Hohe Wohnungsfluktuation trotz tiefem Leerstand
Jeden Monat werden in der Stadt Zürich 2300 Wohnungen neu bezogen; in den klassischen Umzugsmonaten April und Oktober sind es durchschnittlich sogar 2800. Diese hohe Zahl von Neubelegungen steht in scheinbarem Widerspruch zum chronisch tiefen Leerwohnungsbestand. Gemäss der jüngsten Zählung wurden am 1. Juni 2020 339 leerstehende Wohnungen ermittelt, für die weder ein Miet- noch ein Verkaufsvertrag abgeschlossen war. In Zürich finden aber die allermeisten Wohnungen lückenlos Nachmieter. Nur bei Neubauwohnungen dauert es manchmal etwas länger. (29. September 2020 - Urs Rey)
Leerstehende und neu bezogene Wohnungen
Die Leerwohnungszählung weist die Zahl der aktuell leerstehenden, d.h. weder vermieteten noch verkauften Wohnungen aus. Oft handelt es sich dabei um Wohnungen mit einem Mangel, etwa solche in schlechtem Zustand, an ungünstiger Lage, mit hohem Preis oder einer Befristung. Manchmal – aber kaum je in der Stadt Zürich – fehlt die Nachfrage, weil der Markt gesättigt ist.
Während die Leerwohnungen in der Stadt Zürich seit 120 Jahren erhoben werden, war die Gesamtzahl der neu bezogenen Wohnungen bisher nicht bekannt. Mit dem vorliegenden Webartikel wird diese Lücke geschlossen. Aus den Bevölkerungs- und Wohnungsregisterdaten lässt sich ermitteln, wann eine Wohnung neu bezogen wird. Die ausgewiesenen Werte sind als Grössenordnung mit einer möglichen Ungenauigkeit von etwa fünf Prozent zu verstehen. Definitions- und Erfassungsprobleme ergeben sich durch die oft unvermeidliche verspätete oder ungenaue administrative Erfassung von Ein- und Auszügen, durch gebäudeinterne Umzüge oder durch Wohngemeinschaften mit vielen Wechseln ohne klar definierten Umzugstermin.
Die Untersuchung bezieht sich auf den Fünfjahreszeitraum 2015–2019, mit einem Ausblick bis zur Gegenwart, also auch in den durch Covid-19 beeinflussten Zeitraum. Sie beschäftigt sich mit Umzügen aus Wohnungssicht. Wenn also nachfolgend von Umzügen die Rede ist, sind damit nicht Personen gemeint, die in eine andere Wohnung ziehen, sondern Wohnungen, die vollständig neu bezogen werden. Der Unterschied ist beträchtlich, denn ein Drittel aller umziehenden Personen bezieht keine eigene Wohnung, sondern zieht in einen bestehenden Haushalt.
Wohnungen acht Jahre bewohnt
Zwischen 2015 und 2019 wurden im Jahresdurchschnitt 28 000 Wohnungen neu bezogen, was 12,6 Prozent des Wohnungsbestandes entspricht. Diese Quote wird nachfolgend als «Wohnungsfluktuation» bezeichnet. 12,6 Prozent entspricht recht genau einem Achtel aller Wohnungen. Demnach wird eine Wohnung in der Stadt Zürich durchschnittlich nach acht Jahren von einem anderen Haushalt bezogen.
Von den 28 000 neu bezogenen Wohnungen pro Jahr waren im Mittel 2400 weniger als ein Jahr alt; es handelte sich also um Neubauwohnungen. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum wurden im Jahresdurchschnitt 2800 Wohnungen neu erstellt. Rund 400 Neubauwohnungen fanden demnach innert Jahresfrist keine Bewohnerschaft, mussten also länger als ein Jahr zum Kauf oder zur Miete ausgeschrieben oder aber als Zweitwohnung gekauft oder gemietet werden.
Erhöhte Fluktuation in privaten Mietwohnungen
Die Wohnungsfluktuation lässt sich für verschiedene Eigentumsgruppen ermitteln und illustriert anschaulich die Unterschiede im Wohnungsmarkt. Dabei werden nachfolgend die Neubauten ausgeklammert, denn der Erstbezug von Wohnungen unterliegt eigenen Regeln.
In mehrheitlich gemeinnützigen Wohnungen – solchen der Stadt und von Wohnbaugenossenschaften – ist die Fluktuation mit 7,3 Prozent tiefer als bei Mietwohnungen in privatem Besitz mit 14,1 Prozent (Grafik 1, nach Bewohnungsart). Das bedeutet umgekehrt: Die durchschnittliche Verweildauer in privaten Mietwohnungen beträgt 7 Jahre, in gemeinnützigen Wohnungen hingegen 14 Jahre. Naturgemäss noch seltener sind Wechsel im Wohneigentum: Stockwerkeigentum wird – rein rechnerisch aus der jährlichen Fluktuation ermittelt – in der Stadt Zürich während fast 40 Jahren bewohnt, bei Einfamilienhäusern sind es sogar 50 Jahre.
