Kleinere Wohnungen für grössere Haushalte
Im vergangenen Jahrzehnt wurden in der Stadt Zürich mehrheitlich Zwei- und Dreizimmerwohnungen gebaut, nachdem der Fokus im Jahrzehnt zuvor auf Familienwohnungen gelegen hatte. Haushalte mit Kindern wurden in Neubauten dennoch zahlreicher. Möglich machte dies – neben der insgesamt regeren Bautätigkeit – eine deutlich zunehmende Belegung der Neubauwohnungen. (15. April 2021, Urs Rey)
Familientaugliche Wohnungen erwünscht
1998 formulierte der Stadtrat im Rahmen des Legislaturschwerpunkts «Wohnen für alle» das Ziel, den Wohnungsbau deutlich zu stärken und dabei das Schwergewicht auf familientaugliche Wohnungen zu legen. Das gelang; die Wohnbautätigkeit erhöhte sich, und der Anteil von Wohnungen mit vier und mehr Zimmern stieg in den Neubauten auf gegen 60 Prozent. Die Zahl von Familien und Kindern in der Stadt nahm entsprechend zu. Ab 2004 übertraf die Geburtenzahl erstmals seit 1968 wieder diejenige der Sterbefälle. Allerdings lässt sich seit 2009 beobachten, dass der Anteil neu erstellter Wohnungen ab vier Zimmern wieder rückläufig ist; in den letzten Jahren stabilisierte er sich bei rund 30 Prozent (Grafik 1).
Was bedeutet dieser Rückgang für die Stadt? Ist mittelfristig damit zu rechnen, dass die Familien- und Kinderzahl wieder zurückgeht? Der Webartikel geht dieser Frage nach, indem er die Wohnungen und Haushalte in Neubauten untersucht. Der Fokus wird auf den Vergleich der Neubauwohnungen aus den letzten fünf Jahren (2016–2020) mit jenen der vorangegangenen Fünfjahresperioden gelegt, wobei der Vergleich mit dem Zeitraum 2006–2010 im Mittelpunkt des Interesses steht. Ergänzend ist der Vergleich mit den Neubauten der Perioden 2011–2015 und 1996–2000 möglich, während für den Zeitraum 2001–2005 Vergleichsdaten fehlen (vgl. Abschnitt Methodik am Schluss).
Bereits die Darstellung der Absolutzahlen zur Wohnbautätigkeit bringt viel Klarheit (Grafik 1, Button Wohnungen). Die Gesamtzahl der neuerstellten Wohnungen stieg im letzten Jahrzehnt enorm an. In den 1990er-Jahren wurden im Durchschnitt 810 Wohnungen gebaut, in den Nullerjahren waren es 1370 und im vergangenen Jahrzehnt sogar 2500. Der Anteil neuer Wohnungen ab vier Zimmern ging zwar zurück, aber deren absolute Zahl stieg sogar noch etwas an: Die Produktion nahm von durchschnittlich 680 (2001–2010) auf 790 zu (2011–2020). Die Neubautätigkeit entfiel zwar grösstenteils auf Zwei- und Dreizimmerwohnungen, aber die Zahl neu gebauter Familienwohnungen blieb hoch.
Gemeinnützige Bauträgerschaften ziehen nach
Der Trend zu Zwei- und Dreizimmerwohnungen begann bei den privaten Gesellschaften. Die durchschnittliche Zahl der neuerstellten Dreizimmerwohnungen lag bei dieser Eigentumsgruppe bereits 2001–2005 bei 150 pro Jahr und stieg 2006–2010 auf 210, 2011–2015 auf 350 und 2016–2020 auf 420 (Grafik 2). Die öffentliche Hand und die Genossenschaften erstellten dagegen bis 2010 weniger als 100 Dreizimmerwohnungen jährlich, danach jedoch stieg die Zahl auf 300 an.
Auch bei den Zweizimmerwohnungen dehnten die mehrheitlich gemeinnützigen Eigentümerschaften ihre Produktion ab 2010 stark aus, von knapp 60 auf über 240 pro Jahr. Auch die privaten Gesellschaften erhöhten ihr Angebot an Zweizimmerwohnungen, dies allerdings schon in den Nullerjahren und kontinuierlicher.
Im Segment der sogenannt familientauglichen Wohnungen ab vier Zimmern blieben dagegen die öffentliche Hand und die Genossenschaften tonangebend. 1996–2000 erstellten sie 22 Prozent dieser grösseren Wohnungen, danach steigerten sie ihren Anteil von 29 Prozent (2001–2005) über 33 Prozent (2006–2010) auf 44 Prozent ab 2011.
