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«Schmieren ist Kunst»

Zu einer neuen Publikation mit Polizei-Fotografien aus dem Stadtarchiv Zürich, und wie diese Bilder ins Archiv gelangten

Philipp Anz, Jules Spinatsch, Viola Zimmermann:
Schmieren / Kleben. Aus dem Archiv KKIII der Stadtpolizei Zürich 1976 – 1989.
Zürich: Edition Patrick Frey 2018

    

Von Anna Pia Maissen

Besprayte Wand "ihr Pöstler! Lest nicht immer unsere Postkarten" an der Seebahnstrasse 89, Post Wiedikon

1976 begann die Stadtpolizei Zürich, eine Kartei unter dem Titel «Schmieren / Kleben» anzulegen. Darin wurden politische Parolen, Farbmalereien, gesprayte Sprüche oder illegale Kunstaktionen, unter anderem von Harald Naegeli, erfasst, die alle den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllten.

Die Polizisten im Einsatz fotografierten die «Schmierereien» und hielten die Taten auf Karteikarten fest. Im Bestand, der heute im Stadtarchiv Zürich aufbewahrt wird, finden sich gegen 2'000 Schwarz-Weiss-Fotos aus den Jahren 1976 bis 1981; dazu gehören geografisch-alphabetisch geordnete Karteikarten, die bis 1989 reichen.

Diese Tatort-Fotografien sind ein Teil des Bestandes des Kriminalkommissariats III (KK III), der Staatsschutz-Abteilung der Stadtpolizei Zürich, die im Zusammenhang mit der so genannten «Fichenaffäre» bekannt wurde.

1989 deckte eine parlamentarische Untersuchungskommission auf, dass die Bundesanwaltschaft Hunderttausende politisch aktive Bürgerinnen und Bürger überwacht hatte, was schweizweit einen Sturm der Entrüstung auslöste und dazu führte, dass auch die Kantons- und Gemeindeparlamente ihre eigenen Polizei-Institutionen überprüften. 1990 setzte der Gemeinderat der Stadt Zürich eine eigene Untersuchungskommission (PUK) ein, welche in einem Bericht das ganze Ausmass der Tätigkeit des Zürcher Staatsschutzes darlegte. Es zeigte sich, dass das KK III bis 1990 geschätzte 35‘000 Personen und 5‘000 Organisationen registriert hatte. Daraufhin beschlossen der Stadtrat und der Gemeinderat, einen unabhängigen, weisungsungebundenen Beauftragten für die Offenlegung der städtischen Staatsschutzakten einzusetzen, der die Gesuche von Personen und von Vereinigungen behandeln sollte, welche Einsicht in ihre Akten nehmen wollten. Damit wurde der gesamte Bestand der Stadtpolizei definitiv entzogen.

Nun stellte sich die Frage, was mit dem umfangreichen Aktenmaterial des Staatsschutzes definitiv geschehen solle. Die Meinungen darüber gingen stark auseinander, und es gab heftige Diskussionen darüber in der Stadtverwaltung und in den Medien, ob die Unterlagen vernichtet oder dem Archiv übergeben werden sollten. Der Stadtrat hatte bereits im Februar 1990 im Einvernehmen mit dem Regierungsrat beschlossen, diese Akten sofort zu vernichten.

Die Neue Zürcher Zeitung titelte im März 1990 scharf mit «Nach dem Fichen- ein Vernichtungsskandal». Im Artikel setzte sich der Leiter des Archivs für Zeitgeschichte, Klaus Urner, für eine lückenlose Aufarbeitung des Fichenskandals ein:

«Eine kontroverse Vergangenheit lässt sich nicht mit Tabularasa-Parolen in den Orkus ewiger Stille kippen».

Solche Vernichtungsaktionen führten zu Misstrauen, seien historisch und politisch verantwortungslos und würden lediglich das Versagen der Behörden aufzeigen.

Skulptur «Schiff mit 8 Segeln» von Wilfrid Moser, Überbauung Dorflinde Oerlikon, Schwamendingerstrasse 29. Das Werk steht seit der Sanierung des Komplexes 2011 nicht mehr dort (Dieses Bild findet sich nicht in der Publikation)

Nach den Wahlen im Frühjahr 1990 machte der Stadtrat aber eine Kehrtwendung, was nicht zuletzt daran lag, dass der SP-Vertreter Robert Neukomm das Polizeidepartement übernahm. Im Mai desselben Jahres beschloss der Gemeinderat die Einsetzung der PUK.

Die Stadtarchivare Werner G. Zimmermann und sein Nachfolger Fritz Lendenmann setzten sich bereits früh für die Überführung der Akten an das Archiv ein.

Die Archivare argumentierten damit, dass die Aufgabe der öffentlichen Archive nicht nur eine historische sei, sondern auch die Wahrung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger.

