Zürcher*innen sind zufrieden mit dem ÖV, nicht aber mit dem Velo- und Autoverkehr
Bei der Verkehrssituation in Zürich offenbaren sich klare Unterschiede: Der ÖV wird gut bewertet, während die Mehrheit mit dem Velo- und Autoverkehr unzufrieden ist. Zürcher*innen, die mehrheitlich Velo fahren, wünschen sich verstärkte Massnahmen bei der Veloförderung und der Verkehrsberuhigung. Autonutzer*innen sind dagegen unzufrieden mit dem Parkplatzangebot und den Tempo-30-Zonen. (21. Mai 2024 – Alessandro Feller)
Der Verkehr ist – neben dem Wohnraum – das grösste Problem auf dem Sorgenbarometer der Zürcher Stadtbevölkerung (Medienmitteilung Dezember 2023). Jede*r zweite Zürcher*in nennt ihn als grösstes Problem in der Stadt. Diese Situation besteht schon seit Längerem: Seit Erhebungsbeginn der Bevölkerungsbefragung vor 25 Jahren steht der Verkehr jeweils an erster Stelle des Sorgenbarometers.
Die Zürcher*innen scheinen mit der Verkehrssituation in der Stadt nicht zufrieden zu sein. Betrifft diese Unzufriedenheit alle Verkehrsmittel gleichermassen? Gibt es bestimmte Bevölkerungsgruppen, die besonders unzufrieden sind? Und wie steht es um die Zufriedenheit mit den verkehrsrelevanten städtischen Angeboten und um die Bewertung von Massnahmen in diesem Bereich? Dieser Webartikel will solchen Fragen mithilfe der Daten der Bevölkerungsbefragung auf den Grund gehen.
Grosse Unzufriedenheit mit Verkehrssituation bei Nutzung von Auto oder Velo
Die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit dem Verkehr hängt von der Situation ab, in welcher sich die Verkehrsteilnehmer*innen befinden. Der öffentliche Verkehr wird mit grossem Abstand am besten bewertet: Fast 90 Prozent der Zürcher*innen vergeben dafür gute oder sehr gute Noten. Nur etwa 4 Prozent der Stadtbevölkerung bewerten hier die Verkehrssituation als ungenügend.
Die Zufriedenheit mit der Situation beim Velo- oder Autofahren ist im Vergleich dazu deutlich tiefer: Rund jede zweite Person bewertet die Situation beim Velofahren in der Stadt Zürich als ungenügend. Mit der Verkehrssituation beim Autofahren sind rund 43 Prozent unzufrieden. Die Unzufriedenheit mit dem Verkehr betrifft also hauptsächlich Situationen des Individualverkehrs.
Welche Personen sind unzufrieden mit der jeweiligen Verkehrssituation, insbesondere mit jener im Individualverkehr? Handelt es sich um Menschen, die häufig mit dem Velo respektive dem Auto in der Stadt unterwegs sind? Gibt es Unterschiede hinsichtlich Geschlecht, Herkunft oder Alter? Um diese Fragen zu beantworten, wurde für jede Verkehrssituation ein Regressionsmodell geschätzt (Details zur Methode in der Infobox).
Wer täglich Velo fährt, ist signifikant unzufriedener mit der Velo-Situation
Bei der Zufriedenheit mit der Velo-Situation kommt es darauf an, wie häufig jemand mit dem Velo in der Stadt Zürich unterwegs ist: Wer täglich Velo fährt, hat eine rund 0,5 Mal kleinere Chance, mit der Velo-Situation zufrieden zu sein (Noten «genügend», «gut» und «sehr gut»), als eine Person, die monatlich oder seltener Velo fährt. Dies gilt, wenn Merkmale wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Haushaltseinkommen und Aufenthaltsdauer in der Stadt Zürich konstant gehalten (d. h. kontrolliert) werden. Dieses Ergebnis lässt sich inhaltlich sinnvoller interpretieren, wenn anstatt des Chancenverhältnisses (siehe Absatz «Analyse» in Infobox) die vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten für die Zufriedenheit berechnet werden: Für Zürcher*innen, die täglich mit dem Velo in der Stadt unterwegs sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit, mit der Velo-Situation zufrieden zu sein, im Schnitt rund 40 Prozent. Im Gegensatz dazu liegt die Wahrscheinlichkeit der Zufriedenheit für sporadische (monatlich oder seltener) Velofahrer*innen mit 57 Prozent rund 17 Prozentpunkte höher.
In Bezug auf die Verkehrssituation beim Velofahren sind zwei weitere Gruppenunterschiede beobachtbar: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau mit der Velo-Situation zufrieden ist, liegt mit rund 40 Prozent zehn Prozentpunkte tiefer als diejenige eines Mannes. Des Weiteren haben Ausländer*innen im Schnitt eine 15 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit dafür, mit der Situation beim Velofahren zufrieden zu sein als Schweizer*innen. Hinsichtlich des Alters oder des Stadtquartiers sind keine Unterschiede bei der Zufriedenheit mit der Velo-Situation feststellbar.
