Säuglinge in der Kita – wie sich die Kleinsten wohlfühlen
Säuglinge brauchen von Geburt an vertraute Menschen, die ihre Grundbedürfnisse erkennen und darauf eingehen können. In der Kita sind sehr kleine Kinder gut aufgehoben, wenn sie einfühlsame Fachpersonen begleiten. Säuglingsexperte Claudio Angellotti erläutert, wie das gelingt.
Interview aufgezeichnet von Esther Suter, Fachstab Geschäftsbereich Kinderbetreuung, Bild: Anita Affentranger
Wenn sich Eltern entscheiden, ihr erst wenige Monate altes Kind in die Kita zu bringen, stellen sie sich viele Fragen. So zum Beispiel: «Wird sich mein Kind in der Kita einleben?» Wie sorgt ihr dafür, dass sich ein Säugling schnell wohl fühlt?
Wir Fachpersonen sind auf die Aussagen und das Wissen der Eltern angewiesen. Sie sind die Expert*innen ihres Kindes.
Eine sorgfältige Eingewöhnung bildet die Grundlage. Es ist zentral, dass wir in der Eingewöhnungsphase die Eltern kennenlernen und sie uns.
So können wir alles Wichtige rund um ihr Kind erfahren und sie sehen uns bei der Interaktion mit ihrem Kind. Das schafft Vertrauen und Nähe. Auf dieser Basis kann dann nach der Eingewöhnung weiter aufgebaut werden.
Während der Eingewöhnung kommt eine zweite Bezugsperson dazu, so dass mindestens zwei Personen aus dem Team das Kind und seine Familie sehr gut kennenlernen. Mit der Zeit wird das Kind mit allen Fachpersonen und Kindern vertraut sein.
Durch eine zugewandte und achtsame Begleitung der Betreuungspersonen wird sich das Kind aufgehoben fühlen, so dass es sich entfalten und nach und nach die Umgebung nach den eigenen Interessen erforschen kann. Als Fachperson erkläre ich dem Säugling immer, was gleich passieren wird: Wenn ich zum Beispiel das Kind wickle, es für einen Spaziergang anziehe, es aufnehme oder wenn ich den Raum verlasse. Dies ist eine bedeutende Kernaufgabe der Fachpersonen in der Arbeit mit Säuglingen. Wir vermitteln dem Kind damit, dass es ernst genommen und als eine eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen wird.
Grundlegend ist für uns auch, dass wir auf den individuellen Rhythmus des Kindes eingehen, besonders beim Schlafen und beim Essen.
Wie erkennen denn die Betreuungspersonen die Bedürfnisse eines Kindes, wenn es noch nicht sprechen kann?
Wir Fachleute haben gelernt, Signale und Gefühlsausdrücke von Säuglingen zu «lesen». Es braucht in diesem Bereich gut ausgebildetes Personal, das mit diesem Prozess vertraut und aufmerksam ist. Es sind Feinzeichen, die man nur durch genaue Beobachtungen sehen kann: Wenn sie noch mehr entdecken wollen, wenn sie genug entdeckt haben, wenn sie etwas anderes entdecken wollen etc. Durch die Informationen der Eltern bei der Eingewöhnung können die Fachpersonen in der Kita von Anfang an die Feinzeichen des Kindes noch besser einordnen und angemessen und genügend schnell darauf reagieren.
Die Entwicklung eines Säuglings verläuft rasant. Bekommt ihr da in der Kita immer alles mit?
Wir beobachten die Säuglinge genau. Aber der Dialog zwischen Eltern und Fachpersonen bleibt ebenso wichtig. Bei den Übergabesituationen am Morgen und am Abend tauschen wir mit den Eltern Veränderungen in der Ernährung, beim Schlafverhalten, in der Pflege oder unterschiedliche Entwicklungsschritte fortlaufend aus, so dass wir den Säugling in der Kita seinen Bedürfnissen entsprechend durch den Alltag begleiten können. Alle neuen Informationen geben wir im Team mündlich weiter und dokumentieren sie schriftlich, damit die Fachpersonen, die abwesend waren, sie nachlesen können.
Was passiert bei grösseren Entwicklungsschritten? Trägt ihr diesen Rechnung?
Im Team besprechen wir regelmässig die aktuellen Entwicklungsschritte und Interessen der Kinder und halten diese im Portfolio des Kindes fest. Wir bereiten jeden Morgen für die jeweiligen Kinder eine Spielumgebung vor. Der Raum bzw. die Spielumgebung wird so eigerichtet, dass die Kinder in ihrer Bewegungsentwicklung angeregt werden. Geeignete Klettermöglichkeiten und Spielmaterialien fördern Grob- und Feinmotorik. Wenn die Umgebung dem Entwicklungsstand entsprechend eingerichtet ist, beobachten wir, wie Kinder mit grosser Aufmerksamkeit und Ausdauer mit Gegenständen hantieren und den Raum erkunden.
Willst du noch etwas zur pädagogischen Haltung in der Betreuung von Säuglingen sagen, welche die städtischen Kitas vertreten?
Wir orientieren uns an der Pikler-Pädagogik: Die behutsame Pflege, das selbständige Erforschen der Umgebung und die ungestörte Bewegungsentwicklung bilden die Grundlage des Lernens.
Als Kindheitspädagoge befürworte ich diese Haltung, weil sie zu einer respektvollen und wohlwollenden Atmosphäre führt, die in der Frühpädagogik von grosser Bedeutung ist.
Du arbeitest schon seit 10 Jahren sehr engagiert mit Säuglingen. Was fasziniert dich besonders an der Arbeit mit Säuglingen?
Mich fasziniert, wie viel Säuglinge schon verstehen, wie sie sich mit ihrer Umwelt befassen, ihre eigenen Spuren hinterlassen und uns ihre Bedürfnisse deutlich signalisieren können, auch non-verbal.
Das wurde mir noch bewusster bei meiner Diplomarbeit «Ästhetische Bildung im Säuglingsalter».
Kinder erleben und lernen so viel zwischen drei und 18 Monaten. Mich beeindrucken die vielen Entwicklungsschritte, die sie während dieser Phase bewältigen, immer wieder: Sich hochziehen, die Balance auf den Beinen halten, die Hand-Mund-Koordination beim Essen, usw. Es erfreut mich jeden Tag, diese Ausdauer und diese Neugierde begleiten zu dürfen. Dies sind alles Schritte, die sie zu Persönlichkeiten machen.
Stadtzürcher Eingewöhnungsmodell
Eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale für eine gute Betreuungsqualität in den Kitas ist eine sorgfältige Eingewöhnung. Unter Einbezug der aktuellen Studien und bereits bewährten Eingewöhnungsmodellen haben die städtischen Kitas ein eigenes Eingewöhnungsmodell entwickelt, welches auf die Verhältnisse in der Schweiz angepasst ist (viele «Teilzeitkinder», sehr junge Kinder, lange Betreuungszeiten). In einem zweijährigen Projekt wurde das Stadtzürcher Eingewöhnungsmodell entwickelt, welches durch die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW forschend und beratend begleitet wurde.