Zürich: Nicht länger die «Zwingli-Stadt»?
2. Oktober 2012 - Simon Villiger
In der Stadt Zürich ist die römisch-katholische Kirche mit einem Anteil von 30 Prozent an der Gesamtbevölkerung die grösste Religionsgemeinschaft. Die evangelisch-reformierte Kirche hat mit 26 Prozent einen etwas geringeren Anteil. Das war nicht immer so: Mitte des 19. Jahrhunderts war die Stadt Zürich noch fest in den Händen der Protestanten. Andere Religionen waren dazumal bestenfalls geduldet.
Die Zuwanderung in die Stadt Zürich, zuerst aus den katholischen Kantonen der Innerschweiz und aus dem Tessin, nach dem 2. Weltkrieg vermehrt aus Südeuropa, erhöhte den Anteil der Katholikinnen und Katholiken massiv. Seit 1990 ist der Anteil wieder leicht zurückgegangen. Im selben Zeitraum hat sich der Anteil der konfessionslosen Zürcherinnen und Zürcher beinahe verdreifacht; er beträgt aktuell 27 Prozent.
Schon seit längerem sterben jährlich wesentlich mehr reformierte Menschen als getauft werden. Auch in den nächsten Jahren dürfte dies so bleiben: Die reformierte Kirche weist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung einen hohen Anteil von über 80-Jährigen auf. In der katholischen Kirche ist dieser Anteil geringer; als Folge halten sich die katholischen Taufen und Bestattungen beinahe die Waage.
Von der starken Zuwanderung aus Deutschland in den letzten 10 Jahren profitiert die reformierte Landeskirche weniger als die römisch-katholische: Viele Deutsche sind Lutheraner; Menschen aus dem süddeutschen Raum sind vorwiegend katholisch. Ebenfalls überwiegend katholisch sind Zuzügerinnen und Zuzüger aus Italien, Spanien und Portugal.
Seit 2001 sind viele Mitglieder aus der Kirche ausgetreten. Die reformierte und die katholische Kirche sind davon ähnlich stark betroffen, wobei der Anstieg in den letzten zwei Jahren bei der römisch-katholischen Kirche deutlich stärker ausgefallen ist. Letztere bietet als Weltkirche möglicherweise eine grössere Angriffsfläche für weltanschauliche Kritik. Trotzdem ist es auffällig, dass 2010 in der Stadt Zürich beinahe 2000 Personen aus der katholischen Kirche ausgetreten sind; etwa doppelt so viele wie sonst üblich.
Eine mögliche Ursache sind die vielen publik gewordenen Missbrauchsfälle in aller Welt. Ein weiterer Grund für die vielen Austritte dürften die nicht unerheblichen Kirchensteuern sein. Diese sind bei der römisch-katholischen Kirche geringfügig höher als bei der evangelisch-reformierten (11 % gegenüber 10 %).
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Kirchenwesen
In seinen Grundzügen wird das Zürcher Kirchenwesen in Art. 64 der Kantonsverfassung bestimmt. Der Kanton Zürich kennt keine Trennung von Kirche und Staat. Die Kirchen werden vom Kanton beaufsichtigt und erhalten zur Ausübung ihrer Tätigkeiten finanzielle Beiträge. Heute sind drei Religionsgemeinschaften staatlich anerkannt und einander gleichgestellt: Die evangelisch-reformierten, die römisch-katholische und die christkatholische Kirche. Die anerkannten jüdischen Gemeinden besitzen keine öffentlichrechtliche Organisationsform. Sie haben den Status privatrechtlich geregelter Vereine. In bestimmten Bereichen erhalten sie jedoch eine besondere Rechtsstellung gegenüber dem Staat.
Die Strukturerhebung 2010
Die Strukturerhebung ist Teil der neuen Volkszählung. Knapp 40 000 Personen der Stadtzürcher Bevölkerung wurden zu Themen wie Familie, Religion, Sprache und Arbeit befragt. Der Fragebogen konnte schriftlich oder online ausgefüllt werden. Stichtag war der 31. Dezember 2010. Zur Grundgesamtheit der Stichprobe zählen Personen der ständigen Wohnbevölkerung, die mindestens 15 Jahre alt sind und in einem Privathaushalt wohnen.