Bilder aus dem Erkennungsdienst der Stadtpolizei Zürich
Anmerkungen zur Geschichte des Dienstes
von Nicola Behrens (Stadtarchiv Zürich)
Der Erkennungsdienst ist ein Fachkommissariat der Stadtpolizei Zürich. Wann für diese Aufgaben eine eigene Gruppe gebildet wurde, ist jedoch kaum mehr feststellbar. Die erste Fotografie (Negativnummer 1) in den Alben dieses Dienstes datiert aus dem Jahr 1920. Ob damit erst 1920 mit dem Einsatz einer Fotokamera zur Dokumentation von Unfällen und Verbrechen begonnen wurde oder ob dies einfach der Beginn der systematischen Erfassung dieser Fotografien darstellt und ob dies überhaupt in irgendeinen Zusammenhang mit der Errichtung einer Dienststelle steht, ist völlig offen. Es findet sich nämlich aus dieser Zeit weder ein Stadtratsbeschluss noch zumindest ein Beschluss des Polizeivorstandes, der diesen Anfang begründen, erklären oder wenigstens erwähnen würde. Auch in den Geschäftsberichten wird gar nichts in diese Richtung aufgezeichnet.
Im Bestand selbst findet sich ein Ordner mit dem Titel «Weisungen». In dieser Sammlung taucht als wichtigste gesetzgeberische Quelle eine Verordnung des Regierungsrates auf vom Dezember 1960 über die erkennungsdienstliche Behandlung von Personen. Diese Verordnung stützt sich ihrerseits ab auf § 23 Abs. 1 der Strafprozessordnung. In dieser Verordnung werden die Rahmenbedingungen bestimmt, unter welchen die Kriminalpolizei des Kantons und der Gemeinden zur Vornahme von erkennungsdienstlichen Behandlungen von Personen berechtigt ist. Ferner regelt sie im wesentlichen, welche Massnahmen zulässig sind, auf welchen Personenkreis diese Massnahmen anzuwenden sind und wie mit Material umzugehen ist, bei dem sich herausstellt, dass die rechtlichen Voraussetzungen zur Behandlung oder Registrierung dafür fehlen oder dahingefallen sind. Im letzten Paragrafen dieser Verordnung wird das Reglement der kantonalen Polizeidirektion über den polizeilichen Erkennungsdienst aus dem Jahre 1924 ausser Kraft gesetzt, das seinerseits keine Vorgänger hatte. Die Systematisierung des kantonalen Erkennungsdienstes und vielleicht auch die Bildung einer städtischen Erkennungsdienstgruppe dürften damit tatsächlich in die 1920er Jahre fallen.
In der Stadtpolizei wurden die wesentlichen Entscheide über den Erkennungsdienst in Dienstanweisungen getroffen oder über Merkblätter kommuniziert. Es ist ein Inhaltsverzeichnis einer Sammlung von 131 Dienstanweisungen zwischen 1933 und 1956 überliefert. Sehr viele dieser Bestimmungen sind rein technischer Natur und befassen sich mit den im Erkennungsdienst verwendeten Gerätschaften. Aus einigen dieser Anweisungen lassen sich jedoch Schlüsse ziehen über die Organisation des Dienstes. So erwähnt etwa die Dienstanweisung Nr. 2 vom 12. Januar 1934, die sich mit Urlauben, Dispensen und Ferien befasst, dass die Funktionäre um diese Zeit herum von der Uniformpolizei zur Kriminalpolizei umgeteilt worden sind.
Auf den 1. Januar 1952 wurde gemäss einem Dienstbefehl der Erkennungsdienst reorganisiert. Er wurde in zwei Fachgruppen aufgeteilt, nämlich die Verkehrsgruppe mit acht Mitgliedern und die Kriminalgruppe mit vier Mitgliedern. Mit dem Chef und seinem Stellvertreter sowie dem aus zwei Personen bestehenden wissenschaftlichen Dienst umfasste der Erkennungsdienst damit 16 Polizeibeamte. Für das Stadtarchiv erklärt sich damit auch, weswegen von dieser Zeit die beiden Fotokategorien Verkehrsunfälle (VU) und Tatbestandsbilder (TB) von Kriminalfällen voneinander getrennt abgelegt wurden.
