Die Typhus-Epidemie von 1884
Erneuerung der städtischen Wasserversorgung und Gründung des Zürcher Verkehrsvereins
Von Karin Beck, Stadtarchiv Zürich
Im Frühjahr 1884 brach in Zürich eine Typhus-Epidemie aus. Schnell breitete sie sich auch auf die umliegenden damaligen Aussengemeinden aus. Den Peak erreichte die Seuche, wie die Epidemie dazumals genannt wurde, im April 1884. Danach ebbte sie ab, bis sie gegen Ende des Jahres fast wieder verschwand.
Ca. 1600 Personen erkrankten damals an der Infektionskrankheit, deren Bakterien, Salmonellen, schwere Durchfallerkrankungen auslösen. Ungefähr 150 Personen starben daran.
Bald entstand der Verdacht, dass sich der Krankheitserreger über die städtische Wasserversorgung, insbesondere über die Leitungen für das Brauchwasser, verbreiten könnte. Im damaligen Zürich wurde das Trinkwasser bzw. Quellwasser über die Brunnenleitungen zu den öffentlichen Brunnen geführt. Über ein zusätzliches Leitungsnetz wurde filtriertes Seewasser, das so genannte Brauchwasser, für den Abwasch oder die Toilette in die Häuser gepumpt. Obwohl die Qualität dieses Brauchwassers eher zweifelhaft war, wurde es auch getrunken.
Um den Ursachen der Typhusepidemie nachzugehen, setzte der Stadtrat die «erweiterte Wasserkommission» ein, die ihm 1885 den Bericht «Die Wasserversorgung von Zürich, ihr Zusammenhang mit der Typhusepidemie des Jahres 1884 und Vorschläge zur Verbesserung der bestehenden Verhältnisse» vorlegte. Obwohl der Typhus-Krankheitserreger erst 1906 entdeckt wurde, erhärtete sich der Verdacht, dass die Krankheit unter anderem über das Brauchwasser verbreitet wurde.
Nicht zuletzt anhand des Ansteckungsverlaufs der Zöglinge des evangelischen Lehrerseminars in Unterstrass wurde der Zusammenhang offensichtlich. Nach dem letzten Typhusfall, seitdem bereits vier Jahre vergangen waren, tauchte im April 1884 plötzlich wieder eine neue Infektionswelle auf. Das Trinkwasser für die Zöglinge wurde normalerweise aus dem gegenüberliegenden Quellwasserbrunnen bezogen. Doch am 1. und 2. April 1884 fanden Examen statt. Um Zeit zu sparen, wurde das Trinkwasser nicht wie üblich dem Brunnen, sondern der Brauchwasserleitung im Haus entnommen, worauf über ein Drittel der Zöglinge an Typhus erkrankten. Anhand dieses Beispiels verwies der Gerichtsmediziner und Toxikologe Hans von Wyss, der die Typhusursachen für den Stadtrat erforschte, auf einen Zusammenhang zwischen dem Wasser und der Krankheit:
«Wenn auch damit noch kein unumstösslicher Beweis für die Infektiosität des Wassers gegeben ist, so liegt doch die höchste Wahrscheinlichkeit entschieden dafür vor. Die Erklärung dieser plötzlichen massenhaften Erkrankungen unter denselben Bedingungen als Folge der vor vier Jahren stattgehabten Typhusfälle hätte doch unstreitig etwas weit Gezwungeneres, ja sozusagen Mystisches. »
(Hans von Wyss, Bericht betreffend die Ursachen der Typhusepidemie des Jahres 1884, S. 68.)
Obwohl man den kausalen Zusammenhang des Typhuserregers mit kontaminiertem Wasser nicht belegen konnte, so hat man die Wasserqualität des Brauchwassers beanstandet. Vor allem die Wasserfassung für das Brauchwasser in der Limmat sowie die weiterführenden Leitungen, die zum Teil stark verstopft bzw. «verschmutzt» waren, sollten erneuert werden. Mit Hochdruck hat man schliesslich die Wasserfassungen sowie die Pumpwerke saniert und zum Teil neu gebaut.
Die Typhusepidemie von 1884 flachte zwar relativ schnell wieder ab, dennoch hatte sie auch wirtschaftliche Auswirkungen. Diese beschäftigten den Zürcher Stadtrat zusätzlich, wie dem Geschäftsbericht des Stadtrates aus dem Jahr 1885 zu entnehmen ist:
«Obwohl die Krankheit einen relativ milden Verlauf nahm, so litt doch Zürich durch dieselbe in seiner Eigenschaft als Marktplatz und Verkehrszentrum wie mit Bezug auf den Fremdenbesuch in bedeutendem und jedenfalls in viel höherem Masse, als es die Gefahr rechtfertigte, die für die Gesundheit der Besucher Zürichs in jenen Wochen bestand. In wesentlichem Umfange mag daran auch die auswärtige Presse schuld sein […].»
(Geschäftsbericht des Stadtrates, 1885, S.9.)
Insbesondere das breite Echo in der Presse, vor allem auch im Ausland, bot Anlass zur Sorge:
«Die Aufregung, welche sich damals der Gemüther bemächtigt hatte, war eine ausserordentliche und es war deshalb nicht zu vermeiden, dass die Calamität, durch welche unsere Stadt betroffen wurde, in der Presse des In- und Auslandes mit grosser Ausführlichkeit geschildert und besprochen wurde. Dass es dabei an grossartigen Uebertreibungen des Thatbestandes nicht fehlen konnte, das musste jeder erwarten.»
(Schweizerische Bauzeitung, 25. April 1885)
Der ausbleibende «Fremdenbesuch» in Folge der Typhusepidemie beschäftigte nicht nur die Zürcher Regierung, sondern auch private Geschäftsleute. Am 3. Dezember 1885 gründeten deshalb vierzig Zürcher die «officielle Verkehrscommission» mit dem Ziel zur «Schaffung eines Organs zur Wahrung und Förderung der Verkehrs-Interessen Zürichs».
Im Juli 1886 eröffnete die Verkehrskommission im Parterre der Börse an der Bahnhofstrasse das «offizielle Verkehrsbureau». Von 9 bis 12 Uhr vormittags und von 14 bis 17 Uhr nachmittags informierte das Fremdenamt die «Applicanten» über Sehenswürdigkeiten in Zürich. Auf Wunsch stellten sie aus den sehr voluminösen Kursbüchern Verbindungen der Eisenbahn-, Schiffslinien und Postkurse zusammen. Und für Rückmeldungen lag ein Desiderien- und Beschwerdebuch auf.
Nach einer ersten Bilanz Ende 1886 hat die Organisation stolz verlauten lassen:
«Das Verkehrsbureau in der Börse wurde von über 400 Fremden und Einheimischen besucht und geht aus dieser Frequenz alleine schon hervor, dass die Errichtung desselben einem wirklichen Bedürfnisse entgegenkommt.»
(Bericht der officiellen Verkehrscommission Zürich für das Jahr 1886, S.10)
Auch heute scheint das Bedürfnis immer noch zu bestehen. Aus der offiziellen Verkehrskommission entstand der Zürcher Verkehrsverein, der nun als Zürich Tourismus nach wie vor erste Anlaufstelle für Besucherinnen und Besucher der Stadt Zürich ist. In diesem Sinne hat die Typhusepidemie nachhaltige strukturelle Veränderungen mit sich gebracht, die heute immer noch aktuell und gefragt sind.