Else Lasker-Schüler im Zürcher Exil
«Zu Gast beim Stadtarchiv Zürich»: Ute Kröger über Else Lasker-Schüler
Else Lasker-Schüler (1869-1945) kommt 1917 erstmals nach Zürich. Die in Deutschland längst berühmte Dichterin ist aber nicht auf Lesereise, um sich in der Schweiz bekannt zu machen, sondern sie besucht ihren gerade achtzehn Jahre alt gewordenen Sohn, der sich im Sanatorium Kilchberg aufhält. Der Chef des Sanatoriums bewahrt ihn wie auch andere Kriegsflüchtlinge mit gefälschten Attesten vor der Kriegshölle.
Bis zum Tod ihrer Sohnes 1927 wird sie immer wieder bei oder mit ihm längere Zeit in der Schweiz, meist in Zürich, weilen und sich in diesen zehn Jahren ein weites Netzwerk von treuen Freunden, Bewunderern und Helfern schaffen, auf das sie dann als Emigrantin nach 1933 zählen kann.
Die Dichterin lebte in ihrer eigenen Welt, weitab von jeglicher Realität. Die Regeln ihres Lebens gab sie sich selbst. Fatal war dies jedoch im Zürcher Exil. Als «Verscheuchte» ist sie in die Exilliteratur eingegangen, verscheucht 1939 von der Fremdenpolizei.
Die Verscheuchte
Es ist der Tag im Nebel völlig eingehüllt,
Entseelt begegnen alle Welten sich –
Kaum hingezeichnet wie auf einem Schattenbild.
Wie lange war kein Herz zu meinem mild ….
Die Welt erkaltete, der Mensch verblich.
- Komm bete mit mir – denn Gott tröstet mich.
Wo weilt der Odem, der aus meinem Leben wich?
Ich streife heimatlos zusammen mit dem Wild
Durch bleiche Zeiten träumend – ja ich liebte dich ….
Wo soll ich hin, wenn kalt der Nordwind brüllt?
- Die scheuen Tiere aus der Landschaft wagen sich
Und ich vor deine Tür, ein Bündel Wegerich.
Bald haben Thränen alle Himmel weggespühlt,
an deren Kelchen Dichter ihren Durst gestillt –
Auch du und ich.
(Zit. nach dem handschriftlich korrigierten Typoskript von: Mein blaues Klavier. Neue Gedichte. 1943.)
Das Stadtarchiv Zürich beherbergt unter der Signatur V.E.c. 45.:1.2.443. die Akten der Fremdenpolizei zu Else Lasker-Schüler, dazu die Meldekarten der Einwohner- und Fremdenkontrolle der Stadt Zürich seit Januar 1918, als sie sich erstmals anmeldete (Vermerk auf der Karte: «St. Mitte Okt. 17 da»).
Eine genauere Lektüre dieser Chronologie der Verweigerung von Einreise- und Aufenthaltsbewilligungen zeigt eine Emigrantin, die sich um Regeln futiert, nach Belieben Zürich verlässt und zurückkommt, dazu «Erwerbstätigkeiten» nachgeht – für sie eine Notwenigkeit, um nicht nur auf Unterstützung angewiesen zu sein, für die Fremdenpolizei hingegen ein Verstoss gegen Gesetz und Auflagen. Auch scheinen sich die Beamten persönlich düpiert gefühlt zu haben. So musste sie 1936 ausreisen, wenigstens für ein paar Tage, um danach ein neues Gesuch um Aufenthaltsbewilligung stellen zu können. Sie aber war nach ein paar Stunden wieder da, was sie bei der erneuten Anmeldung auch treuherzig berichtete, der Beamte aber mit der Aktennotiz quittierte: «Diesem Unfug kann natürlich nur begegnet werden durch Verhängung einer Einreisesperre.» Und im Sommer 1937 kehrte sie trotz nun verhängter zweijähriger Einreisesperre ohne gültige Papiere aus Palästina zurück. Sie hatte es dort nicht mehr ausgehalten und Bundesrat Albert Meyer auf ihren Bittbrief, vorzeitig zurückkommen zu dürfen, nicht reagiert.
Den Vermerk, erklärte sie der städtischen Fremdenpolizei, habe sie übersehen.
Es ist die städtische Fremdenpolizei, die – gegen Entscheide der kantonalen und eidgenössischen Fremdenpolizei – unerbittlich auf Ausreise und Einreisesperre besteht. Warum? Sie sah eine Emigrantin, die sich nicht nur an keinerlei Auflagen, Vorschriften hielt und gegen Gesetze verstiess, sondern auch widersprüchliche Angaben machte, nicht recht erklären konnte, wovon sie lebte, der städtischen Fürsorge zur Last zu fallen drohte, die konfus wirkte, gelegentlich auch anmassend, sich durch seltsames Gebaren und unbürgerliches Aussehen suspekt machte. Und dass prominente Juristen mit hieb- und stichfesten Rekursen immer wieder die Wegweisung verhinderten, liess sie vollends widersetzlich, vor allem unbequem erscheinen.
Kurz: Die Bürokraten der städtischen Fremdenpolizei sahen sich bürgerlich unterstützter Anarchie ausgesetzt.
Am 30. Januar 1939 bedankte sich die Dichterin beim «Herrn Direktor (Passzimmer) Zimmer 41 (Fremdenpolizei)» mit einer Blumenpostkarte. Ihre Aufenthaltsbewilligung war trotz terminierter Ausreise noch einmal verlängert worden. Wie jener «Herr Direktor» ihren nicht unbedingt amtsaffinen Dank mit «den lila Margaritten» aufgefasst hat, ist leider nicht bekannt.
In jenen Jahren sass in einem anderen Amtszimmer der kantonalen Fremdenpolizei Elisabeth Birsinger, zuständig unter anderem für die Emigrantinnen und Emigranten im Schauspielhaus-Ensemble und deren «Engel». «Bei der Polizei», erklärte sie in einem Interview in der «Tat» im Zusammenhang mit ihrem 40jährigen Dienstjubiläum im Juni 1958, «muss man etwas fürs Herz haben. Wir verstanden die Situation damals Anfang der dreissiger Jahre noch nicht so recht, wir von der Fremdenpolizei. Wir ahnten nicht, dass die geflüchteten Künstler an Leib und Seele bedroht waren. Aber wer verstand schon damals die unheimliche Hitlerbedrohung?».
Else Lasker-Schüler hatte leider nicht das Glück, einem «Engel der Emigranten» gegenüber zu sitzen, nicht einmal jemandem, der einer wunderlich scheinenden älteren Dame, ein Auge zudrückend, von seinem Ermessensspielraum Gebrauch machend, grossherzig den richtigen Stempel aufs Formular setzte.