Trendwende bei den Wohnungsflächen
Wohnungen mit weniger Zimmern wurden also nicht nur zahlreicher. Auch die Durchschnittsfläche innerhalb der Zimmerzahlen ging zurück. Zuvor waren jahrzehntelang immer grössere Wohnungen gebaut worden. So misst eine durchschnittliche Dreizimmerwohnung aus den 1950er-Jahren 69 Quadratmeter, aus den 1970er-Jahren 79 Quadratmeter und aus den 1990er-Jahren 89 Quadratmeter. Mit 96 Quadratmetern erreichte die Durchschnittsfläche im Zeitraum 2006–2010 ihr Maximum. Danach setzte eine Trendwende ein: Erstmals seit 50 Jahren ging die Fläche wieder zurück. Dreizimmerwohnungen aus den Jahren 2016–2020 messen noch 90 Quadratmeter.
Diese Feststellung gilt nicht nur für Dreizimmerwohnungen, sondern für den gesamten Wohnungsbau in allen Grössenkategorien und auch in fast allen Eigentumsgruppen (Grafik 2): Die Wohnungen, die gegenwärtig in der Stadt Zürich gebaut werden, sind um einiges kleiner als noch vor zehn Jahren.
Viele Haushalte in Neubauwohnungen
In den fünf Jahren von 2016 bis 2020 wurden 12 800 Wohnungen erstellt, ähnlich viele wie in der vorangegangenen Fünfjahresperiode, aber 5000 mehr als im Zeitraum 2006–2010.
Welche Arten von Haushalten bezogen diese Neubauwohnungen? Nachfolgend werden die häufigsten Gruppen untersucht, wobei einerseits zwischen Haushalten mit Kindern oder ohne und andererseits zwischen Haushalten mit Personen im Erwerbsalter und solchen im Rentenalter unterschieden wird (vgl. Abschnitt Haushaltgruppen im Glossar am Schluss).
Am häufigsten bezogen Ein- oder Zweipersonenhaushalte im Erwerbsalter die Neubauwohnungen der Jahre 2016 bis 2020, nämlich je rund 3000. Weitere knapp 3000 Wohnungen wurden von Haushalten mit Kindern bezogen, und 1300 von Personen im Rentenalter (Tabelle 1).
Tabelle 1: Haushaltgruppen in Neubauwohnungen, Vergleich der Fünfjahresperioden 2006–2010 und 2016–2020
Haushaltgrupen in Neubauten | Anzahl | indexiert | ||
---|---|---|---|---|
2006–2010 | 2016–2020 | 2006–2010 | 2016–2020 | |
1 Person im Erwerbsalter | 1581 | 3078 | 100 | 195 |
2 Personen im Erwerbsalter | 2441 | 3101 | 100 | 127 |
1 Person im Rentenalter | 343 | 706 | 100 | 206 |
2 Personen im Rentenalter | 345 | 577 | 100 | 167 |
2 Erwachsene mit 1 Kind | 653 | 1136 | 100 | 174 |
2 Erwachsene mit 2 Kindern | 621 | 1205 | 100 | 194 |
2 Erwachsene mit 3+ Kindern | 209 | 286 | 100 | 137 |
1 Erwachsener mit Kind | 199 | 283 | 100 | 142 |
Mehr Haushalte mit Kindern in Neubauwohnungen
Da mehr Wohnungen gebaut wurden als vor zehn Jahren, sind heute mehr Haushalte in Neubauten wohnhaft als damals. Bestimmte Haushaltgruppen verzeichneten dabei eine stärkere Zunahme als andere. So verdoppelte sich die Zahl der Einpersonenhaushalte, während bei Zweipersonenhaushalten eine schwächere Zunahme festzustellen ist (+27 Prozent im Erwerbsalter, +67 Prozent im Rentenalter). Überproportional stark erhöhte sich auch die Zahl der Paarhaushalte mit einem oder zwei Kindern (Tabelle 1).
Haushalte und Zimmerzahlen
Eine überdurchschnittlich steigende Zahl von Familienhaushalten in Neubauten, obwohl mehr Kleinwohnungen erstellt wurden und obwohl auch die durchschnittlichen Wohnungsflächen zurückgingen – wie ist das zu erklären? Grafik 4 zeigt, was dahintersteckt: In den letzten 10 Jahren wohnten die Haushalte in Neubauwohnungen immer enger. So hatten 2006–2010 57 Prozent aller Einpersonenhaushalte drei und mehr Zimmer zur Verfügung, heute sind es nur noch 24 Prozent – die grosse Mehrheit der Einpersonenhaushalte bezieht in Neubauten Ein- oder Zweizimmerwohnungen.
