragung wurde als Unterscheidungsmerkmal zu anderen Seuchen relativ früh erkannt, deshalb haftete der Syphilis seit jeher etwas Moralisches und Anstössiges an. Einige Irrtümer hielten sich teilweise über Jahrhunderte, beispielsweise die Annahme, Syphilis sei die Folge von Unzucht und insofern eine Strafe Gottes. Auch wurden immer wieder Konstellationen gewisser Gestirne, insbesondere Saturn und Mars, mit der Krankheit in Verbindung gebracht, was auch in einer der ersten Darstellungen eines Syphilitikers von Albrecht Dürer zur Ausdruck kommt.

Berühmte Syphilitiker

In der Renaissance erkrankten zahlreiche berühmte Herrscher an der Syphilis: Karl VIII., Franz I., Heinrich VIII. und Iwan der Schreckliche gehörten dazu. Betroffen waren auch Künstler wie Dürer und Cellini.

Die "Adeligkeit" der Krankheit veranlasste den Humanisten Erasmus von Rotterdam zur zynischen Bemerkung, dass ein Adliger ohne Syphilis entweder nicht sehr adelig oder kein richtiger Mann sei.

Über die Jahrhunderte wird die Liste der berühmten Syphilitiker immer länger und umfasst unter anderen Katharina die Grosse, Kardinal Richelieu, Goya, Flaubert, Beaudelaire, Schubert, Keats, Nietzsche, Gaugin, Maupassant und Oscar Wilde.

"Therapien" und Therapien

Schwitzkur unter der Bildüberschrift "Die Belagert u. Entsetzte VENUS"
Schwitzkur mittels Quecksilberräucherung

Erst 1905 entdeckten Schaudinn und Hoffman den Erreger, der heute Treponema pallidum genannt und wie die Borrelien zur Familie der Spirochäten gezählt wird.

Ein Jahr später gelang dem deutschen Bakteriologen August von Wassermann ein Test zum Antikörpernachweis im Blut, was künftig die Diagnose auch bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten erlaubte.

Bis 1943 die erste erfolgreiche Therapie mit Penicillin durchgeführt wurde, durchliefen die Betroffenen über Jahrhunderte unzählige Therapieversuche, die teilweise das grössere Martyrium als die Krankheit selbst bedeuteten.

Schriftplakat "Feind im Blut" im Stil der damaligen Zeit.
Beängstigende Aufklärung wirkte oft auch kontraproduktiv.

Infolge der ausgeprägten Zunahme der Geschlechtskrankheiten nach dem Ersten Weltkrieg wurden Gesetze zu deren Bekämpfung erlassen. Syphilis-Betroffene waren fortan nicht nur krank, sondern auch einer speziellen Gesetzgebung unterstellt, was zu einer weiteren Diskriminierung führte.

Die sogenannte Aufklärung der Bevölkerung durch Plakate und auch Filme, die vor allem auf Abschreckung und Angstmacherei basierten bewirkte, dass Betroffene die Syphilis häufig verheimlichten und die Aktionen auch epidemiologisch kontraproduktiv verliefen.

Illlustration: Wartende Menschenschlange vor dem Gebäude "Medizinische Poliklini".
Satirische Darstellung der städtischen Poliklinik um 1920.

Das Joch der Geschlechtskrankheiten und die damit verbundene moralische Belastung gab auch Anlass zu Satire.

Glücklicherweise suchen uns die Patientinnen und Patienten im Dermatologischen Ambulatorium heute nicht mehr in der "Büsserhaltung" von damals auf.

Krankheitsverlauf in 3 Stadien

Traditionell werden im Krankheitsverlauf von Syphilis drei Stadien unterschieden. Nach einer Inkubationszeit von durchschnittlich drei Wochen kommt es am Ort des Erregereintritts in der ersten Krankheitsphase zu einer Geschwürsbildung. Der Erregereintritt erfolgt meist genital, kann jedoch auch an anderen Stellen, insbesondere im Mundbereich lokalisiert sein.

Gefleckter Oberkörper,seitliche Ansicht, gehobene Arme.
Symptomloser Ausschlag am Oberkörper im 2. Stadium.

Das Ulkus ist charakteristischerweise schmerzlos und palpatorisch hart. Diese primäre Syphilis dauert meist 6 Wochen bis das Ulkus spontan abheilt und die Erkrankung durch eine Ausbreitung auf dem Blutweg ins zweite Stadium übergeht, das vor allem durch generalisierte Haut- und Schleimhautveränderungen gekennzeichnet ist. Diese Hautveränderungen können ausserordentlich vielgestaltig sein, was bereits früh zur Bezeichnung der Syphilis als „la grande imitatrice“, die grosse Nachahmerin, geführt hat.

Hautflecken auf Stirne.
Im 2. Stadium der Syphilis.

In den alten Lehrbüchern wurden diese unterschiedlichen Hautmanifestationen sehr differenziert beschrieben. Dieses Wissen ist in den letzten Jahren zumindest teilweise verloren gegangen ist und muss jetzt wieder erlernt werden. Insbesondere die unterschiedlichen Schleimhautveränderungen sind hochinfektiös.Unbehandelt können diese Manifestationen verschwinden und rezidivieren (wiederauftreten) bis nach Monaten die Latenzphase erreicht wird, wo keine Symptome mehr vorhanden sind und die Krankheit nur noch serologisch, über Eigenschaften und Reaktionen des Blutserums, festgestellt werden kann.

Weissliche Zunge mit Aufwerfungen
Befall der Zunge im 2. Krankheitsstadium.