Diese liesse sich zeitlich nicht durch eine Vernichtungsaktion limitieren, denn die Betroffenen müssten jederzeit ihre Ansprüche auf Akteneinsicht geltend machen können. Neben den juristisch-administrativen Bedenken (fehlende Beweismittel, keine Nachvollziehbarkeit der Verwaltungstätigkeit) führten sie auch historisch-wissenschaftliche Argumente an, da mit der Vernichtung dieser wichtigen Quellen die gesamte Forschung eine unentbehrliche Quellengrundlage verliere.

Auch im Kanton wiesen Parlamentarier darauf hin, dass diese Akten für die Erforschung der Arbeit des Staatsschutzes unabdingbar im Staatsarchiv deponiert werden müssten.

In Zusammenarbeit mit dem von Stadtrat eingesetzten Fichendelegierten Marco Mona, dem Staatsarchiv des Kantons Zürich und – hinter den Kulissen – der tatkräftigen Unterstützung des Bundesarchivs gelang es dem Stadtarchiv Zürich schliesslich, die Archivierung der Staatsschutzakten im Stadtarchiv Zürich durchzusetzen.

Mit Stadtratsbeschluss Nr. 2026 vom 16. Juni 1993 wurden die Staatsschutzakten der Stadtpolizei Zürich vollumfänglich im Stadtarchiv deponiert und in dessen Verantwortung übertragen.

Ein Rückgriff der Stadtpolizei auf diese Akten wurde während der Sperrfrist von 35 Jahren ausdrücklich verboten.

Mit den Fichen und Akten zu den observierten Personen und Organisationen kamen auch andere Unterlagen ins Stadtarchiv, beispielsweise eine hervorragende Sammlung von Flugblättern aus der Zeit der Jugendbewegung der Achtziger Jahre. Und natürlich der bereits erwähnte Teilbestand «Schmieren / Kleben», der sich mit Sachbeschädigungen an Häuserwänden und weiterem öffentlichem und privatem Stadt-Mobiliar durch Sprayereien oder Klebeaktionen beschäftigt.

Sprayfigur am Verwaltungsgebäude Strassburgstrasse 9/11

Der Journalist und Autor Philipp Anz, der Fotograf und Künstler Jules Spinatsch und die visuelle Gestalterin Viola Zimmermann haben sich nun mit Enthusiasmus und Engagement im Stadtarchiv Zürich auf diesen Bestand geworfen mit dem Ziel, die Fotografien zu publizieren. Dieses Vorhaben war aber nicht ganz einfach. So, wie die Stadtpolizei den Bestand ans Stadtarchiv abgeliefert hatte, waren die Fotografien von Karteikarten mit den alphabetisch aufgeführten Standorten der Tatbestände begleitet, aber es existierte keine direkte Verbindung von den Karten zu den Fotografien. Dieses fehlende Zwischenstück musste erst einmal hergestellt werden. In aufwändiger Kleinarbeit ordneten die Autor/innen die ausgewählten Aufnahmen über die Notizen in den Karteikarten den geografischen Standorten zu.

Sprayspruch "Beton macht immer no chrank" an der Kantonsschule Freudenberg, Gutenbergstrasse 15

In der Publikation «Schmieren / Kleben» zeigen nun Philipp Anz, Jules Spinatsch und Viola Zimmermann 700 Fotos aus dieser Sammlung der Stadtpolizei und sämtliche Karteikarten, die diese dazu angelegt hatte. Ein Glossar erklärt die Zusammenhänge von Parolen, Symbolen und Personen. Wie der Verlag in seiner Pressemitteilung schreibt, handelt es sich um ein einmaliges Dokument der Stadt Zürich jener Jahre, von politischen Strömungen wie der Frauen- oder Antiatombewegung angefangen, über die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus, internationalen Konflikten bis hin zu Subkulturen und Aktionen im öffentlichen Raum.

«Zudem lässt sich verfolgen, wie sich die Spannung zwischen der Stadt und ihren Jugendlichen aufbaute und schliesslich 1980 im Opernhaus-Krawall und den darauffolgenden Jugendunruhen entlud, die Zürich nachhaltig verändert haben».

Das Vorwort dazu schrieb der aktuelle Vorsteher des Sicherheitsdepartements der Stadt Zürich, Stadtrat Richard Wolff.

Das Buch

Philipp Anz, Jules Spinatsch, Viola Zimmermann
Schmieren / Kleben.
Aus dem Archiv KKIII der Stadtpolizei Zürich 1976 – 1989

Gestaltung:
Viola Zimmermann mit Jules Spinatsch und Eva Wolf

Mit Texten von:
Philipp Anz, Jörg Scheller, Richard Wolff

592 Seiten, 700 Abbildungen

Die Buchpräsentation

Donnerstag. 26. April 2018, 20.00 Uhr

Kulturhaus Kosmos (Klub), Lagerstrasse 104, 8004 Zürich

Flyer Buchpräsentation

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