Weniger Zimmer zur Verfügung
Das gleiche gilt für die anderen Haushaltgruppen. Bei den Zweipersonenhaushalten im Erwerbsalter zum Beispiel bewohnten 2006–2010 46 Prozent aller Haushalte in Neubauten eine Wohnung mit vier und mehr Zimmern, heute sind es nur noch 16 Prozent. Von den Familien mit einem Kind bewohnten vor zehn Jahren noch 83 Prozent eine Neubauwohnung mit vier und mehr Zimmern, heute sind es noch 51 Prozent. Mit zwei Kindern standen bei 35 Prozent der Haushalte sogar 5 Zimmer zur Verfügung, heute sind es nur noch 16 Prozent. Analoge Feststellungen lassen sich für Seniorenhaushalte und Alleinerziehende machen.
Diese Entwicklung zeigt sich nicht nur in Wohnungen mit privater Eigentümerschaft, sondern auch in solchen der öffentlichen Hand und von Genossenschaften.
Tieferer Wohnflächenkonsum in Neubauwohnungen
Wenn in Neubauwohnungen tendenziell weniger Zimmer mit kleinerer Fläche bewohnt werden, deutet das auf einen tieferen Wohnflächenkonsum. Tatsächlich lässt sich auch diese Entwicklung nachweisen (Grafik 4). Bei Einpersonenhaushalten im Erwerbsalter ist der Rückgang von 90 auf 69 Quadratmeter innert zehn Jahren besonders stark (-23 Prozent). Aber auch bei den anderen Haushaltgruppen in Neubauten betragen die Rückgänge zwischen 6 und 17 Prozent, sind also durchaus markant.
Entwicklungen im Altbestand
Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit Neubauwohnungen. Die Tendenz zu kleineren Wohnungen wird aber auch im Gesamtwohnungsbestand inklusive Altbauten sichtbar. Hatten 2014 noch 46 Prozent aller Einpersonenhaushalte drei und mehr Zimmer zur Verfügung, waren es 2020 nur noch 42 Prozent. Ähnliches gilt bei den Haushalten mit zwei, drei und vier Personen.
Seit 2014 kann der Wohnflächenkonsum in Quadratmetern pro Person im Monatsverlauf nachgezeichnet werden (Grafik 6). Bei den Neubauten lässt sich die dichtere Belegung gut verfolgen; die Flächen pro Person gingen stark zurück. 2019 fielen sie sogar bis auf den gesamtstädtischen Durchschnitt, der auch die Altbauten enthält – erstaunlich, wenn man bedenkt, dass bisher Neubauten die Treiber steigenden Flächenkonsums waren und die heutigen Ansprüche an den Wohnraum deutlich höher sind als früher.
Dennoch ist der durchschnittliche Wohnflächenkonsum in der Stadt insgesamt nicht zurückgegangen. Im Altbestand, definiert als unveränderte Gebäude mit Baujahr vor 2000, blieb die Wohnfläche pro Kopf lange Zeit konstant und steigt seit 2019 wieder etwas an. Die im Jahr 2015 beschriebene Trendwende beim Wohnflächenkonsum in der Stadt Zürich erweist sich seither eher als Stagnation, was nach jahrzehntelangem Anstieg aber immer noch bemerkenswert ist.
Ab 2020 ist auch bei den Neubauten wieder eine leicht steigende Tendenz des Flächenkonsums festzustellen. Es bleibt vorläufig offen, ob dies nur eine vorübergehende Begleiterscheinung der Corona-Krise ist oder – falls der schwächere Bevölkerungsdruck oder vielleicht auch ein zusätzliches Bedürfnis nach mehr Raum fürs Homeoffice des letzten Jahres anhält – tatsächlich eine Trendwende einläutet.
Marktanteile der Eigentumsgruppen
Ein letztes Streiflicht zeigt, wie sich das Angebot der Neubauwohnungen bei den verschiedenen Haushaltgruppen auf die Wohnungsanbieter verteilt (Grafik 7). Bei Ein- und Zweipersonenhaushalten im Erwerbsalter bezogen zuletzt 80 Prozent Wohnungen mit privater Eigentümerschaft. Bei Haushalten im Rentenalter und bei Alleinerziehenden spielen hingegen die öffentliche Hand und die Genossenschaften eine zentrale Rolle; rund zwei Drittel beziehen entsprechende Neubauwohnungen.