Ein Drittel der Erkrankten treten dann in das dritte Stadium ein – die Tertiärlues –, wo es nach Jahren bis Jahrzehnten mehrheitlich zu Manifestationen an der Haut, am Herz- und Gefässsystem, am zentralen Nervensystem sowie am Bewegungsapparat kommt. Vor allem die Beteiligung des kardiovaskulären Systems ist für die Todesrate von 10 Prozent verantwortlich. Diese tertiäre Lues, die bei uns aktuell nur sehr selten vorkommt, kann prinzipiell jedes Organ betreffen. Das komplexe Erscheinungsbild der Syphilis bewegte den kanadischen Arzt und Pionier Sir William Osler Ende des 19. Jahrhunderts zur Feststellung: „He who knows Syphilis, knows medicine“. (Wer sich mit der Syphilis auskennt, kennt die Medizin.)

Verbreitung der Syphilis

Im 20. Jahrhundert konnten in der Schweiz jeweils nach den Weltkriegen deutliche Anstiege der Neuinfektionen registriert werden. Ein weiterer Gipfel wurde 1962/63 festgehalten, der mehrheitlich homosexuelle Männer betraf und durch die zur Verfügung stehende Antibiotikatherapie schnell eingedämmt werden konnte. In der Folge wurden national von den sechs schweizerischen Polikliniken für Haut- und Geschlechtskrankheiten jeweils nur 20 bis 40 Fälle pro Jahr registriert.

Ende der 90er-Jahre erschienen mehrere medizinische Publikationen, die auf einen dramatischen Anstieg der Zahlen in der ehemaligen Sowjetunion hinwiesen. Beispielsweise registrierte die WHO 1999 in Russland 280'000 Neuinfektionen, sehr hohe Zahlen wurden auch aus Kasachstan, aus der Ukraine, aus Kirgisien und Moldawien gemeldet. In der Folge war es nur eine Frage der Zeit, bis die Zunahme auch im Westen dokumentiert werden konnte. Ausbrüche betrafen ab 2000 die USA, Grossbritannien und Frankreich, was die USA veranlasste, ein nationales Programm zur Elimination der Syphilis bis 2005 zu verabschieden. Dieses Programm beinhaltete eine verstärkte Überwachung, eine schnelle Antwort auf Ausbrüche, die Schaffung vermehrter Anlaufstellen sowie eine vermehrte Aufklärung.

Steigende Zahlen auch in der Schweiz

Auch im Dermatologischen Ambulatorium diagnostizieren wir von Jahr zu Jahr eine steigende Zahl von Syphilis: 2002 waren es 18 Fälle, 10 davon im Stadium II. 2004 wurden 48 Patienten und Patientinnen mit Syphilis bei uns behandelt. Am häufigsten erfolgt die Ansteckung durch homosexuelle Kontakte, gefolgt von Übertragungen durch weibliche Prostituierte.

Inzwischen hat auch das Bundesamt für Gesundheitswesen die Bedeutung erkannt und die Labormeldepflicht in der Schweiz per 2006 wieder eingeführt.

Gründe für die Rückkehr der Syphilis

Zum einen kann ein unrealistischer Optimismus („mich trifft es ja nicht“) beobachtet werden, der nach 20 Jahren „safer-sex“ in der HIV-Ära zu einer gewissen Kondom-Müdigkeit geführt hat. Speziell bei jüngeren Erwachsenen, welche die ersten HIV-Präventionskampagnen nicht erlebt haben, besteht ein Informationsmangel. Andererseits haben die Fortschritte in der HIV-Therapie zu einem ungerechtfertigten blinden Vertrauen geführt, sowohl bei HIV-negativen als auch bei HIV-positiven Personen. Weiter bestehen sowohl durch eine vermehrte Reisetätigkeit als auch durch Migration Verbindungen zu Endemiegebieten, die schnell zu einer Ausbreitung führen können. In grösserem Umfang ist jedoch ungeschützter Oral-Sex für die Zunahme verantwortlich, da hierbei infolge Unkenntnis des Übertragungsrisikos von vermeintlichem „safer sex“ ausgegangen wird, was jedoch beschränkt nur für die HIV-Prävention gilt.

Bedeutung der Rückkehr der Syphilis

Geschlechtskrankheiten sind immer auch Indikatoren für das sexuelle Risikoverhalten, insbesondere seit „safer-sex“ nicht mehr so konsequent praktiziert wird wie zu Beginn der HIV-Pandemie. Auch beunruhigt die Tatsache, dass diverse Wechselwirkungen zwischen Syphilis und HIV bestehen. Beispielsweise begünstigt eine Syphilis im ersten Stadium die Übertragung von HIV um das Drei- bis Fünffache.

Nachdem bereits in der ehemaligen Sowjetunion in den 90er-Jahren die Syphilis in der Schwangerschaft erheblich angestiegen ist, muss bei steigenden Syphilisraten auch bei uns wieder mit dieser Infektion gerechnet werden, die für das Kind tödlich ausgehen kann.

Fazit

Das Fazit: Mit der besiegt geglaubten Syphilis muss wieder gerechnet werden. Richtig diagnostiziert ist die Infektion mit dem altbewährten Penicillin gut in den Griff zu bekommen. Ein schnelles Erkennen ist die Voraussetzung zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung. Infolge des vermeintlich spontanen Abheilens und der zum Teil unbemerkten Symptome ist es jedoch besonders wichtig, Risikogruppen (Prostituierte, Homosexuelle, Freier sowie Migranten und Migrantinnen) wieder vermehrt routinemässig serologisch im Hinblick auf eine Syphilis zu untersuchen.

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