1971 einigten sich Stadt und Kanton Zürich über die (räumliche) Zusammenlegung der Kriminalpolizei und des Staatsschutzes. Davon war auch der Erkennungsdienst betroffen, indem aus der Kriminalgruppe nun der gemeinsame Kriminalfotodienst wurde. Es wurde ein gemeinsamer Erkennungsdienst geschaffen und die Stadt führte ihren Unfalldienst selbst weiter.
1968 veröffentliche Kriminalkommissär Hans Witschi das Buch «100 Jahre Kriminalpolizei der Stadt Zürich – Kriminalpolizei heute – 50 Jahre Verein der Detektive der Stadtpolizei Zürich». Zum Artikel von Walter Hubatka «Der Detektiv im Dienste der Kriminalpolizei» auf den Seiten 67 und folgende ist ein Organigramm der Kriminalpolizei, Detektivabteilung abgebildet. Das Organigramm zeigt neben den drei Kriminalkommissariaten I−III auch eine Abteilung Kriminaltechnische Dienste mit dem Wissenschaftlichen Dienst und der Lehrmittelsammlung, dem Erkennungsdienst und der Beratungsstelle für Verbrechensverhütung. Der Artikel «Aus der Tagesarbeit eines Detektivs» von Gottlieb Baumeler schlüsselt dann den Mannschaftsbestand der Stadtpolizei Zürich von 227 Mann auf und zeigt den Erkennungsdienst mit 21 Mann als viertgrösstes Fachkommissariat nach den drei Kriminalkommissariaten I−III, die 89 resp. 32 resp. 48 Mann zählten. Der Dienst ist damit also seit 1951ungefähr gleich gross geblieben.
Zu den Aufgaben des Dienstes
Im selben Buch beschreibt Rudolf Feuerstein den Erkennungsdienst. Diese Darstellung geht also zurück in die Zeit, aus der die überlieferten Akten stammen und ist deshalb für das Verständnis des Bestandes interessant, unabhängig davon, wie sich dieser Dienst später entwickelt hat.
Der Erkennungsdienst wurde zur Erledigung kriminaltechnischer Aufgaben geschaffen. Innerhalb dieses Erkennungsdienstes fand eine starke Spezialisierung statt, so dass in den späten 1940er Jahren die Gruppe des heute weltweit renommierten Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei ausgegliedert wurde. Seither stehe der Erkennungsdienst, wie Feuerstein schreibt, «leicht im Schatten des naturgemäss etwas attraktiveren WD». Der Erkennungsdienst ist bei schweren Verkehrs- und Betriebsunfällen, Kriminalfällen, Selbstmorden und aussergewöhnlichen Todesfällen für die Suche, Sicherstellung und Auswertung der Spuren zuständig. Aber auch alle Personen, die, wie Feuerstein schön umschreibt, «bei uns eingebracht» werden, die also verhaftet werden, werden erkennungsdienstlich behandelt: Sie werden fotografiert und ihre Fingerabdrücke werden genommen. Da man sich im Erkennungsdienst ein grosses Know-How über Spurensuche und Spurensicherung angeeignet hatte, übernahm er auch eine wichtige Rolle bei der Ausbildung und Instruktion angehender Polizisten. Diese lernten beim Erkennungsdienst, welche Massnahmen bei Verkehrsunfällen u. ä. zu ergreifen und wie solche Vorfälle zeichnerisch oder fotografisch aufzunehmen sind.
Zur Ablieferung des Bestandes
Die Kontaktaufnahme zwischen dem Stadtarchiv und Polizeidepartement betreffend dem Unfalltechnischen Dienst, der Nachfolgeorganisation des Erkennungsdienstes, fand im Oktober 2006 statt. Anlässlich einer Besprechung im August 2006 mit dem damaligen Chef des Unfalltechnischen Dienstes, Herrn Hans Sonderegger, konnte ein Augenschein im Dachgeschoss des Amtshauses 2 genommen werden, der in eine Aktenübernahme mündete, die im Oktober 2007 stattfand. Das Kernstück der abgelieferten Archivalien waren eindeutig die Fotografien. Einerseits handelte es sich um 129 Fotoalben aus der Zeit zwischen 1920 und 1980 zu Tatbestandsaufnahmen und Verkehrsunfällen, anderseits um gegen 50 Schachteln mit Diapositiven oder Glasplattennegativen. Daneben wurden dem Stadtarchiv etwas Korrespondenz, Unfallberichte, polizeiinterne Lehrmittel, Drucksachen und Pläne von etwas mehr als 20 Laufmetern Umfang überlassen.