Unterschiedlich ist es bei Haushalten mit Kindern. Solche mit drei und mehr Kindern in Neubauten beziehen zu zwei Dritteln Wohnungen in gemeinnützigen Bauten. Mit zwei Kindern ist es etwas mehr als die Hälfte, die gemeinnützig wohnt, und mit einem Kind rund ein Drittel. Private Gesellschaften spielen bei Kleinhaushalten im Erwerbsalter die wichtigste Rolle. Innert fünf Jahren hat sich ihr Marktanteil aber auch bei allen Arten von Haushalten mit Kindern ungefähr verdoppelt.
- Öffentlich/Genossenschaften: Stadt Zürich (inklusive städtische Stiftungen), Bund, Kanton und andere öffentliche Eigentümerschaften sowie Baugenossenschaften
- Andere private Gesellschaften (ohne Baugenossenschaften): Aktien-, Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, Handels-, Produktiv-, Versicherungs- und übrige Genossenschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Pensionskassen, Vereine, private Stiftungen, gemischtes Eigentum und Religionsgemeinschaften
- Privatpersonen: Einzelpersonen, Erbgemeinschaften und mehrere natürliche Personen
- Im Stockwerkeigentum
Methodik
Die vorliegende Untersuchung basiert auf den Wohnungs- und Haushaltangaben in den verbundenen Registern zur Bevölkerung und zu den Gebäuden und Wohnungen der Stadt Zürich. Detaillierte Daten zur Haushaltstruktur in den Wohnungen liegen ab 2014 vor. Damit die Haushaltstruktur von Neubauten möglichst weit zurückverfolgt werden kann, wurde folgendes Vorgehen gewählt:
Für die Wohnungen in Neubauten aus den Jahren 2016–2020 wurde die Haushaltstruktur am Jahresende 2020 untersucht. Für die Wohnungen aus dem Zeitraum 2011–2015 wurde analog die Haushaltstruktur von Ende 2015 verwendet. Für den Vergleich mit der Bauperiode 2006–2010 wurde die mutmassliche Wohnungsbelegung Ende 2010 aus den Haushaltdaten 2014 abgeleitet, unter der Annahme, dass sich die Haushaltstruktur zwischen 2010 und 2014 in diesen Bauten nicht veränderte. Für die Untersuchung der Bauperiode 2001–2005 standen keine Daten zur Verfügung. Aus den Daten der Volkszählung 2000 liess sich zum Vergleich analog die Belegung der Neubauwohnungen aus der Bauperiode 1996–2000 ermitteln.
Glossar
Wohnungsfläche (Wohnfläche)
Als Wohnungsfläche (früher und im Zusammenhang mit dem Flächenkonsum pro Person auch als «Wohnfläche» bezeichnet) gilt die Fläche sämtlicher Räume einer Wohnung hinter der Wohnungstüre, abzüglich Wandquerschnitten. Dazu gehören Wohn- und Schlafzimmer, Küche, Kochnische, Badezimmer, Toiletten, Abstellräume und Gänge. Ausser Betracht fallen bei der Berechnung zusätzliche Wohnräume ausserhalb der Wohnung (z.B. der Wohnung zugeordnete Einzelzimmer), offene Balkone und Terrassen sowie nicht bewohnbare Keller- und Dachgeschossräume. Wo keine genauen Flächen ermittelt werden können, sind Schätzwerte (Länge × Breite) erfasst.
Wohnflächenkonsum, Wohnfläche pro Person
Als Wohnflächenkonsum gilt die Wohnungsfläche, die pro Person zur Verfügung steht. Dabei werden seit 2014 nur die bewohnten Wohnungen und die Personen in Privathaushalten berücksichtigt.
Haushalt
Zu einem Haushalt zählen alle Personen, welche zusammen in der gleichen Wohnung leben. Dabei wird für Personen der wirtschaftliche Wohnsitzbegriff verwendet.
Haushaltgruppen
In der vorliegenden Untersuchung werden die Haushalte einzig aufgrund der Personenzahl und des Alters klassiert. Haushalte im Rentenalter umfassen mindestens eine Person von 65 und mehr Jahren. Haushalte mit Kindern umfassen mindestens eine Person unter 18 Jahren.
Eigentumsarten