Am wenigsten Wechsel in 15- bis 19-jährigen Bauten
In den ersten Jahren nach dem Wohnungsbezug sind Wechsel relativ häufig. Die Fluktuationsrate in 2- bis 3-jährigen Gebäuden liegt bei 11,8 Prozent (Grafik 1 nach Gebäudealter). Mit der Zeit sinkt die Rate aber kontinuierlich, bis bei 15- bis 19-jährigen Gebäuden mit 6,8 Prozent die tiefste Fluktuation erreicht wird. Das gilt gleichermassen für gemeinnützige wie für private Mietwohnungen und auch für selbstbewohntes Stockwerkeigentum. Mit zunehmendem Gebäudealter werden Wechsel wieder häufiger. Bei über 40-jährigen Gebäuden übersteigt die Fluktuationsrate schliesslich diejenige von Neubauten.
Häufige Bewohnerwechsel in Kleinwohnungen
Die Umzugshäufigkeit hängt stark von der Wohnungsgrösse ab (Grafik 2). Einzimmerwohnungen erleben alle 5 Jahre einen Wechsel (Fluktuationsrate von 19,1 Prozent), während Grosswohnungen ab 7 Zimmern durchschnittlich fast 20 Jahre vom gleichen Haushalt bewohnt werden (Fluktuationsraten um 5 Prozent). Interessant sind die Unterschiede nach Bewohnungsart. Im gemeinnützigen Bereich steigt die Fluktuation bei grossen Wohnungen ab 6 Zimmern eher wieder an – wohl eine Folge von Belegungsvorgaben für minimale Haushaltgrössen.
Fluktuation als Spiegel der baulichen Zusammensetzung
Die Wohnungsfluktuation ist dort besonders ausgeprägt, wo der Mietanteil hoch und Kleinwohnungen und somit auch Kleinhaushalte verbreitet sind. In der Stadt Zürich, wo diese Verhältnisse generell stark ausgeprägt sind, ist die Umzugsrate denn auch ausgesprochen hoch. Eine aktuelle Studie von Homegate belegt, dass Umzüge in der Schweiz nirgendwo häufiger sind als in der Stadt Zürich.
Innerhalb der Stadt sind Wohnungswechsel aus dem gleichen Grund vor allem in den zentralen und hochschulnahen Gebieten verbreitet (Grafik 3). Vor allem betrifft dies Teile der Kreise 1, 4 und 8, zudem einige ältere Mietwohnungsquartiere am Stadtrand, zum Beispiel in den statistischen Zonen Werdhölzli (Altstetten) und Ettenfeld (Seebach). Wenige Wechsel sind hingegen in typischen Wohnquartieren mit hoher Eigentums- und Genossenschaftsprägung festzustellen, so in Höngg sowie am Zürichberg und in Witikon, aber auch am Friesenberg.
Dass in zentralen Quartieren häufiger umgezogen wird, gilt auch, wenn man die Fluktuation nur für die meistverbreitete Wohnungsgruppe betrachtet, nämlich die Drei-Zimmer-Mietwohnungen (vgl. Grafik 3). Es scheint also in erster Linie die Lage zu sein, die zu einer höheren oder tieferen Fluktuation führt.
Wohnungswechsel im Jahresverlauf
Wie aus Grafik 4 ersichtlich, unterliegt die Zahl der Wohnungswechsel beträchtlichen Schwankungen im Jahresverlauf. Im Monatsdurchschnitt der Jahre 2015–2019 werden etwa 2300 Wohnungen neu bezogen. An den klassischen Umzugsterminen im April und Oktober ist die Bezugsquote mit 2800 Wohnungen am höchsten. Auch in den Sommermonaten von Juli bis September ist sie leicht überdurchschnittlich, um den Jahreswechsel herum am tiefsten. Doch auch in diesen Wintermonaten werden noch gegen 2000 Wohnungen gewechselt.
Wohnungsfluktuation im Zeitverlauf
Mit der hohen Neubautätigkeit der letzten Jahre hat sich die Wohnungsfluktuation in Zürich grundsätzlich erhöht. Grafik 5 zeigt den Verlauf der monatlichen Wohnungsbezüge seit 2014. Vor allem ab Mitte 2017 stieg die Zahl der Umzüge markant an. Zuvor wurden an den Umzugsterminen um die 2500 Wohnungen gewechselt, danach waren es 2800. Und auch in anderen Monaten erhöhte sich die Umzugszahl um mehrere hundert Wohnungen. Die jährliche Gesamtzahl stieg von 26 000 im Jahr 2016 auf 30 000 im Jahr 2018.
Tatsächlich kamen zwischen Herbst 2016, als die Grossüberbauung Freilager mit 800 Wohnungen fertiggestellt wurde, und Herbst 2018 aussergewöhnlich viele Wohnungen auf den Markt. In diesen zwei Jahren entstanden 7300 Neubauwohnungen; das entspricht 280 in jedem Monat. Es scheint, als beeinflusse die Neubautätigkeit auch die Fluktuation im Altbestand.
