Hexenverfolgung auf Zürcher Hoheitsgebiet
Zwischen 1487 und 1701 wurden im alten Stadtstaat Zürich über 80 Frauen und Männer in Hexenprozessen zum Tode verurteilt. Abgesehen von einer Stadtzürcher Bürgerin stammten alle Opfer aus Landgemeinden. Die unschuldigen Personen wurden im Wellenberg-Turm in der Limmat gefoltert und nach erzwungenem Geständnis hingerichtet.
Von Barbara Kieser, Stab Stadtpräsidentin
Der letzte Zürcher Hexenprozess fand im Jahr 1701 statt. Sieben Frauen und einem Mann aus Wasterkingen wurde von anderen Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern Schadenszauber vorgeworfen: Ein Ochse will den Pflug nicht mehr ziehen, die Milch wird nicht zu Rahm, eine Bäuerin hat die Haare voller Läuse, eine andere hat Bauchschmerzen, einem Kind schwillt das Bein an, ein Stierkalb stirbt. Sie wurden verhaftet, in den Gefängnisturm Wellenberg überführt und aufs Schwerste gefoltert, bis sie gestanden, sich mit dem Teufel eingelassen zu haben. Eine der Frauen wurde bei lebendigem Leibe verbrannt, die übrigen Angeklagten wurden enthauptet und danach verbrannt.
Die Todesurteile für die sieben Personen aus Wasterkingen bilden das Ende einer dunklen Epoche in der Geschichte des Zürcher Stadtstaats, der geografisch zu grossen Teilen dem heutigen Kanton entspricht. Über 80 Personen wurden im Zuge der Hexenverfolgung hingerichtet, noch höher lag die Anzahl der Prozesse, die ohne Todesurteil endeten. Zürich stand damit nicht alleine da. In ganz Europa fanden in der frühen Neuzeit schätzungsweise 110 000 Hexenprozesse statt, rund 10 000 davon in der Schweiz. Zwischen 40 000 und 60 000 Personen wurden in Europa insgesamt hingerichtet, die überwältigende Mehrheit davon waren Frauen.
Viele Gründe für Anschuldigungen
Den betroffenen Personen wurden wie den Angeklagten aus Wasterkingen die wunderlichsten Dinge vorgeworfen: Sie hätten Tiere oder Menschen gelähmt oder erblinden lassen, sie hätten Kontrolle über das Wetter, sie könnten sich in Tiere verwandeln und auf Stecken reiten oder sie hätten an Hexensabbaten teilgenommen. Oft reichte es schon, wenn eine Person sich in der Heilkunde auskannte, speziell aussah oder sich «ungewöhnlich» verhielt.
Die Vorwürfe stammten in der Regel aus der Dorfgemeinschaft und waren häufig auf nachbarschaftliche Konflikte zurückzuführen, auf Misstrauen, Neid, aber auch auf wirtschaftliche Not und Angst. So vermuten Forscherinnen und Forscher, dass die «kleine Eiszeit», die zu Missernten und Hungersnöten führte, zur markanten Zunahme der Hexenprozesse um 1600 beigetragen hatte. In vielen Fällen war eine Anschuldigung aber auch ein bequemes Mittel, um ein Problem aus der Welt zu schaffen, etwa ausstehende Schuldzahlungen (wie z. B. im Fall von Anna Suter aus Meilen, die Schulden ihres verstorbenen Manns einforderte), missliebige Konkurrenz (wie z. B. im Fall von Margreth Bucher aus Oberwil bei Dägerlen, die als Heilerin vermutlich dem Dorfarzt in die Quere kam) oder ein uneheliches Verhältnis (wie z. B. im Falle von Anna Göldin, der «letzten Hexe Europas»).
Folter als Mittel zur «Wahrheitsfindung»
Bis die Gerüchte zu einer Verhaftung führten, konnte es Jahre dauern. War es dann aber so weit, gab es für die Frauen und Männer wenig Hoffnung. Sie wurden von den staatlichen Behörden in den Wellenberg-Turm gesperrt und der «Kleine Rat» übernahm als Malefizrat, als Strafgericht. Der Kleine Rat, der gleichzeitig als Regierung, Parlament und Gerichtshof des Stadtstaats Zürich fungierte, setzte sich aus 48 Ratsherren aus den Zünften und der Gesellschaft zur Constaffel (der früheren Zürcher Oberschicht) zusammen. Der Rat teilte sich auf zwei sich halbjährlich abwechselnde Ratsgruppen auf. Zwei Mitglieder der aktuell amtierenden Ratsgruppe wurden jeweils als Untersuchungsrichter eingesetzt. Diese führten die Verhöre durch, unterstützt von einem Foltermeister, der die Angeklagten im Wellenturm grausamsten Misshandlungen unterzog, etwa der Streckfolter mit angehängten Gewichten. Die Folter war damals ein übliches gerichtliches Mittel zur «Wahrheitsfindung». Ziel war ein Geständnis der Angeklagten, dass sie sich körperlich mit dem Teufel eingelassen hatten – denn erst darauf stand die Todesstrafe durch Verbrennen. Die ursprünglich geäusserten Vorwürfe spielten nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Folter führte dazu, dass die Angeklagten noch die irrwitzigsten Vorwürfe gestanden und in der Not weitere unschuldige Personen beschuldigten. Sie alle wurden unschuldig zum Tode verurteilt.
