Wer Grieder sagt, meint Seide – wer Seide sagt, meint beide
Das Archiv der Firma Grieder im Stadtarchiv Zürich
von Marianne Härri
Im Frühling 2006 wurde das Archiv der Firma Grieder, das die Jahre 1889 bis 1975 umfasst, dem Stadtarchiv Zürich übergeben. Das Spektrum dieses äusserst vielseitigen Archivs reicht von biographischen Informationen zu den Firmeninhabern über Inserate, Firmenkataloge, Couturebücher und Modefotos bis hin zu Werbeartikeln und seidenen Menükarten. Das Grieder-Archiv steht im Stadtarchiv Zürich allen Interessierten zur Verfügung. Ein Detailverzeichnis des Bestandes kann online auf der Homepage abgerufen werden.
Damen- und Herrenmode, Accessoires, Parfüms und Kosmetik, eine stilvolle Bar: Die Firma Grieder hat zwar ihr Gesicht im Laufe der Jahre verändert, ihre Schaufenster am Paradeplatz gehören aber seit Jahrzehnten zu den Anziehungspunkten für ein modebewusstes Publikum.
Am Anfang der Grieder’schen Geschichte steht Adolf Grieder: Selfmademan und Unternehmer mit Geschäftssinn und einem Gespür für Stil und Trends. Adolf Grieder eröffnet 1889 sein erstes Geschäftslokal an der Fraumünsterstrasse 8. Dort verkauft er mit vier Angestellten vor allem Seidenstoffe, aber auch Spitzen und Samt. Das Geschäft expandiert schnell und zieht weiter an die Börsenstrasse. Das Angebot wird auf Damen- und Herrenkonfektion ausgeweitet, eine eigene Schneiderei erfüllt die Wünsche der anspruchsvollen Kundschaft.
Aus Adolf Grieders Kleinbetrieb wird innert weniger Jahre eine Firma mit mehreren hundert Angestellten. Allein in den Jahren 1891 bis 1901 verzehnfacht sich der Umsatz und das Ladenlokal an der Börsenstrasse kann den Bedürfnissen nicht mehr genügen. „Was rennt das Volk, was wälzt sich dort, zu dem Paradeplatze fort? Was deuten diese vielen Wagen, die Jumpfern, die Pakete tragen? Es zieht der Seidengrieder aus, zum Peterhof ins neue Haus“. So reimt Grieder 1913 in Inseraten und stimmt damit die Zürcher Kundschaft auf den erneuten Umzug der Firma an den Paradeplatz ein.
Mit dem Neubau am Paradeplatz steht Grieder ein repräsentatives Geschäftshaus zur Verfügung, wo Seidenstoffe und Seidenartikel vom Abendkleid bis zur Krawatte verkauft werden. Die internationale Konkurrenz im Seidengeschäft ist gross, aber dank innovativer Ideen, zum Beispiel dem Crêpe de Chine in 375 verschiedenen Farben, kann sich Grieder als führendes Modegeschäft in Zürich behaupten. Die hauseigenen Modeschauen sind ein gesellschaftliches Ereignis und mit geschickter Werbung und besonderen Ideen wird neue Kundschaft angesprochen. So gründet die Firma 1955 den Seventeen Club, wo Jugendliche in Clubatmosphäre Mode- und Lifestylefragen diskutieren können und ihnen jugendliche Mode, selbstverständlich von Grieder, vorgeführt wird.
Während dreier Generationen liegt die Firma in der Hand der Familie Grieder. 1972 wird das Geschäft an das Genfer Familienunternehmen Brunschwig verkauft. Grieder bleibt unter seinem Namen am Paradeplatz, die Geschäftsleitung hingegen befindet sich nun in Genf.
Dass das Archiv der Firma Grieder vom Stadtarchiv Zürich übernommen werden konnte, ist für alle Beteiligten ein Glücksfall. Rund 30 Laufmeter Unterlagen zur Geschichte des Unternehmens und zur Modegeschichte des 20. Jahrhunderts stehen im Stadtarchiv nun thematisch geordnet, nach konservatorischen Kriterien behandelt und detailliert verzeichnet der interessierten Öffentlichkeit zu Verfügung. Dank solcher Aktenbestände von privater Seite können die Amtsakten eines kommunalen Archivs ergänzt werden. Privatbestände, ob sie nun von Firmen, Vereinen oder Einzelpersonen stammen, erweitern den Blick auf die Vergangenheit und sind unverzichtbare Quellen für die Geschichtsschreibung.