Wer häufiger mit dem ÖV unterwegs ist, ist zufriedener mit der ÖV-Situation
Mit der Zufriedenheit im öffentlichen Verkehr verhält es sich umgekehrt: Personen, die mindestens wöchentlich (1 bis 5 Mal pro Woche) mit Tram, Bus oder S-Bahn unterwegs sind, sind signifikant häufiger zufrieden mit der ÖV-Situation als Personen, die das städtische ÖV-Angebot nur monatlich oder seltener nutzen. Da die Zufriedenheit mit der ÖV-Situation aber allgemein sehr hoch ist, ergeben sich für die vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten keine grossen Gruppenunterschiede. Für eine Person, die wöchentlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit der Verkehrssituation zufrieden ist, rund 97 Prozent. Bei ÖV-Nutzenden hingegen, die nur monatlich oder seltener Tram, Bus oder S-Bahn fahren, liegt die Wahrscheinlichkeit der Zufriedenheit rund drei Prozentpunkte niedriger.
Mit der Situation im Autoverkehr sind alle Zürcher*innen gleichermassen zufrieden beziehungsweise unzufrieden: Weder die Autonutzung noch die anderen Merkmale wie Alter, Geschlecht, Herkunft usw. machen einen Unterschied, was die Zufriedenheit mit der Verkehrssituation angeht.
Unzufriedenheit mit Parkplätzen und Tempo-30-Zonen – vor allem bei Personen, die mehr Auto als Velo fahren
Was die Zürcher*innen im Individualverkehr belastet, spiegelt sich unter anderem bei der Zufriedenheit mit den verkehrsrelevanten Angeboten der Stadt und der Bewertung der Massnahmen in diesem Bereich wider. Insbesondere das Parkplatzangebot in der Innenstadt wird als unzureichend empfunden: Fast zwei Drittel der Bevölkerung sind unzufrieden (ungenügende Noten) mit dem Parkplatzangebot, während nur rund jede*r Zehnte gute oder sehr gute Noten vergibt. Bei den Tempo-30-Zonen zeigt sich ein etwas ausgewogeneres Bild, jedoch ist auch hier der Anteil derjenigen, die ungenügende Noten vergeben, am grössten (rund 42 Prozent).
Bei der Bewertung der Massnahmen zur Förderung des Velofahrens und zur Verkehrsberuhigung wird zwar nicht die Zufriedenheit abgefragt, doch die Befragten können ihre Meinung zum städtischen Engagement in diesen beiden Handlungsfeldern angeben. Bezüglich der Veloförderung zeigt sich, dass nur rund jede*r Fünfte den Umfang an Massnahmen als «gerade richtig» einstuft. Die Mehrheit ist der Ansicht, dass die Stadt entweder zu wenig (fast 50 Prozent) oder zu viel (rund 26 Prozent) für die Veloförderung unternimmt. Ähnlich ist es bei der Bewertung der Massnahmen zur Verkehrsberuhigung.
Werden diese Fragen in Bezug darauf untersucht, ob jemand häufiger mit dem Velo oder mit dem Auto in der Stadt Zürich unterwegs ist, zeigt sich folgendes Muster: Personen, die öfter Auto als Velo fahren, sind sowohl mit den Tempo-30-Zonen (55 Prozent) als auch mit dem Parkplatzangebot (75 Prozent) in der Innenstadt deutlich unzufriedener als Menschen, die das Velo als Fortbewegungsmittel bevorzugen (Tempo-30-Zonen: 34 Prozent; Parkplatzangebot: 48 Prozent).
Ebenso deutlich sind die Unterschiede bei der Bewertung der Massnahmen: Drei Viertel derjenigen, die häufiger mit dem Velo als dem Auto fahren, wünschen sich, die Stadt Zürich würde mehr Veloförderungsmassnahmen ergreifen. Im Gegensatz dazu findet jede*r zweite Zürcher*in, welche*r häufiger mit dem Auto als dem Velo in der Stadt unterwegs ist, es werde bereits zu viel im Bereich der Veloförderung unternommen. Gleiches gilt für die Verkehrsberuhigungsmassnahmen: Personen, die öfter mit dem Velo als mit dem Auto unterwegs sind, sind deutlich häufiger der Meinung, dass die Stadt in diesem Bereich zu wenig unternimmt (63 Prozent), im Vergleich zu denen, die beide Verkehrsmittel gleich oft benutzen (36 Prozent) oder häufiger das Auto als das Velo wählen (20 Prozent).
