Der Begriff «Sukkulenz» kommt vom lateinischen Wort succus = Saft. Sukkulenten («Saftpflanzen») sind dort zu Hause, wo Wasser zeitweise Mangelware ist. Sie speichern es, um auch in Trockenzeiten zu wachsen und allenfalls blühen zu können. Dafür haben die Pflanzen erstaunliche Anpassungen in ihrem Körperbau entwickelt.
Je nach Ort der Wasserspeicherung bezeichnen wir die Pflanzen als Stammsukkulenten, Blattsukkulenten oder Wurzelsukkulenten.
Stammsukkulenz
Typische Stammsukkulenten, wie die Kakteen oder Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae) haben keine Laubblätter. Das für die Fotosynthese (Assimilation) nötige «Blattgrün», auch Chlorophyll genannt, sitzt in den Trieben. Es gibt auch stammsukkulente Arten ohne grüne Stämme, die normale Laubblätter austreiben, sie aber in der Trockenzeit abwerfen.
Blattsukkulenz
Die Speicherung des Wassers erfolgt in den Blättern, entweder im ganzen Blatt oder nur in bestimmten Teilen.
Unter den Blattsukkulenten gibt es viele Arten, deren Blätter in einer Rosette angeordnet sind. Oft sind die Blätter derart dicht gepackt, dass sie sich teilweise überdecken. So wird die verdunstete Oberfläche verkleinert, was den Wasserverlust der Pflanze vermindert. Bei den meisten Rosetten sind die Blätter so angeordnet, dass ein Blatt nie ganz genau über einem anderen Blatt steht.
Wasserspeicherung als dynamischer Prozess
Während der Trockenzeit verbraucht die Pflanze einen Teil des gespeicherten Wassers. Dieser muss während der Vegetationszeit wieder ersetzt werden. Um das wechselnde Schrumpfen und Anschwellen ihres Speichergewebes zu ermöglichen, haben viele Stammsukkulenten Rippen entwickelt, welche sich im Jahresverlauf wie die Falten eines Blasebalges füllen und entleeren.
Verbreitung
Heimat der Sukkulenten sind die Wüsten, Halbwüsten, Grassteppen und Gebirge der Alten und Neuen Welt. Diese Trockengebiete haben einiges gemeinsam: starke Sonneneinstrahlung, hohe Tagestemperaturen und starke nächtliche Abkühlung. Die damit verbundene regelmässige Taubildung am Morgen ist ein wichtiger Faktor für das Überleben der Pflanzen in den langen Dürrezeiten. Nach Monaten ohne Regen kann es zu heftigen Niederschlägen und zu Überschwemmungen kommen. Jetzt muss der Sukkulent alle seine Wasserspeicher füllen. In diese Zeit fallen Wachstum, Blüte und Fruchtansatz.
Die heute allgemeingültige Definition von Sukkulenz wurde unter Beteiligung der Sukkulenten-Sammlung Zürich mitentwickelt. Sie besagt, dass sukkulente Pflanzen länger anhaltenden Wassermangel überdauern können, indem sie Wasser in ihrem Gewebe speichern und damit physiologische Prozesse wie Blüten- oder Fruchtbildung aufrechterhalten.
Sukkulenten in der Schweiz?
Ja, die gibt es – und sie sind sogar einheimisch! Nicht weniger als 24 Arten aus der Familie der Dickblattgewächse (Crassulaceae) wachsen bei uns an steinigen oder felsigen Orten von Trockenrasen im Flachland bis zu den Blockschutthalden in den Alpen. Dazu gehören unsere einheimischen Arten aus den Gattungen Hauswurz (Sempervivum) und Mauerpfeffer (Sedum), so zum Beispiel die Berg-Hauswurz (Sempervivum montanum) oder der Scharfe Mauerpfeffer (Sedum acre). An den Standorten dieser Pflanzen läuft das Wasser wegen des durchlässigen Bodens rasch ab und sukkulente Blätter sind deshalb ein Überlebensvorteil.
Grosse Vielfalt – die wichtigsten Familien
Weltweit gibt es rund 260 000 Arten von Blütenpflanzen (Angiospermae). Davon zählen gegen 12 500 zu den Sukkulenten – das ist fast jede 20. Pflanzenart. In der Sukkulenten-Sammlung Zürich kultivieren wir etwa 4440 Arten, also etwas mehr als ein Drittel aller Sukkulenten der Welt.
Sukkulente Arten kommen in 79 Pflanzenfamilien vor. Allerdings entstammt der grösste Teil nur gerade neun Familien, deren Vertreter sich besonders stark an wasserarme Lebensräume angepasst haben. Hier stellen wir die Überlebenskünstler vor:
Die rund 1890 Kakteenarten, die allesamt sukkulent sind, leben mit einer Ausnahme alle in Nord- und Südamerika, von Meereshöhe bis auf die höchsten Andengipfel. Die Winzlinge unter ihnen messen 1–2 cm, die Riesen über 20 Meter.
Kakteen sind meist Stammsukkulenten: Ihre verdickten grünen Triebe übernehmen die Fotosynthese, während die Blätter fast immer zu Dornen umgewandelt sind. Das Innere der Kakteentriebe besteht hauptsächlich aus Speichergewebe, das «Skelett» wird aus einem Geflecht verholzter Leitbündelstränge gebildet.
Die rund 440 Arten sind mehrheitlich in Nordamerika, vor allem in Mexiko, heimisch. Typisch sind zähe, rosettenförmig angeordnete Blätter. Es dauert häufig mehrere Jahrzehnte, bis der Blütenstand aus der Rosette wächst, die nach dem Blühen und Fruchten abstirbt.