Die Zweckänderung der Fotografien: von Beweisunterlagen zu Archivalien
Anhand der Fotografien des Erkennungsdienstes der Stadtpolizei lässt sich exemplarisch darstellen, wie Aktenstücke (hier Fotografien) mit der Ablieferung ins Archiv ihren bisherigen verlieren und einen neuen Zweck erhalten. Der Erkennungsdienst der Stadtpolizei Zürich hat Bilder angefertigt und gesammelt, um Beweise zu sichern. Auf Grund der Fotografien sollten in einer allfälligen späteren strafrechtlichen Untersuchung oder einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung Aussagen gemacht werden können. So sollten Bilder etwa den Tathergang eines Verkehrsunfalles erhellen oder eine Indizienkette unterstützen oder erschüttern, beispielsweise dass etwa ein aussergewöhnlicher Todesfall auf einen Unfall oder auf Selbstmord zurückzuführen sei und Dritteinwirkungen auszuschliessen seien. Diese Beweisunterlagen wurden also seinerseits von den Strafuntersuchungsbehörden und den Gerichten zur Tatbestandsfeststellung herangezogen. In der Zwischenzeit sind die Urteile jedoch gesprochen, die Rechtsmittelfristen abgelaufen, die Entscheidungen rechtskräftig und die Fälle verjährt. Damit hat sich der Zweck der Bilder, für den sie geschaffen wurden, erschöpft. Dass man diese Bilder nicht vernichtet hat, liegt daran, dass wir sie heute als wertvoll ansehen. Der Wert liegt jedoch an einem ganz anderen Ort als dem ursprünglichen. Bilder von Verkehrsunfällen sehen wir beispielsweise gerne an, weil sie spektakulär sein können.
Die Fotografien des Erkennungsdienstes zeigen aber nicht nur spektakuläre Unfälle, manche dokumentieren nebenbei auch bauliche Entwicklungen der Stadt Zürich. Die von den Architekten Gebrüder Pfister in den 1930er Jahren entworfenen Amtshäusern der kantonalen Verwaltung an der Walche machen heute eher einen eintönigen und langweiligen Eindruck. Sieht man sie aber mit den Oldtimern vor dem Hauptbahnhof im Kontext ihrer Erbauung, so sind es faszinierend schöne und moderne Gebäude.
Auch das von Stadtbaumeister Hermann Herter entworfene Bahnhofsgebäude des Bahnhofs Wiedikon aus den 1920er Jahren wirkt kühn, ja cool, wenn man es so stehen sieht inmitten der Bauern- und Landhäuser von Wiedikon.
Verkehrsunfall vom 10. Juni 1934 am Bahnhof Wiedikon(V.E.c.72.:1.2.1.1934.2589.)
Vollends begeistern mich die Bauten der Gebrüder Pfister aus der späten 1920er Jahren entlang der Kornhausbrücke am Limmatplatz. Sie bilden mit den später gebauten Häusern auf der gegenüberliegenden Strassenseite der Kornhausstrasse ein fantastisches Ensemble. Heute ist der ganze Platz von Bäumen zugewachsen und die Insel unter einem klobigen Deckel mit einer ganzen Reihe von Einrichtungen für die Tram-Kundinnen und -Kunden überstellt. Sie verdecken, wie das Bilder deutlich zeigt, eine grossartige Kulisse.
Eine weitere Kategorie von eher frühen Aufnahmen zeigen zwar auch Unfallfahrzeuge, doch wirken diese schon fast als Zeugen vergangener Lebenswelten. Das früher noch offiziell Taxometerfahrzeug, genannte Taxi aus dem Jahre 1928 zeigt klar die Standesunterschiede zwischen dem Fahrer, der unter freiem Himmel zu sitzen hat, und der Kundschaft, für die für ihre Fahrt nicht nur eine Gästekabine zur Verfügung steht, sondern dahinter auch noch die Cabriolet-Version mit aufklappbarem Verdeck.
Aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges ist mir ein wunderschöner Traktor aufgefallen, mit den in der damaligen Krisenzeit üblichen Holzvergasern, den beiden Kübeln zwischen den Vorder- und Hinterrädern. Und auch hier ist noch klar aus der Kleidung der mitfahrenden Personen ablesbar, wer Bauer und wer Bürger ist.
Dass es früher noch einen Milchmann gegeben hat, der täglich alle Haushalte seines Rayons mit Milch und Milchprodukten versorgt hat, ist älteren Semestern noch aus der eigenen Erinnerung bekannt. Dass der Milchmann früher aber auch mit Pferd und Wagen unterwegs gewesen ist, habe ich nicht mehr erlebt.
Eine ganz spezielle Aufnahme zeigt ein sehr schnittiges, allerdings leicht demoliertes Automobil vor einer Plakatwand an der Röschibachstrasse. Der Stil der Plakate aus den 1920er Jahren ist an sich bekannt. Diese Werbegrafik im damaligen Umfeld zu sehen wirkt wie im Kino. Und zudem ist das Bild an sich einfach schön.
Es hat in der Zwischenkriegszeit ganz offensichtlich auch Mitarbeiter in der Stadtpolizei gegeben, die eine hohe künstlerische Begabung gehabt haben müssen. Ihre Werke sind in der Qualität durchaus mit den Bildern des Nidwaldner Polizeifotografen Arnold Odermatt vergleichbar. Dazu einige Beispiele, die für sich selbst sprechen.
Die in diesem Beitrag gezeigten Fotografien stellen eine Auswahl dar. Die Auswahl musste aber nicht nur quantitativ die Menge der Bilder beschränken, es standen auch inhaltliche Überlegungen hinter dieser Auswahl. Die wichtigste: keine Opfer von Unfällen oder Verbrechen, keine Leichen von Selbstmördern oder ungeklärte Todesfälle zu zeigen. Diese Selbstbeschränkung erfolgte nicht nur aus ästhetischen Gründen. Sie ist zum Schutz der Persönlichkeit vorgeschrieben und dient ebenso der Wahrung des Rechtes der Angehörigen auf Respekt als auch dem Schutz des Ansehens einer Person bis über den Tod hinaus. Diese Rechtslage hat auch Konsequenzen für die Benutzung der Bilder durch das Publikum: sie sind nicht frei zugänglich. Wer Bilder zu einem konkreten Anlass einsehen will, muss ein Gesuch ans Stadtarchiv stellen. Solch ein Antrag muss das Datum des Vorfalles genau bezeichnen, denn die Fotografien sind nach dem Zeitpunkt des Ereignisses geordnet. Zudem muss der Antrag eine Begründung enthalten, weshalb das Einsichtsinteresse gegenüber dem Schutzinteresse der Person Vorrang haben soll. Der Gesetzgeber hat bewusst keine Regeln aufgestellt, nach denen das Stadtarchiv dann die Rechtsgüterabwägung vornehmen müsste. Es kommt wirklich auf die Umstände des konkreten Einzelfalls an. Für eine Freigabe von Bildern sprechen etwa Gründe wie das Recht auf das eigene Bild oder eine sehr grosse zeitliche Distanz zum Zeitpunkt an dem die Fotografie gemacht wurde oder wichtige wissenschaftliche Interessen. Aufnahmen, die dagegen die Würde der fotografierten Persönlichkeit schwer verletzen, können nicht zugänglich gemacht werden.
Das Stadtarchiv Zürich hat eine Auswahl an Bildern aus der Zeit zwischen 1920 und 1947 gescannt. Der gesamte Bestand sowie die Bilder können über die Online-Recherche im elektronischen Archivkatalog des Stadtarchivs-Zürich (Query) eingesehen werden. Durch die Auswahl digitalisierter Bilder kann auch bequem über die Bildergalerie navigiert werden.
Bildpräsentation «… der Zürcher ist verkehrserzogen!»: Die Unfallbilder der Stadtpolizei Zürich (1920-1947)
Für die Bildpräsentation «… der Zürcher ist verkehrserzogen!»: Die Unfallbilder der Stadtpolizei Zürich (1920-1947) hat das Stadtarchiv eine Auswahl von 180 Bildern von Verkehrsunfällen aus den Jahren zwischen 1920 und 1947 getroffen, die ab dem 5. Oktober 2016 im Erdgeschoss des Hauses zum Rech am
Neumarkt 4 in Zürich gezeigt werden.
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