- Odds für Personen, die täglich Velo fahren: 39,5 % zufrieden / 60,5 % unzufrieden = 0,65
- Odds für Personen, die monatlich oder seltener Velo fahren: 57 % zufrieden / 43 % unzufrieden = 1,32
- Odds Ratio für Zufriedenheit: 0,65 / 1,32 = 0,49
Webartikel Tiefste Zufriedenheit mit dem Wohnungsangebot seit Erhebungsbeginn
Hauptbericht Bevölkerungsbefragung 2023
Quartierberichte Bevölkerungsbefragung 2023
Weitere Auswertungen der Bevölkerungsbefragung
OGD-Daten der Bevölkerungsbefragung
Glossar & Infos zur Methode
Bevölkerungsbefragung der Stadt Zürich
Seit 1999 werden mit der Bevölkerungsbefragung der Stadt Zürich alle zwei Jahre (mit Ausnahme des Jahres 2017) die Bedürfnisse und Anliegen der Stadtbevölkerung erhoben. Bis zum Erhebungsjahr 2015 wurde die Bevölkerungsbefragung mittels telefonischen Interviews (Computer Assisted Telephone Interviews (CATI)) durchgeführt. Seit 2019 wird die Bevölkerungsbefragung im Mixed-Mode Online/Papier durchgeführt.
Befragt wird jeweils eine repräsentative Stichprobe. Die Grundgesamtheit umfasst alle volljährigen, seit mindestens einem Jahr in der Stadt Zürich wohnhaften und gemeldeten Personen mit Schweizer Bürgerrecht, Niederlassungsbewilligung oder Aufenthaltsbewilligung B. Ebenfalls eingeschlossen sind Wochenendaufenthalter*innen.
Neben den gewichteten Anteilen werden im Text die 95 % Konfidenzintervalle ausgewiesen.
Analyse
Für diese Analyse der Zufriedenheit mit den drei Verkehrssituationen wurden drei logistische Mehrebenen-Modelle geschätzt: Velo-Modell (Zufriedenheit mit der Velo-Situation als abhängige Variable), Auto-Modell (Zufriedenheit mit der Auto-Situation als abhängige Variable) und ÖV-Modell (Zufriedenheit mit der ÖV-Situation als abhängige Variable). Als unabhängige Variablen wurden neben der Nutzungshäufigkeit des jeweiligen Verkehrsmittels (Velo, Auto und ÖV) das Alter, das Geschlecht, die Herkunft, das jährliche Brutto-Haushaltseinkommen sowie die Aufenthaltsdauer in der Stadt Zürich in die Modelle miteinbezogen.
In den untenstehenden Regressionstabellen werden anstatt der Regressionskoeffizienten (Logit-Effekte) sogenannte «Odds Ratios» ausgewiesen. Diese bezeichnen das Verhältnis zweier Odds, also zweier Chancen zueinander. Im Kontext dieser Analyse ist es das Verhältnis der Chancen für das Auftreten der betrachteten Merkmalsausprägung der abhängigen Variable («zufrieden» mit der jeweiligen Verkehrssituation) vs. der Chance des Nicht-Eintretens, wenn zwei Gruppen miteinander verglichen werden. Die «Odds Ratio» bezieht sich auf Quoten und nicht auf Wahrscheinlichkeiten. Ist die «Odds Ratio» > 1, bedeutet dies eine Zunahme der Chance, während eine «Odds Ratio» < 1 eine Abnahme der Chance bedeutet.
Da die Interpretation von «Odds Ratios» nicht sehr intuitiv ist, werden im Text vorhergesagte Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten des Ereignisses («zufrieden» mit der jeweiligen Verkehrssituation) ausgewiesen, wobei die übrigen Merkmale wie Geschlecht, Alter, Herkunft, Haushaltseinkommen und Aufenthaltsdauer in Zürich konstant gehalten werden.
Umrechnung der Odds Ratio in die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit am Beispiel der Zufriedenheit mit der Velo-Situation:
Logistische Mehrebenen-Modelle
Bei einem binomialen logistischen Regressionsmodell handelt es sich um ein statistisches Verfahren, welches den Zusammenhang zwischen mehreren unabhängigen Variablen und einer binären abhängigen Variable testet. Im Unterschied zur linearen Regressionsanalyse ist die abhängige Variable binär, d. h., sie hat nur zwei Ausprägungen. Die abhängigen Variablen können auch höhere Skalenniveaus aufweisen. Bei diesem Verfahren wird die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Ereignisses geschätzt, z. B. die Wahrscheinlichkeit, ob jemand «zufrieden» oder «unzufrieden» mit einer Verkehrssituation ist.
Mehrebenen-Modelle ermöglichen die Analyse von Daten, die hierarchisch gruppiert sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Individuen einer Stichprobe natürlichen Gruppen angehören und davon ausgegangen werden kann, dass neben den individuellen Merkmalen (Ebene 1) eines Individuums auch dessen Gruppenzugehörigkeit (Ebene 2) einen Einfluss auf die abhängige Variable (Ebene 1) hat. Im Unterschied zu Regressionsmodellen mit nur einer Ebene werden die Daten auf mehreren hierarchischen Ebenen analysiert, womit sich auch Kontext- oder Makroeffekte untersuchen lassen. Im vorliegenden Fall z. B. können die Umfrageteilnehmer*innen (Ebene 1) der Bevölkerungsbefragung hierarchisch in die statistischen Quartiere der Stadt Zürich (Ebene 2) gruppiert werden.