Agaven sind in Mexiko geschätzte Nutzpflanzen. Der süsse Pflanzensaft wird frisch als «aguamiel» (Honigwasser) oder vergoren als «pulque» (Agavenbier) getrunken. Aus dem vergorenen und gebrannten Saft gekochter Agavenherzen entsteht der Tequila-Schnaps. Die Blattfasern der Sisal-Agaven werden zu Tauwerk, Schnüren und Teppichen verarbeitet.
Die Familie zählt etwa 1430 Arten, von denen praktisch alle sukkulent sind. Sie sind auf der Nordhalbkugel heimisch, im südlichen Afrika und auf Madagaskar. Entsprechend ihrem Namen (lateinisch crassus = dick) verfügen die Pflanzen über dicke Speicherblätter, die häufig in kompakten Rosetten angeordnet sind (wie bei Hauswurz). Einige Arten haben zudem sukkulente Triebe oder Wurzelstöcke. Zur Gattung Crassula gehören die kleinsten Sukkulenten überhaupt: winzige kurzlebige Kräutchen wie etwa Crassula connata aus Amerika, die nur etwa acht Wochen lang leben.
Die Familie der Affodillgewächse umfasst rund 1050 Arten, von denen etwa 825 sukkulent sind. Die Gattung Aloe mit gut 615 Arten ist vorwiegend im südlichen Afrika und auf Madagaskar zu Hause und zeigt eine grosse Blütenvielfalt. Aloe sind ausdauernde Rosettenpflanzen mit sukkulenten Wurzeln. Die kleinsten Arten werden nur wenige Zentimeter gross, andere dagegen bis zu 10 Meter hoch. Aloe-Blätter sind fleischig, am Rande meist glatt und nur selten stachelig und ohne stechenden Enddorn bewehrt.
Die weltweit verbreitete Familie umfasst gut 6500 Arten, darunter rund 940 Sukkulenten, vorwiegend aus der Gattung Euphorbia. Ihre Wuchsformen reichen von kakteenähnlichen blattlosen, dornigen Gestalten über dornenlose Stammsukkulenten mit Laubblättern bis hin zu Arten mit unterirdischer Speicherwurzel. Alle Wolfsmilchgewächse verfügen über einen ätzenden und giftigen Milchsaft. Die (Schein-)Blüte der Euphorbien ist ein extrem verkleinerter, komplex gebauter Blütenstand (Cyathium genannt), der von auffälligen Hochblättern oder Nektardrüsen umgeben ist.
Die zweitgrösste Sukkulentenfamilie mit rund 1950 sukkulenten Arten ist vor allem an der Westküste von Südafrika und Namibia zu Hause. Die meisten Mittagsblumen sind niedrige Sträucher mit dünnen holzigen Trieben und paarigen sukkulenten Blättern. Daneben existieren auch spezialisierte Formen wie beispielsweise die «Lebenden Steine» (Gattung Lithops). Die Blüten vieler Mittagsblumengewächse gehen erst beim höchsten Sonnenstand auf – daher ihr Name. Die Kapselfrüchte öffnen sich nur bei Regen, wobei die Samen durch die aufprallenden Regentropfen bis zu 1,5 m weit weggeschleudert werden.
Diese Familie ist in den Tropen und Subtropen verbreitet. Die meisten der etwa 1150 sukkulenten Arten sind stammsukkulent. Zur Bestäubung verfolgen sie verschiedene Strategien: Die Blüten der Aasblumen täuschen in Färbung und Duft Aas oder Dung vor und ziehen damit Schmeissfliegen an; ein Phänomen, das in der Biologie als Mimikry bekannt ist. Die Kesselfallenblüten der Leuchterblumen (Ceropegia) halten die Bestäuber – kleine Fliegen und Mücken – vorübergehend gefangen. Die Blüten der madagassischen Pachypodium-Arten werden vermutlich von Schmetterlingen bestäubt.
Orchideen bilden mit rund 22 000 Arten in etwa 730 Gattungen die wohl grösste Pflanzenfamilie überhaupt. Sie sind weltweit mit Schwergewicht in den Tropen und Subtropen verbreitet. Bei etwa 4500 meist epiphytisch lebenden Arten finden sich sukkulente Anpassungen wie mehr oder weniger verdickte Blätter oder speicherfähige Wurzeln. Bei den stammsukkulenten Arten treten häufig kugelig bis keulig verdickte Triebe oder Stammstücke auf, sogenannte Pseudobulben. Typisch für die Orchideen sind ihre zweiseitig symmetrischen (zygomorphen) Blüten, Blütenstaub in Paketen (Pollinien) und Kapselfrüchte mit staubfeinem Samen.
Von den rund 3500 Arten der Ananasgewächse oder Bromeliengewächsen sind etwa 500 sukkulent. Die Familie verdankt ihren deutschen Trivialnamen dem wohl bekanntesten Vertreter, der Ananas (Ananas comosus). Mit Ausnahme einer Art ist die gesamte Familie auf dem amerikanischen Doppelkontinent von Florida bis Mittelargentinien beheimatet.
Bei den sukkulenten Arten sind es vornehmlich die mehr oder weniger fleischigen Blätter, welche für die Wasserspeicherung zuständig sind. Eine solche Blattsukkulenz kommt sowohl bei boden- und felsbewohnenden als auch bei vielen Epiphyten aus den Trockengebieten vor. Typisch für die Familie sind Schuppenhaare (sogenannte Trichome) auf den Blättern, die es den Pflanzen erlauben, Wasser und Nährstoffe direkt, also ohne Umweg über die Wurzeln, aufzunehmen. Gleichzeitig dienen die Trichome dem Schutz vor übermässiger Verdunstung und Sonneneinstrahlung.