2020 veränderten sich die Rahmenbedingungen durch die Corona-Pandemie. Noch im Januar waren wenig Unterschiede gegenüber den Vorjahren auszumachen, doch bis zum Umzugstermin im April nahmen die Wohnungswechsel kaum mehr zu. Im April lag die Umzugszahl dann bei etwa 2400, das waren 400 weniger als im Vorjahr.
Möglicherweise ist aber nicht nur die Pandemie für den Rückgang der Fluktuation verantwortlich. Schliesslich ist auch die Neubautätigkeit Ende 2018 zurückgegangen. Seither wurden im Durchschnitt nur noch 160 Wohnungen pro Monat fertiggestellt, und es wurden auch weniger Wohnungen umgebaut oder abgebrochen. Die rückläufige Bauaktivität könnte ebenfalls zur tieferen Fluktuation beitragen.
Wohndichte vor und nach dem Umzug
Ein Spiegel der Nachfrage ist auch die Entwicklung der Wohnungsbelegung. Wie gross sind die ausziehenden, wie gross die einziehenden Haushalte? Die Summe der 30 000 Wohnungswechsel pro Jahr zeigt die vorherrschende Tendenz auf. In einem knappen Markt mit steigenden Preisen nimmt die Wohnungsbelegung bei Umzügen eher zu: Die Bewohnerzahl ist nach dem Umzug grösser als zuvor. Wenn hingegen die Auswahl an Wohnungen gross ist und diese tendenziell günstiger werden, kann sich die Belegung durch Umzüge verkleinern, da vermehrt Kleinhaushalte als Nachfrager auftreten und sich etwas mehr Wohnfläche leisten können.
Über den gesamten Fünfjahreszeitraum 2015–2019 betrachtet, erhöht die Wohnungsfluktuation die Wohnungsbelegung geringfügig. Das gilt auch für Altbauten. In allen Wohnungen mit Umzügen wurden zuvor insgesamt 132 100 Personen gezählt, nach dem Umzug waren es 133 400 Personen. Die 1300 zusätzlichen Personen entsprechen einer Erhöhung der Wohnungsbelegung um ein Prozent. Der durchschnittliche Wohnflächenkonsum sank entsprechend.
Rückläufige Wohnungsbelegung im Herbst
Aufschlussreich sind die Belegungsveränderungen im Jahresverlauf. Im Mittel der Jahre 2015–2019 führten Umzüge vom Januar bis September jeweils zu einer höheren Belegung. In diesen Monaten resultierte aus Wohnungswechseln per Saldo eine Zunahme (Grafik 6: Veränderung Wohnungsbelegung). Im letzten Quartal war es dagegen umgekehrt: Die Wohnungsbelegung durch Umzüge sank im November und vor allem im Dezember klar.
Dieser Effekt könnte auf die grosse Zahl neu erstellter Wohnungen im Herbst zurückzuführen sein. Im Fünfjahresdurchschnitt erhöhte sich der Wohnungsbestand im September um fast 500 Einheiten (Grafik 6: Veränderung Wohnungsbestand). Der Rückgang der Belegung bei Umzügen im November und Dezember könnte durch die verhältnismässig gute Versorgungssituation im Herbst zurückzuführen sein. Dies wäre nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, da die Neubauwohnungen bei den Belegungsveränderungen nicht berücksichtigt sind, sondern nur bereits bewohnte Wohnungen. Eine hohe Bautätigkeit scheint somit direkte Auswirkungen auf die Belegung von Altbauten zu haben – auch wenn in der Stadt Zürich die Belegung bei Umzügen schon ab Januar jeweils wieder zunimmt.
Methodik
Im Personenregister wird bei der Anmeldung jeder Person die Adresse, die Wohnung im Gebäude und das entsprechende Einzugsdatum zugeordnet. Die Wohnungsbelegung wird täglich mit dem Gebäude- und Wohnungsregister GWZ abgeglichen und monatlich konsolidiert. Sind an einem Monatsende alle Personen einer Wohnung neu eingezogen, wird zu dieser Wohnung für die vorliegende Publikation ein Umzug festgehalten.
Bei einem Teil der Umzüge erfolgt die Zuordnung der Wohnung aus administrativen Gründen mit einiger Verzögerung. Deshalb werden zu jedem Umzug Nachträge bis maximal 12 Monate berücksichtigt.
Beim Vergleich der Bewohnerzahl vor und nach einem Umzug ist jeweils die Personenzahl zwei Monate vor dem Umzug und acht Monate danach massgebend. Ausgewertet wurden nur Wohnungen, für die zu beiden Zeitpunkten mindestens ein Bewohner oder eine Bewohnerin bekannt war. Das bedeutet, dass Erstbezüge neuerstellter Wohnungen nicht enthalten sind, denn bei diesen fehlen Bewohnerzahlen vor dem Einzug.
Hochrechnung für 2020 in Grafik 5: Die Zahl der Wohnungswechsel für das Jahr 2020 ist aufgrund der teilweise verzögerten Erfassung noch unvollständig. Um dies auszugleichen, enthält die Hochrechnung eine Schätzung der ausstehenden Nachträge auf der Basis der Nachträge, die für 2019 ermittelt wurden. Die dargestellten Werte für 2020 sind somit Schätzungen.