Dem Baby-Boom auf der Spur: Warum leben in Zürich immer mehr kleine Kinder?
2. März 2016 - Klemens Rosin
In der Stadt Zürich leben immer mehr kleine Kinder: Ende 2015 wohnten 29 371 Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren in Zürich; das sind 38 Prozent mehr als im Jahr 2000. In der gleichen Zeit ist die Gesamtbevölkerung der Stadt bloss um 14 Prozent angestiegen. Die Zunahme bei den kleinen Kindern ist ungefähr seit dem Jahr 2004 zu beobachten (Grafik 1). Welche Gründe führten zu diesem Anstieg? Im Fokus dieser Publikationen stehen die Faktoren, die zu höheren Kinderzahlen in der Stadt Zürich führen.
Geburten überstrahlen Migration: Höchste Geburtenzahl seit 1966
Wie viele 0- bis 6-Jährige Kinder in Zürich wohnen, wird durch die Geburten sowie Todesfälle, Zu- und Wegzüge der Kinder dieses Altersbereichs bestimmt. Die Geburtenzahlen sind in den letzten 15 Jahren markant angestiegen (+45 %; Grafik 2). Im Jahr 2000 waren knapp 3577 Geburten zu verzeichnen; im Jahr 2015 wurden 5191 Kinder mit Wohnsitz in der Stadt Zürich geboren. Das ist die höchste jährliche Geburtenzahl seit dem Jahr 1966. Die Sterbefälle haben bloss marginalen Einfluss auf die Bevölkerungsbilanz der 0- bis 6-Jährigen.
Die Geburt eines Kindes kann Anlass zu einem Umzug in eine grössere Wohnung oder ein Einfamilienhaus geben. Im Zusammenhang mit höheren Immobilienpreisen und Mieten in der Stadt Zürich ist denkbar, dass die ausgeprägte Zunahme der Geburten einen starken Anstieg der Wegzüge der Familien mit Neugeborenen aus der Stadt Zürich bewirkt («Stadtflucht»). Die Realität sieht jedoch anders aus: Die Wegzüge (+11 %) sind im Gegensatz zu den Geburten (+45 %) seit dem Jahr 2000 deutlich geringer angestiegen. Zusätzlich ist bei Zuzügen (+17 %) ebenfalls ein Anstieg zu beobachten. Der Migrationssaldo – Zuzüge minus Wegzüge – ist seit dem Jahr 2000 nahezu unverändert (+3 %), der natürliche Saldo – Geburten minus Sterbefälle –hat sich jedoch mit einer Zunahme von 46 Prozent deutlich vergrössert. Fazit: Die höheren Geburtenzahlen überstrahlen die Migrationsbewegungen, eine durch die Geburten ausgelöste Stadtflucht ist nicht zu beobachten. Offensichtlich bleiben immer mehr Familien mit 0- bis 6-Jährigen Kindern in der Stadt Zürich. Das hat auch mit dem Bau von Familienwohnungen in Neubausiedlungen zu tun.
Mehr Kinder pro Frau und mehr Frauen im gebärfähigen Alter
In der der Stadt Zürich leben immer mehr kleine Kinder, weil die Geburtenzahlen stark anstiegen, ohne dass sich die Migrationsbewegungen substanziell veränderten. Aber warum gibt es mehr Geburten? Wohnen in Zürich mehr Frauen im sogenannt gebärfähigen Alter von 15 bis 49 Jahren? Oder werden pro Frau mehr Kinder geboren?
Die Anzahl Frauen zwischen 15 und 49 Jahren hat sich seit dem Jahr 2000 um 18 Prozent erhöht (Grafik 3). Gleichzeitig ist aber auch die Fertilitätsrate in diesem Altersbereich – definiert als Anzahl Kinder pro tausend Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren – gestiegen. Die Fertilitätsrate war im Jahr 2015 um 23 Prozent höher als bei der Jahrhundertwende. Die Interaktion von Frauen im gebärfähigen Alter und Fertilität führt zu einem Multiplikatoreffekt: Der Anstieg bei der Anzahl Frauen im entsprechenden Alter (+18 %) und Fertilitätsrate (+23 %) bewirkt eine markante Zunahme der Geburtenzahl (+45 %).
Oberstrass: Höhere Fertilität, Escher Wyss: Mehr Frauen im gebärfähigen Alter
In fast allen Stadtquartieren hat sich die Anzahl Geburten von 2000 bis 2015 erhöht. Einzig in den Quartieren Weinegg und Gewerbeschule waren die Geburtenzahlen rückgängig. Die grössten Zunahmen hatten Escher Wyss (+196 %) und Leimbach (+150 %), gefolgt von Albisrieden (+76 %), Affoltern (+76 %), Oberstrass (+72 %) und Saatlen (+70 %) zu verzeichnen (Grafik 4).
Die Gründe sind allerdings je nach Quartier verschieden: In Saatlen und Escher Wyss gibt es wegen neu geschaffenem Wohnraum deutlich mehr Frauen im gebärfähigem Alter als im Jahr 2000; die Fertilitätsrate hat sich jedoch nur geringfügig verändert. Anders sieht es in Ober- und Unterstrass aus: Dort gibt es ähnlich viele 15- bis 49-jährige Frauen wie zur Jahrhundertwende; die Fertilitätsrate hat sich dagegen markant erhöht. Das muss aber nicht nur mit einem gesellschaftlichen Trend zu höheren Kinderzahlen zusammenhängen, sondern kann auch mit der Veränderung der Altersverteilung bei den 15- bis 49-jährigen Frauen zu tun haben. Bei einigen Stadtquartieren kann die Zunahme der Geburtenzahlen sowohl auf mehr 15- bis 49-jährige Frauen als auch eine Erhöhung der Fertilitätsrate zurückgeführt werden. Dieser Effekt kann in Albisrieden, Affoltern und Leimbach beobachtet werden.
Kurz und bündig: Warum leben in Zürich immer mehr kleine Kinder? Die Geburtenzahlen haben sich markant erhöht, ohne dass bei Familien eine Stadtflucht stattfindet. Der Geburten-Boom ist auf einen Multiplikatoreffekt zurückzuführen: Je nach Stadtquartier gibt es mehr Frauen im gebärfähigen Alter und/oder ist eine Erhöhung der Fertilitätsrate zu beobachten.
Glossar
Fertilitätsrate: Anzahl Geburten pro tausend Frauen im gebärfähigen Alter (Englisch: fertility rate; Synonyme: Fruchtbarkeitsziffer, Fruchtbarkeitsrate, altersspezifische Geburtenziffer, altersspezifische Fertilitätsrate).
Gebärfähiges Alter: In der Demographie ist das gebärfähige Alter als der Altersbereich der Frauen vom 15. bis zum 49. Lebensjahr definiert.
Datenquelle
Bevölkerungsregister, Stadt Zürich, Jahre 1993 bis 2015