Die Kirche mischte mit
Im damaligen Rechtsverständnis diente die Folter dazu, die Angeklagten mit Gott zu versöhnen. Ein Schuldbekenntnis war die Voraussetzung für die Vergebung der Sünden. Viele Theologen dieser Zeit, katholische und reformierte, unterstützten die Hexenprozesse denn auch. Als Leitfaden mag den Richtern der sogenannte «Hexenhammer» des Dominikaners und Theologen Heinrich Kramers gedient haben, eine eigentliche Anleitung für die Hexenverfolgung. Der Teufelsglaube der Kirche sowie die Vorstellung, dass man von Gott abfallen kann, bildeten die Basis für die Hexenverfolgung. Zürcher Pfarrer spielten auch bei den Hexenprozessen selbst eine Rolle, indem sie die Angeklagten besuchten und sie dabei zu Geständnissen drängten – eine Rolle, die der reformierte Zürcher Kirchenrat 2001 verurteilt hat.
Agatha Studler, ein untypisches Opfer
Die Verurteilten wurden bei lebendigem Leibe auf einer Kiesbank der Sihl verbrannt, in späteren Jahren wurden sie vermehrt gnadenhalber zuvor enthauptet. Angeklagte, die dem Vorwurf der Teufelsbuhlschaft entgehen konnten, wurden in der Limmat ertränkt. So z. B. auch Agatha Studler, das einzige Stadtzürcher Opfer der Hexenverfolgung. Agatha Studler war eine sehr wohlhabende Bürgerin, der das Haus zur Meerkatze an der Unteren Zäune 1 (heutiges Chamhaus) gehörte. Damit unterscheidet sie sich von den meisten Opfern, die oft mittellos waren. Sie lebte ein für Frauen zur damaligen Zeit unübliches, selbstständiges Leben, war in dritter Ehe mit einem deutlich jüngeren Mann verheiratet und bestens vernetzt in der Zürcher Oberschicht. Sie wurde wegen ihres «gottlosen, unchristlichen und lasterhaften» Lebens 1546 zum Tode verurteilt, nachdem sie sieben Jahre zuvor schon einmal angeklagt und dank ihren guten Beziehungen freigesprochen worden war. Konkret warf man ihr unter anderem vor, ihren zweiten Ehemann Adam Fry «unter dem Gürtel gelähmt» zu haben – obwohl dieser in jener Zeit mehrere uneheliche Kinder zeugte. Auf ihr «Vergehen» hätte auch der Feuertod stehen können. Offenbar verteidigte sich Agatha Studler aber so geschickt, dass ihr dieser wie auch vorangehende Streckfolter erspart blieben.
Unüblich war auch, dass bei ihrer Verurteilung die Namen der Geschädigten nicht verlesen wurden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Stadt Zürich damals wenige tausend, eng untereinander verwandte und verschwägerte EinwohnerInnen zählte. Niemand wollte mit Hexerei in Verbindung gebracht werden, selbst als Geschädigte nicht. Auf dieses enge städtische Beziehungsgeflecht ist es wohl generell zurückzuführen, dass neben Agatha Studler kein weiteres Stadtzürcher Opfer der Hexenverfolgung bekannt ist.
Quellen:
Meili David: Die Hexen von Wasterkingen. Magie und Lebensform in einem Dorf des frühen 18. Jahrhunderts. Zürich 1979.
Sigg Otto: Hexenprozesse mit Todesurteil. Justizmorde der Zunftstadt Zürich. Eigenverlag 2012.
Sigg Otto: Hexenverfolgung in Meilen mit Todesurteil. Anwendung des Hexenhammers im Alten Zürich. Erschienen im Heimatbuch Meilen 2015.
Sigg Otto: Hexenmorde Zürichs und auf Zürcher Gebiet. Nachträge und Ergänzungen zur Dokumentation 2012. Eigenverlag 2019.
Stadtrundgang:
Spannende Einblicke zum Thema bietet der Frauenstadtrundgang «Bezichtigt, gefoltert, hingerichtet. Hexenverfolgung in Zürich».
Weitere Informationen über den Verein "Frauenstadtrundgang" finden Sie hier